Ermessensergänzung

Ermessensergänzung, § 114 S. 2 VwGO:

Sinn der Vorschrift

Voraussetzungen

Ersatz durch neuen VA

Ratio: Es soll ein Nachschieben von Gründen jedenfalls prozessual auch bei Ermessensentscheidungen auch noch im Prozess ermöglichen .

Also ohne den Weg der Konstruktion eines neuen VAs. Prozessual handelt es sich weder um eine Klageänderung, noch ist erneut ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Das Ergänzen muss jedoch materiellrechtlich erlaubt sein( BVerwGE 106, 351, 363). Eine Begründung nachzuholen ist nach § 45 I Nr. 2, II VwVfG noch im Prozess möglich.

Problem: Verletzung Neutralitätspflicht ? Heilungsmöglichkeiten verfassungsrechtlich bedenklich?

Nein. Von Verfassung wegen gibt es ein Recht auf die rechtmäßige Entscheidung aber kein Recht, das Widerspruchsverfahren und/oder den Prozess zu gewinnen. ←Erledigungserklärung geboten.

Voraussetzung:

Ergänzung (wörtlich zu nehmen): keine völlige Nachholung bei Ermessensausfall, Ermessensnichtgebrauch; grundsätzliche Ermessensdefizite unheilbar.

Vgl. hierzu BVerwG, U. v. 5.9.2006 -1 C 20/05– (NVwZ 2007, 470 mit Besprechung JuS 2007, 1049). Ermessensausweisung wegen mittelschwerer Straftaten. Behörde erfährt erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, dass der Kläger zur Zeit des Widerspruchbescheides bereits ein zweites nichteheliches Kind hatte; hier ist u.U. insoweit Ermessensergänzung möglich. Soweit Kind(er) bislang völlig unberücksichtigt geblieben sind: keine Ermessensergänzung möglich, weil dieser Aspekt so wichtig ist (erheblicher Grund), dass es sich nicht um eine Ergänzung handelt.

Allgemeiner Obersatz:

BVerwG, U. v. 20. Juni 2013 –8 C 46/12–, BVerwGE 147, 81-100:

Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (ständige Rechtspr…).

Passt § 114 S. 2 VwGO nicht, etwa weil überhaupt kein Ermessen ausgeübt worden war, kann das Nachschieben aber einen neuen VA darstellen, der im Wege der Klageänderung Klagegegenstand sein kann.

Bsp. BVerwG, Urt. v. 3.8.2004 -1 C 30.02-InfAuslR 2005, 18 wegen Änderung der Rechtsprechung ist übergangsweise den Behörden bei laufenden Klageverfahren gegen Ist- oder Regelausweisungen zu ermöglichen, erstmals Ermessenserwägungen anzustellen, wenn es aufgrund EU-Recht für Unionsbürger und Gleichgestellte keine Ist- bzw. Sollausweisung sondern nur Ermessensausweisung gibt.

Zum Merkschema Ermessen siehe dort.

Beurteilungsspielraum

Beurteilungsspielraum

1. Herleitung: nach hM (RS BVerfG, BVerwG) gesetzlich eingeräumtes Letztentscheidungskompetenz, sog. normative Ermächtigung.

2. Erfordernis verfassungsrechtlicher Legitimation aus Art. 19 IV GG (BVerfGE 84, 34).

Kontrollfrage: Warum wäre es nicht bzw. kaum vertretbar, wenn die Gerichte voll überprüfen würden?

3. Fallgruppen der RS

siehe BVerwG DVBl 1991, 49 und B. v. 17.09.2015 -2 A 9/14- NVwZ 2016, 327

https://www.bverwg.de/de/170915B2A9.14.0

3.1 Wenn die Entscheidung maßgeblich von fachspezifischen, besondere Sachkunde oder Erfahrungen voraussetzenden Wertungen bestimmt wird (BVerwGE 131, 274 = NVwZ 2009, 302)

a ) beamtenrechtl. Beurteilungen (BVerwG, NVwZ – RR 1990, 489)

b) Prüfungsentscheidungen

c) Wertungsentscheidungen durch weisungsfreie Gremien sachverständiger oder pluralistisch zusammengesetzter Art

Ein Gremium, das aufgrund seiner fachspezifischen und pluralistischen Zusammensetzung gesetzlich vermuteten Sachverstand und gesellschaftliche Repräsentanz in sich vereint .

Bejaht bei reinen Sachverständigenkommissionen, die zudem pluralistisch besetzt sind für Weinprüfungskommissionen (SV aus Weinwirtschaft, Verwaltung, Verbraucher für die sensorische Prüfung) durch BVerwG U. v. 16.5.2007 -3 C 8/06- NJW 2007, 2790 (speziell hier auch Art. 19 IV GG kein Problem, weil sich auch das Gericht eines oder mehrerer Sachverständiger bedienen müsste).

So auch jahrzehntelang die Indizierungsentscheidungen. Aufgrund BVerfG (Beschluss vom 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 – Josefine Mutzenbacher -) ist allerdings auch bei Jugendgefährdung eine Abwägung mit der Kunstfreiheit nötig (auch Pornografie etc. kann Kunst sein). Seit BVerwG, Urteil vom 26. November 1992 – 7 C 20/92 – BVerwGE 91, 211) galt daraufhin, dass die wertende Einschätzung eines Werkes als Kunst sowie die Beurteilung des von ihm ausgehenden schädigenden Einflusses auf Jugendliche durch die Bundesprüfstelle nur noch den „Gehalt von sachverständigen Äußerungen“ hatte, (die die widerlegt werden müssen = zu behandeln wie Fachsachverständigengutachten). Die praktische Konkordanz zwischen Jugendschutz und Kunstfreiheit sollte allerdings noch mit Beurteilungsspielraum die Prüfstelle herstellen.

Auch letzteres ist aufgegeben durch BVerwG, U. vom 30.10.2019 -BVerwGE 6 C 18.18- NJW 2020, 785 (Bushido) für den Bereich des Jugendschutzes: Klage gegen Indizierung (Eintrag in die Liste der jugendgefährdenden Medien durch die Bundesprüfstelle des Bushido Albums „Sonny Black“. Klage dagegen hatte vor dem OVG noch Erfolg, weil ein aufgrund des bestehenden Beurteilungsspielraumes bestehendes Anhörungsdefizit nicht mehr geheilt werden könne. BVerwG: Kein tragfähiger Grund für eine Letztentscheidungsbefugnis: Die Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz ist nicht mehr übermäßig schwierig (Rdnr. 19).

3.2 wenn die Entscheidung Ausdruck und Ergebnis einer komplexen Abwägung verschiedener Belange ist

vgl. etwa BVerwGE 130, 39 = NVwZ 2008, 575 Rdnr. 28 ff. [zum so genannten Regulierungsermessen nach dem TKG]),

planerisch gestaltende Entscheidungen ( Bsp. Planfeststellungsbeschluss ).

dazu gehört m. E. die „naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative“, welche nach BVerwG jedenfalls derzeit für die Prüfung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände im Rahmen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsentscheidung ein behördlichen Beurteilungsspielraum darstellen soll (BVerwG. U. v. 21.11.2013 -7 C 40/11). NVwZ 2014, 524). Eine solche müsse es geben, weil die behördliche Beurteilung sich auf außerrechtliche Fragestellungen richte, für die weithin allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und standardisierte Erfassungsmethoden fehlten. Wenn und solange die ökologische Wissenschaft sich insoweit nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweist, fehlt es den Gerichten an der auf besserer Erkenntnis beruhenden Befugnis, eine naturschutzfachliche Einschätzung der sachverständig beratenden Zulassungsbehörde als „falsch“ und „nicht rechtens“ zu beanstanden. Dies entspreche ständiger Rechtsprechung des BVerwG zum Planfeststellungsrecht. (die konkrete Verbotsnorm ist § 44 BNatschG [Tötungs- und Verletzungsverbot], welches

3.3 bei Verwaltungsentscheidungen, bei denen auch politische Vorgaben und Bewertungen von Bedeutung sind, etwa im Bereich der Außenpolitik (BVerwGE 62, 11 [15 f.] und BVerwG, B. vom 06.03.1997 – 3 B 178/96- Buchholz 11 Art. 32 GG Nr. 2, S. 1 [jeweils zur Gewährung von Auslandsschutz]),

Prognoseentscheidungen mit politischem Einschlag

Bsp. ministerielle Entscheidung, Tiefflüge zu Übungszwecken abzuhalten „soweit dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben zwingend notwendig ist so “ BVerwGE 97, 203

Bsp. „nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen“ im Sinne des § 3 Nr. 1 a IFG (als Ausnahme vom Informationsanspruch; vgl. zur Weigerung des Bundesverkehrsministeriums, Angaben zu Flugbewegungen –mutmaßlicher CIA-Flüge- zu geben (BVerwG U. v. 29.10.2009 -7 C 22/08 NVwZ 2010, 321 mit Besprechung JuS 2010, 843).

3.4 Wenn die Entscheidung eine prognostische Risikobewertung erfordert

(BVerwGE 72, 300 [316] = NVwZ 1986, 208 [zur Risikovorsorge im Atomrecht])

3.5 mögliche neue Fallgruppe: weil der EuGH sagt, spezifisches EU-Recht räume einen Beurteilungsspielraum ein

so jedenfalls BVerwG für den Visakodex (VO (EG) Nr. 810/2009 ) für „Zweifel an Rückkehrabsicht“ (Urt. v. 17.09-2015 -1 C 37/14 NVwZ 2016, 161).

BVerwG: EuGH differenziert nicht zwischen Ermessensausübung und B., hier aber sind Tatbestandsvoraussetzungen betroffen, deshalb echter Beurteilungsspielraum. Überprüfung: Danach wird die Ausübung eines Beurteilungsspielraums auf der Tatbestandsseite nur darauf überprüft, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat .

4. Überprüfungspunkte (vereinfachend und vereinheitlichend)

4.1 Einhaltung des Verfahrens bzw. keine Verfahrensfehler (z. B. BVerwGE 99, 74, 77 Prüfr., Legitimation durch Verfahren bei den Großverfahren/Stichwort Grundrechtsschutz durch Verfahren)

4.2 richtige Rechtsanwendung/Keine Verkennung des anzuwendenden Begriffes bzw. gesetzlichen Rahmens (Bsp. Art. 33 I; dazu Prüfungsrecht: bei der Korrektur vertretbares nicht als falsch anzusehen;

4.3 Zugrundlegung des richtigen Sachverhaltes

4.4 Beachtung der allgemeingültigen Wertmaßstäbe

4.5 keine sachfremden Erwägungen = Willkürverbot

weitere Beispiele:

Grundschulempfehlung

OVG Münster, Beschluss vom 24. 8. 2007 – 19 B 689/07 NVwZ-RR 2008, 208 zur Grundschulempfehlung (Empfehlung der Grundschule zu Gymnasiumseignung) (Empfehlung des Grundschule zu Gymnasiumseignung) als Beurteilungsspielraum mit umfangreichen Ausführungen, ob sich Eilantrag erledigt durch nachfolgenden Nichtzulassungsentscheidung des Schulamtes nach negativem Prognoseunterricht und zur Frage 123 oder 80V

Noch Beurteilungsspielraum bzw. Prognose und noch nicht Restrisiko:

BVerwG Urt. v. 22. 3. 2012 7 C 1/11 NVwZ 2012, 750 Klage gegen atomrechtliche Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen

Beurteilungsspielraum (und nicht nur Prognose für polizeiliche Gefahrenabwehr): Sicherheitsüberprüfung nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz

BVerwG:Beschl. v. 17.9.2015 – 2 A 9/14, NVwZ 2016, 327, Bespr. JuS 2016, 860,

Fragen entziehen sich oft einer Beweiserhebung durch Sachverständige

Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz – SÜG)

§ 5 Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Erkenntnisse

(1) Im Sinne dieses Gesetzes liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1.

Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen oder

2.eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpreßbarkeit, begründen oder

3.Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen.

Ein Sicherheitsrisiko kann auch auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte zur Person des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefährten vorliegen.

(2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt.

§ 14 Abschluß der Sicherheitsüberprüfung

(,,)

(3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen entgegensteht.Die Bewertung der übermittelten Erkenntnisse erfolgt auf Grund einer am Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalles, insbesondere im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit. Im Zweifel hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen. § 6 Abs. 1 und 2 ist zu beachten.

(4).

Kein Beurteilungsspielraum: gesundheitliche Eignung des Beamtenbewerbers

sondern voll überprüfbare Prognose (BVerwG, Urt. v. 25.07.2013 2 C 12/11 -NVwZ 2014, 300 in Aufgabe früherer RS)

Kein Beurteilungsspielraum: „ethische Vertretbarkeit“ von Tierversuchen,

§ 7a II Nr. 3 TierSchG (n. F. ab Juli 2013; § 7 III TierschG a. F.:

so BVerwG, B. v. 20.01.2014 -3 B 29/13- NVwZ 2014, 450. Die Frage können die Fachgerichte klären.

Ähnliche Materie:

BVerfG, Beschl. v. 31. 5. 2011 -1 BvR 857/07. Leitsatz 5, NVwZ 2011, 1062 mit Bespr. JuS 2012, 189)

Investionszulagengesetz verweist für Subventionseinzelheiten (nur bestimmte sollen gefördert werden, beispielsweise „verarbeitendes Gewerbe“) auf die „ Klassifikation der Wirtschaftszweige“ durch das Statistische Bundesamt.

Nach BVerfG ist so ein Verweis nur mit Art. 19 IV GG vereinbar als Verfahrensstufe in Form bindender Vorentscheidungen, die durch den Angriff gegen die Endentscheidung nicht mehr oder nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann, sofern – erstens – sich die Bindung einer Behörde an vorangehende Feststellungen oder Entscheidungen einer anderen Behörde hinreichend klar aus dem Gesetz ergibt, – zweitens – gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht und – drittens – die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung für den Bürger deutlich erkennbar und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden ist .

Beteiligtenfähigkeit § 61 VwGO

Wer kann Subjekt im Verwaltungsprozess sein? -Aktuelle Probleme zu § 61 VwGO:

Zu § 61 Nr. 2 VwGO

BVerwG, Urteil vom 28.11.2018 – 6 C 2.17; https://www.bverwg.de/de/281118U6C2.17.0; NJW 2019, 1317

Zur Beteiligungsfähigkeit eines Kreisverbandes der NPD als nichtsrechtsfähigem Verein im Rahmen einer Klage gegen eine Sparkasse auf Eröffnung eines Girokontos.

Allgemeine Anforderungen:

Nach § 61 Nr. 2 VwGO sind Vereinigungen beteiligtenfähig, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Die Vorschrift ermöglicht es nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen, öffentlich-rechtliche Ansprüche eigenständig gerichtlich durchzusetzen, die ihnen als Personenmehrheit zuerkannt sind. Daher sind diese Vereinigungen beteiligtenfähig, wenn sie geltend machen können, Zuordnungssubjekt einer materiellen Rechtsposition zu sein, die einen Bezug zum Streitgegenstand des konkreten Rechtsstreits aufweist. Der zur gerichtlichen Prüfung stehende Lebenssachverhalt muss nach einem Normenkomplex zu beurteilen sein, aus dem sich möglicherweise ein Recht der Vereinigung ergibt (Rdnr. 13).

Eine Vereinigung im Sinne von § 61 Nr. 2 VwGO ist gegeben, wenn sich eine Personenmehrheit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat, also ein Mindestmaß an Organisation vorliegt (Rdnr. 14).

Speziell bei Parteien:

Ist der Gebietsverband einer politischen Partei nicht in das Vereinsregister eingetragen, ist er als nicht rechtsfähiger Verein anzusehen, wenn er selbst eine körperschaftliche Verfassung nebst eigenen Organen besitzt, einen Gesamtnamen führt, vom Wechsel der Mitglieder unabhängig ist und eigene Aufgaben selbständig wahrnimmt, insbesondere über die Aufnahme von Mitgliedern entscheidet (Rdnr. 17).

Der Gebietsverband muss wirksam gegründet sein (Rdnr. 19).

Von § 61 Nr. 3 VwGO hat Berlin keinen Gebrauch gemacht.

Beteiligter ist deshalb immer das Land Berlin.

Bundesbehörden sind grundsätzlich nicht beteiligungsfähig.

Wirksame Prozesserklärungen setzen Beteiligtenfähigkeit voraus. So geht beispielsweise eine Erledigungserklärung ins Leere, die von einer Schule (als nichtrechtsfähiger Anstalt) stammt (bzw. gerade erklärt hat, § 161 II 2 VwGO,

so im Fall VGH Kassel, B. v. 07.11.2013 -7 F 2058/13 NVwZ-RR 2014, 350)

Für die Klagezulässigkeit reicht die Angabe der Behörde aus, § 78 I Nr. 1, 2. Hs VwGO

(also z. B. „die Schule XY“, es ist dann aber Aufgabe des Gerichts zu bestimmen, welcher Rechtsträger gewollt ist (im vorgenannten Fall: Land -weil Schulaufsichtsmaßnahme- oder Landkreis -weil äußerer Schulbetrieb als Sache des Schulträgers).

Eilantrag durch einen Erben als Notgeschäftsführung im Rahmen ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung nach § 2038 BGB geht

(VGH Mannheim, Beschl. v. 6. 11. 2012 – 3 S 2003/12 NJW 2013, 889 für Nachbar-Eilantrag).

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Prozessmaximen

Prozessmaximen

Prozessmaximen (Verfahrensgrundsätze) als Argumentationshilfen

Dispositionsmaxime Klagerücknahmefiktion

Amtsermittlung (statt Beibringungsgrundsatz)

Mündlichkeitsprinzip und Öffentlichkeitsprinzip)

 

Die Prozessmaximen (Verfahrensgrundsätze) dienen manchmal als Argumentationshilfen für prozessuale Fragen:

1. Dispositionsmaxime

Gegenteil: Offizialmaxime

Herrschaft der Prozessbeteiligten über den Streitgegenstand:

‑ Antragserfordernis

‑ Kläger bestimmt den Streitgegenstand

‑ Bindung des Gerichts an das Klagebegehren, § 88 VwGO

‑ Befugnis des Klägers zur Klageänderung, § 91 VwGO

‑ Verfahrensbeendigung durch die Beteiligten: Rücknahme, Vergleich, Erledigterklärung

BVerwG, Beschl. v. 13. 1. 2012 – 9 B 56/11 NVwZ 2012, 375

  • Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist gem. § 88 VwGO nicht die Fassung des Klageantrages, sondern das wirkliche Rechtsschutzziel, wie es sich aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, erschließt .
  • Unbeschadet der gesteigerten Bedeutung, die der Fassung des Klageantrages eines anwaltlich vertretenen Kl. zukommt, hat das Gericht auch im Anwaltsprozess dem wirklichen Klageziel Rechnung zu tragen, sofern dieses eindeutig von der Antragsfassung abweicht.

Klagerücknahmefiktion des § 92 II VwGO:

  • keine Ausnahme von der Dispositionsmaxime.

Setzt nämlich voraus (vgl. BVerwG NVwZ 2000, 1297), dass zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bestehen (nicht jedes kommentarlose Verstreichen-Lassen einer Betreibensaufforderung)

Ermessensergänzung nach § 114 S.2 VwGO.

in der Sache wohl Einschränkung der Dispositionsmaxime (Soweit die Ermessensergänzung rechtlich geht, muss der Kläger für erledigt erklären).

Beispiel für eine gerichtliche Heranziehung der Dispositionsbefugnis:

Kostennorm bei einer Klagerücknahme als Folge eines außergerichtlichen Vergleichs mit Kostentragungsvereinbarung: OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 8.12.2020 -OVG 6 A 2/20– NVwZ-RR 2021, 176: Statt des § 155 II VwGO gilt § 160 VwGO entsprechend, weil eine strenge Beachtung des § 155 II VwGO der Dispositionsbefugnis nicht gerecht werden würde (weil die Beteiligten auf eine externe Kostenauseinandersetzung verwiesen würden) und die Interessenlage der einer übereinstimmenden Erledigungserklärung entspricht.

2. Amtsermittlung (statt Beibringungsgrundsatz)

Amtsermittlungsprinzip =keine Schlüssigkeitsprüfung, § 86 I 2 VwGO: an Vorbringen nicht gebunden, kein Versäumnisurteil (aber 102 II VwGO.

§ 86 Abs. 1 VwGO

‑ Sachaufklärung durch:

‑ Vorbringen der Beteiligten

‑ Beiziehung der Behördenakten, § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO

‑ Beweisaufnahme, §§ 96-98 VwGO

‑ Einschränkung der Untersuchungsmaxime

‑ Zumutbarkeit

‑ Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO

‑ Präklusion nach § 87 b VwGO.

‑ Einstweilige Anordnung: Glaubhaftmachung der Tatsachen

§ 113 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 VwGO

Einschränkung der Amtsermittlung durch den Grundsatz, sich nicht ungefragt auf Fehlersuche zu begeben? Nein:

„behutsamer Umgang mit der Amtsermittlung im Interesse des Klägers“ (keine Phyrrhusssiege produzieren, vgl. BVerwGE 116, 188: Mit der Mahnung des BVerwG solle (zwar) nicht die rechtliche Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes in § 86 I VwGO in Frage gestellt, aber darauf hingewiesen werden, dass eine sachgerechte Handhabung dieses Grundsatzes unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung und der Prozessökonomie zu erfolgen habe (Fall: In einem Normenkontrollverfahren gegen eine Marktsatzung waren vom OVG sämtliche Einwände der Antragsstellerin zurückgewiesen worden, der es u. a. darum, ging gegen das Verbot vorzugehen, Werbezettel zu verteilen und das Gebot, den Stand täglich abbauen zu müssen; Das OVG hat die Satzung wegen Kalkulationsfehlern für nichtig erklärt.). M. E. betrifft dies primär die Dispositionsmaxime.

Klarstellung durch BVerwG, B. v. 24.11.2021 -9 B 5/21- NVwZ 2022, 493:

Einen den Amtsermittlungsgrundsatz einschränkenden Rechtssatz, nach dem Gesichtspunkte, die für die Rechtmäßigkeit des betreffenden Verwaltungshandelns von Bedeutung sind, nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sich die Beteiligten darauf berufen, gibt es ebenso wenig wie einen über eine Maxime richterlichen Handelns hinausgehenden Rechtssatz, der eine „ungefragte“ Fehlersuche. § 86 I 1 Hs. 1 VwGO verpflichte das Gericht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, soweit er nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblich ist.

Auch soweit der Freibeweis möglich ist (insbesondere bei Zulässigkeitsvoraussetzungen, z. B. eidesstattliche Versicherung, einen Schriftsatz rechtzeitig bei Gericht eingeworfen zu haben) sind die Anforderungen an die Aufklärungspflicht (§ 86 I VwGO) und die richterliche Überzeugung gleich (BVerwG, B. v. 24.07.2008 -9 B 41/07- NJW 2008, 3588):

Will also Gericht der eV (hier einer Rechtsanwältin, die vorträgt, den Schriftsatz selbst in den Gerichtsbriefkasten geworfen zu haben) nicht glauben, muss es sie als Zeugin anhören und gegebenenfalls den Justizwachtmeister (der dienstlich erklärt hat, dass der Schriftsatz nicht im Gerichtsbriefkasten gelegen hat).

Obersatz für die Überzeugungsbildung (§ 108 VwGO):

Erforderlich ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen (so BVerwG, U. v. 23.09.2020 -1 C 36/19 – NVwZ 2021, 494, Rdnr. 20 unter Bezugnahme auf BVerwGE 71, 180, 181).

§ 86 II VwGO („Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.“):

  • Ablehnungsgründe § 244 III, IV StPO analog.
  • Abgrenzung zur bloßen Beweisermittlungs-/Ausforschungsbeweisanträgen, die erst der Vorbereitung des eigentlichen Beweisantrages dienen bzw. neuen Sachverhalt liefern sollen:

Dazu BVerwG, B. v. 26.6.2017 – 6 B 54/16– mit Besprechung Behm NVwZ 2017, 1389 und Schübel-Pfister JUS 2018, 441,443) „Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aus der Luft gegriffen“, „ins Blaue hinein“, also „erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage“ erhoben worden sind (…..). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Bet. wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Den Bet. ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (…).

3. Mündlichkeitsprinzip: § 101 Abs. 1 VwGO

‑ Ausnahmen:

  • § 101 Abs. 2 VwGO: Einverständnis der Beteiligten
  • § 84 Abs. 1 VwGO: Gerichtsbescheid
  • § 101 Abs. 3 VwGO: Beschlüsse

Gerichtsöffentlichkeit (§ 55 VwGO i. V. m. § 169 I 1 GVG)

Eine Verhandlung ist öffentlich, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind (BVerwG, B. v. 15.03.2012 – 4 B 11.12 m. weit. Nachw.).

VG Wiesbaden, B. v. 20.01.2010 -6 K 1063/09- NJW 2010, 1220 Öffentlichkeit verletzt bei Videoüberwachung des Eingangsbereichs (Verstoß gegen R. auf informationelle Selbstbestimmung) unter Bezugnahme auf BVerfG NJW 2009, 3293).

Dagegen nicht bei Einlasskontrolle (und schon gar kein Verfahrensfehler ohne Rüge in der mündlichen Verhandlung) OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 26.03.2010 -3 N 33/10-, NJW 2010,1620.

Andererseits stellt die Kontaktdatenerfassung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie für Besucher einer Gerichtsverhandlung im Interesse des Gesundheitsschutzes eine hinzunehmende Beeinträchtigung dar, die den Zugang zum Gerichtssaal für die jeweils Betroffenen obendrein allenfalls psychisch, nicht aber physisch hemmt und unzulässigen Verweigerung des Zutritts gleichsteht (so OVG Lüneburg, B. v. 5.11.2020 -9 LA 115/20- NJW 2021, 650 unter Bezugnahme auf im Anschluss an OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 27.5.2020 – OVG 11 S 43/20).

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Klagebefugnis

§ 42 II VwGO Merkposten zur Klagebefugnis und aktuelle Entwicklungen: Möglichkeitstheorie, Adressatentheorie, Drittschutz, Beteiligungsrechte, nachbarschützende Norm Präklusion/Verzicht

„Filterfunktion“:

Vgl. BVerwG, B. v. 21.07.2014 -3 B 70/13– [ECLI:DE:BVerwG:2014:210714B3B70.13.0]

Rdnr. 18: „Bei der Anfechtungsklage verlangt § 42 II VwGO, dass der Kl. geltend macht, durch den VA in seinen Rechten verletzt zu sein. Zur Geltendmachung ist es in tatsächlicher Hinsicht erforderlich, aber auch ausreichend, dass er Tatsachen vorträgt, die es denkbar und möglich erscheinen lassen, dass er durch den Verwaltungsakt in einer eigenen rechtlich geschützten Position beeinträchtigt ist (..)“.

Eine Beweisaufnahme zur Klärung der subjektiven Rechtsposition ist im Rahmen der Zulässigkeitprüfung nicht erlaubt.: „Für die im Rahmen der Zulässigkeit nur zu prüfende Möglichkeit einer Rechtsverletzung genügt es, dass der Kl. Tatsachen behauptet, die – wenn sie sich als zutreffend erweisen – eine Rechtsverletzung ergeben können. Darin erschöpft sich die Filterfunktion der Klagebefugnis.“

Möglichkeitstheorie:

Die Klagebefugnis fehlt (nach h.M.) nur dann, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können.

←Zweck der Klagebefugnis ist (nur), Popularklagen zu verhindern

Unproblematisch bei Belastung durch an Kläger gerichteten belastenden VA , Art. 2 Abs. 1 GG,

=Adressatentheorie

bzw. bei vorhandener möglicher Anspruchsgrundlage bei Verpflichtungsklage auf Erlass eines ihn begünstigenden VA.

Problem Drittschutz/fehlende direkte Adressateneigenschaft:

Probleme bereiten nur die Fälle, in denen ein Dritter beteiligt ist, also der Kläger sich gegen einen einen Dritten belastenden oder begünstigenden VA wehrt oder den Erlass eines solchen VA begehrt, oder bei denen ganz allgemein fraglich ist, ob auch der Kläger geschützt sein soll.

→mit üblichen Auslegungsmethoden ist zu ermitteln, ob die Norm drittschützend bzw. auch klägerschützend ist.

Die wohl vorherrschende RS prüft bei Drittbeteiligung bereits auf der Ebene der Zulässigkeitsebene alle möglichen Rechte (=es wird nicht nach der ersten aufgehört).

←auf der Begründetheitsebene soll eine Beschäftigung nur mit einer etwaigen Rechtswidrigkeit des VA/Unterlassen des VA hinsichtlich dieser Rechte erfolgen, nicht mehr mit sonstigen etwaigen Rechtsverstößen

zu bejahen wenn

1. ein Rechtssatz des öffentlichen Rechts eine objektive Verhaltenspflicht enthält, d.h. der Behörde eine bestimmte objektive Rechtspflicht auferlegt;

also nicht bei bloßen Staatszielbestimmungen,

2. dieser Rechtssatz nicht ausschließlich zur Verwirklichung von öffentlichen Interessen bestimmt ist, sondern zumindest auch der Befriedigung von lndividualinteresse dienen soll,

nicht bloßer sogenannter Reflex.

Nichts anderes steckt in der allgemeinen Definition für eine

nachbarschützende Norm:

„wenn nach den Umständen des konkreten Einzelfalles in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Das ist der Fall, wenn entweder die tatsächlichen Umstände handgreiflich ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, oder aber eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist.“

(vgl für Baunachbarrecht: K/S § 42 Rdnr. 98)

Beispiele:

BVerwG, Urt. v. 6.5.2015 – 6 C 11/14- NVwZ 2015, 1384 bestätigend VGH München Urt.13.01.2014 -7 BV 13.1397- (Zwischenfeststellungsurteil zur Zulässigkeit)

Klagebefugnis der „Ultimate Fighting Championship“ (UFC) gegen medienrechtliche Beschränkungen. Die UFC dar gegen einen Bescheid der Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) klagen, obwohl der Bescheid nicht an sie, sondern an die Programmanbieterin Sport.1 GmbH gerichtet ist, weil zwar zwischen der BLM und der UFC kein unmittelbares medienrechtliches Rechtsverhältnis bestehe, jedoch das Programmänderungsverlangen auf den Inhalt der produzierten Formate abstellt. Damit werde der UFC zwar nicht die Veranstaltung als solche, wohl aber deren Verbreitung und Vermarktung als TV-Produktion in Deutschland zumindest erheblich erschwert. Sie müsse deshalb auch als Drittbetroffene die Möglichkeit haben, diese Maßnahme der gerichtlichen Überprüfung zuzuführen und könne sich darauf berufen, dass die Aufforderung zur Programmänderung sie zumindest mittelbar und nicht nur als Reflex in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung betreffe.

(Art. 12 GG direkt über Art. 19 III GG, j.P. mit Sitz im EU-Ausland reicht, EU-Recht erzwingt nach BVerfG Anwendungserweiterung)

BVerwG DVBl. 96, 186f:

Klagebefugnis der Ehefrau bei bestandskräftiger Aufenthaltsrechts-Versagung gg. dem Ehemann ;

Fehlen subj. Rechtsverletzung bei Klage auf Versagung der Nebentätigkeitserlaubnis für Ehrenamt BVerwG DVBl 1995, 1250

und bei Klage gegen Ausnahmegenehmigung nach BaumSchutzVO OVG Lüneburg NJW 1996, 3225

Das öffentliche Baurecht enthält keine auf dem Eigentum beruhende Schutzansprüche zwischen verschiedenen Berechtigten ein und desselben Grundstücks. Deshalb kein Recht des Eigentümers auf Einschreiten gegen den Zwangsverwalter des Anwesens, (OVG Bautzen, B. v. 30.12.2020 -1 B 348/20– NVwZ-RR 2021, 477)

und keine Klagebefugnis einer allgemeinen Leistungsklage eines WEG-Miteigentümers alleine auf Beseitigung von Pfosten auf dem gemeinsamen Grundstückseigentum als öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch VGH München ZMR 2004, 74.

BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – 1 C 11/15. NVwZ 2017, 1064 Leitsatz:

Die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung der Staatsanwaltschaft nach § 72 Absatz IV 1 AufenthG vor Vollzug einer Abschiebung stellt eine Verfahrensregelung dar, die allein der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses dient und kein subjektives Recht des Ausländers begründet (Bestätigung von BVerwGE 106, 351)

Zum Beteiligungsrecht der Gemeinde: BVerwG, B. v. 11.08.2008 -4 B 25/08- NVwZ 2008, 1347-: Ist der Anwendungsbereich des § 36 I BauGB eröffnet, führt bereits die Missachtung der Rechte der Gemeinde zur Aufhebung der Baugenehmigung, ohne dass es einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Rechtslage bedarf (keine Kausalität)

Die Berliner Bezirke können sich nicht auf Art. 28 GG berufen, weil Berlin staatliche und gemeindlicher Ebene in Berlin nicht getrennt sind (BVerwG, BVerwG, Urt. v. 10. 10. 2012 – 9 A 10/11 NVwZ 2013, 662 zur Klage des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg gegen Planfeststellungsbeschluss für BAB100).

BVerwG Urt. v. 28.2.2019 – 3 A 4.16: Ein Landkreis ist als Gemeindeverband im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes befugt, das ihm hinsichtlich der kreiskommunalen Aufgaben zustehende Recht auf Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG) geltend zu machen. Das Recht zur eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG bezieht sich aber nur auf die gesetzlich zugewiesene Aufgaben des eigenen Wirkungskreises. Aus Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, die dem Landkreis zur Erfüllung nach Weisung übertragen sind können sich keine eigenen Rechte des Landkreises ergeben.

Hebt die Widerspruchsbehörde den Ausgangsbescheid eines Landkreises auf, fehlt es bei übertragenen Aufgaben in der Sache an einer Klagebefugnis des Landkreise hiergegen, die für den Landkreis negative Kostenentscheidung nach § 80 VwVfG im Widerspruchsbescheid erledigt sich durch die Klage gegen den Widerspruchsbescheid, will das Gericht über die Kosten nach § 162 I VwGO entscheidet (so BVerwG, U. v. 09.12.2021 -4 C 3/20– NJW 2022, 1400).

BVerwG NJW 2004 698: Klage gegen Verkehrszeichen -hier: Radweg mit Pflicht, denselben zu benutzen. BVerwG: grundsätzlich Verletzung eigener Rechte und damit auch Klagebefugnis, S. 698 rechts unten. Im Fall war der Kläger nämlich aus der Stadt weggezogen. OVG Hamburg als Vorinstanz hatte gemeint, ein Kriterium der Nachhaltigkeit oder Regelmäßigkeit der Rechtsverletzung fordern zu müssen. BVerwG argumentiert mit Art. 19 IV GG. Man muss nämlich auch rechtswidrige Verkehrszeichen (als sofort vollziehbare Verwaltungsakte) beachten. Verhinderung nur bei Vorgehen gegen das Verkehrsschild selbst.

OVG Bremen, U. v. 13.12.2022 -1 LC 64/22- NordÖR 2023, 261

§ 45 I 1 StVO, § 10 Abs. 1 Satz 1 BremPolG und § 11 Abs. 2 BremVwVG begründen in Verbindung mit dem gesetzlichen Verbot des Gehwegparkens aus § 12 Abs. 4 und 4 a StVO einen individuellen Anspruch auf behördliches Einschreiten, soweit die Nutzbarkeit der Gehwege von Wohnstraßen dadurch in unzumutbarer Weise betroffen ist.

OVG Münster, Beschl. v. 31. 5. 2013 -19 B 1191/12 – NVwZ-RR 2013, 843:

Die Klage- und Antragsbefugnis für den Rechtsschutz gegen eine Schulauflösung steht nicht nur den Eltern und Kindern zu, welche die aufzulösende Schule gegenwärtig besuchen, sondern auch denjenigen Eltern und Kindern, welche sie in naher Zukunft (im bevorstehenden Schuljahr) besuchen wollen.

VGH München, B. v. 20.01.2014 -12 ZB 12.2766 NJW 2014. 715: Pflegeeltern fehlt die Klagebefugnis, wenn das Jugendamt im Wege hoheitlicher Obhutnahme nach § 42 SGB VIII die Pflegekinder herausnimmt. Sie müssen im Zivilrechtsweg eine Verbleibeanordnung nach § 1632 IV BGB erwirken -was sie danach können-.

VGH München, Beschluss vom 20.1.2014 – 12 C 13.2488- NJW 2014, 876:

§ 9 I UVG räumt dem alleinerziehenden Elternteil eine eigenständige Klagebefugnis zur Geltendmachung eines UVG-Anspruchs ein (Änderung der Rechtsprechung)

§ 9 I 1 Unterhaltsvorschussgesetz

Über die Zahlung der Unterhaltsleistung wird auf schriftlichen Antrag des Elternteils, bei dem der Berechtigte lebt, oder des gesetzlichen Vertreters des Berechtigten entschieden.

(Begründung: Rechtegeltendmachung nicht nur Vertretung, weil Norm insoweit dann unnötig wäre, so wirtschaftlich sinnvoll).

VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2004, 748: Zur Identitätsfeststellung im Bordell: Wohnungsdurchsuchung verletzt auch die Vermieterin der Räume (Wohnungsrecht am Flur etc.) in ihren Rechten. Keine Wohnungsdurchsuchung, wenn die Polizei nicht speziell nach Personen o.ä. durchsucht, sondern ohne Zimmertüren zu öffnen o. ä. alle angetroffenen Personen kontrolliert. Identitätsfeststellung verletzt Vermieterin nicht in eigenen Rechten

BVerwG NVwZ 2004, 610 Entscheidungsrez. Murswiek JUS 2004, 1026

Drittschützend ist im Imm.schutzrecht § 5 I Nr. 1 BImschG.

Hingegen dient § 5 I Nr. 2 BImschG (Vorsorge nach hM im Bereich, in dem noch nicht von einer Gefahr ausgegangen werden kann) er Allgemeinheit. Keine kausale Zurechnungen. Ausnahme, wenn keine Immissionsgrenzwerte festgelegt sind aufgrund des Minimierungsgebotes der TA Luft aufgrund § 48 BImschG

§ 5 BImSchG Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen

(1) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt

1.schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können;

2. Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen;

(…)

(..)

BVerwG, U. v. 10.4.2008 -7 C 39/07 mit Bespr. JUS 2008, 831: § 6 II Nr. 4 AtG (Genehmigung für Lager u. a., wenn der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist) ist drittschützend, auch soweit es um Vorsorge z. B. gegen terroristische Angriffe durch gezielte Flugzeugentführungen oder Beschuss von Castor-Behältern mit panzerbrechenden Waffen geht, (also noch unterhalb der Schwelle von Gefahrenabwehr , nämlich der Vorsorge), soweit die Szenarios nicht nur zum Restrisiko gehört. aA noch OVG: jedenfalls kein Schutz der Nachbarn (potentiellen Opfer), da durch Terror nur der Staat bzw. die Allgemeinheit herausgefordert werden soll.

Art. 6 I GG als Abwehrrecht des einzelnen Elternteils gegen Schulaufnahme, die Schule auf einseitigen Elternantrag vorgenommen hat trotz gemeinsamen Sorgerechts (und nicht bloß gemeinsames Elternrecht) OVG Münster B. v. 28.1.2008 -19 B 2010/07, 19 E 1278/07 NJW 2008, 1756 (Heft 24)

Zum Petitionsrecht: OVG Lüneburg, B. vom 29. 1. 2008 – 11 LA 448/07 NVwZ-RR 2008, 746

Art. 14 GG:

Verletzt Denkmalschutzrechtliche Genehmigung (hier für Silo in der Nähe eines Schlosses) subjektive Rechte des Eigentümers am Denkmal?

BVerwG entgegen den Vorinstanzen ja aus Art. 14 GG, U. vom 21. 4. 2009 – 4 C 3/08 NVwZ 2009, 1231: jedenfalls, wenn ein benachbartes Vorhaben die Denkmalwürdigkeit eines geschützten Kulturdenkmales möglicherweise erheblich beeinträchtige, müsse Eigentümer die denkmalrechtliche Genehmigung des Vorhabens anfechten können. Begründung: Die mit dem Denkmal verbundene Schutzpflicht des Eigentümers (muss viel Geld hineinstecken) würde es als widersprüchlich ansehen lassen, wenn die Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit ohne weiteres ginge. (Besprechung in Schübel-Pfister Jus 2010, 407,)

Auf die Eigentumsgarantie kann sich nicht berufen, wer das Eigentum nur erworben hat, um die Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die nach dem Rechtsschutzsystem der VwGO einem Eigentümer vorbehalten ist. (keine Klagebefugnis, weil Rechtsmissbrauch, wenn Grundstück nur als Sperrgrundstück erworben wurde BVerwG, Urteil vom 25.1.2012 – 9 A 6.10, NVwZ 2012, NVWZ Jahr 2012 S. 567,

Der aus Art. 14 Abs. 1 GG hergeleitete sogenannte einfache Bestandsschutz für ein legales Bauwerk gewährleistet nur das Recht, das Gebäude weiter so zu unterhalten und zu nutzen, wie es seinerzeit errichtet wurde (BVerwG Urt. vom 24.5.1993 Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 63). Geschützt wird ausschließlich das an Art. 14 Abs. 1 GG ausgerichtete Vertrauen in den Bestand der bisherigen Rechtsposition.

Vorhanden sein muss aber stets ein funktionsgerecht nutzbarer Bestand, vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen – OVG NRW -, Urteil vom 03. Februar 1994 – 11 A 1149/91 – (juris). Ist ein Haus infolge von Verfall nicht mehr nutzbar, hat es damit sein Bewenden, der Bestandsschutz ist erloschen. Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1972 – 4 C 212.65 -, DVBl. 1972, 219.

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VGH München, Beschl. v. 19.2.2020 – 11 ZB 19.1068, NVwZ 2020, 1205: Eine Kommanditgesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG fällt nicht unter den Begriff der „Wohnbevölkerung“ im Sinne des § 45 I 2 Nr. 3 StVO (Schutz vor Verkehrslärm). Es gibt für sie als juristische Person keine eigene Betroffenheit durch Verkehrslärm, auch nicht über Art. 14 GG. Sie kann auch nicht die Rechte der hinter ihr stehenden Gesellschafter als natürliche Personen geltend machen.

Art. 12 GG

BVerfG, B. v. 23.4.2009 -1 BvR 3405/08- NVwZ 2009, 977: Keine Defensive Konkurrentenklage gegen Aufnahme eines Krankenhauses in Krankenhausplan Fehlende Klagebefugnis bzw. Rechtsverletzung (nicht aus Art. 12 I GG und einfachem Recht) eines Krankenhauses gegen die Aufnahme eines Konkurrenzkrankenhauses in der Krankenhausplan, auch wenn Folge sein kann, dass später Betten reduziert werden müssen.

Verzicht/Präklusion als Verlust subjektiver Rechte,

betrifft m. E. und nach hM im Zweifel eher die Begründetheit

Absehen von Klagebefugnis nach § 42 II VwGO, wenn andere Gesetze ein Klagerecht einräumen:

1. sogenannte Verbandsklage = ausnahmsweise zugelassene Popularklage

Zur Verbandsklage VG Berlin NVwZ-RR 2003, 554: Klagebefugnis eines Verbandes gegen eine Baugenehmigung für ein Vorhaben im Außenbereich mit dem Argument, es hätte einer Bauleitplanung bedurft, in dessen Rahmen die Belange von Natur und Landschaft mit abgewogen hätten werden müssen

2. Klage eines anerkannten Naturschutzverbandes gegen Planfeststellungsbeschluss, wenn im Verfahren zuvor das Mitwirkungsrecht nach § 29 I BNatSchG(Sartorius 880) verletzt wurde

BVerwG: Dem Verband ist durch § 29 I 1 BNatSchG ein selbständig durchsetzbares subjektiv-öffentliches Recht auf Beteiligung am Verfahren eingeräumt ist (BVerwGE 87, 62 <69>),

Konsequenz aus Adressatentheorie bei bestehender Klagebefugnis und Rechtswidrigkeit des VA:

BVerwG (B. v. 14.4.2020 -9 B 4.19– LKV 2020, 314 Rdnr. 18):

Nach der aus Art. 2 1 GG abgeleiteten Adressatentheorie ist der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts nicht nur nach § 42 II VwGO klagebefugt. Vielmehr ist ein solcher Verwaltungsakt hiermit korrespondierend auch regelmäßig nach § 113 I 1 VwGO aufzuheben, wenn er sich als rechtswidrig erweist und deshalb durch die Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt ist Eine Verletzung in eigenen Rechten im Sinne des § 113 I 1 VwGO scheidet nur ausnahmsweise aus, wenn sich aus dem anzuwendenden einfachen Recht ergibt, dass eine bestimmte materiell- oder verfahrensrechtliche Anforderung, die der Verwaltungsakt verfehlt, ausschließlich dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt ist (Im konkreten Fall ist ein auf einer nichtigen Satzung beruhender Gebührenbescheid mangels Rechtsgrundlage aufzuheben, auch wenn die Gebühr an sich zu niedrig festgesetzt wurde).

Erledigung und Erledigungserklärung

I. materiell: Wann liegt Erledigung vor?

Faustformel: Erledigung liegt vor, wenn die Aufhebung des VA sinnlos geworden ist);

Legaldefinition für Erledigung in § 43 II VwVfG

bei akzessorischen Verwaltungsakten: (Nur), wenn der weitere VA mit Erledigung des Haupt-VA akzessorisch verbunden ist, da heißt sachlogisch zwingend dessen Schicksal teilt (Bsp.: BVerwG, Urt. v.15.11.1990 – 3 C 49/87 –: Zwangsmittelandrohung als Teil des Bescheides).

Nicht hingegen die bereits erfolgte Zwangsgeldfestsetzung (OVG Magdeburg, Urt: v. 23.10.2019 -2 L 51/17- LKV 2020, 85

Bei normativer Koppelung:

Mit Wegfall einer Tatbestandsvoraussetzung:

Bsp. Wohnsitzauflage für Ausländer nach Erlangung eines Aufenthaltsrechts:

§ 61 Id AufenthG setzt für die gesetzlich angeordneten Wohnsitzauflage voraus, dass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist. Liegt der Tatbestand der Wohnsitzauflage nicht mehr vor, erlischt diese nach § 43 II VwVfG auf andere Weise (OVG Greifswald, B. vom 26. Januar 2021 – 2 M 622/20 OVG- NordÖr 2021, 225; § 61 Id AufenthaltG: „Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, ist verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Soweit die Ausländerbehörde nichts anderes angeordnet hat, ist das der Wohnort, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat. Die Ausländerbehörde kann die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern; hierbei sind die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen.Der Ausländer kann den durch die Wohnsitzauflage festgelegten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen.“).

nach Vollziehung: wenn diese nicht rückgängig gemacht werden kann (arg. ex § 112 I 2 VwGO. Es sei denn (dann doch keine Erledigung): wenn noch negative Folgen bleiben, so zum Beispiel BVerwG, u. v. 25.09.2009 (-7 C 5/08- NVwZ 2009, 122 mit Bespr. JuS 2009, 368) : keine Erledigung, solange VA noch Grundlage der Vollstreckung ist (im konkreten Fall hätte der Betroffene nicht den Widerspruch gegen den Grund-VA zurücknehmen dürfen und konnte seine Einwendungen nicht im Verfahren gegen den Ersatzvornahmekostenbescheid geltend machen), zum Teil als „erweiterte Titelfunktion“ bezeichnet. Problem: Muss Rechtsmittelbelehrung darauf eingehen?.

Gegenauffassungen gibt es auch (vgl. den wenig einleuchtenden Aufsatz Jäckel NVwZ 2014, 1625

weiteres Bsp. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – 1 C 11/15. NVwZ 2017, 1064:

Eine Abschiebungsanordnung erledigt sich nicht mit dem Vollzug der Abschiebung. Erledigung tritt ein, wenn die Steuerungsfunktion, die dem VA ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist. Von einer Abschiebungsanordnung gehen auch nach dem Vollzug noch rechtliche Wirkungen aus. Denn die Verfügung bildet die Grundlage für den Leistungsbescheid über die Erhebung von Abschiebungskosten.

Aktueller Fall:

OVG Greifswald, B. v.19.10.2020 -3 M 303/20– NordÖR 2021, 178:

Eine baurechtliche Beseitigungsverfügung für eine Werbeanlage erledigt sich nicht durch die einmalige Entfernung der Anlage, weil die Anordnung der Beseitigung leicht auf- und abbaubarer baulicher Anlagen auch ein Verbot der Wiedererrichtung umfasst.

II. prozessual

1. übereinstimmende Erledigungserklärung:

wohl überwiegende Praxis in Berlin: Nur Kostenentscheidung nach § 162 II, III VwGO. Kein Verfahrenseinstellungsausspruch. Dieser ist aber woanders gängige Praxis, auch BVerwG und vereinzelt auch beim VG Berlin.

§ 161 II 2 VwGO: Zustimmungsfiktion, wenn Beklagter nicht zustimmt

2. einseitige: einseitige Erledigungserklärung:

2.1. prozessual: zulässige Klageänderung in Feststellungsklage (unabhängig von §§ 91, 142 VwGO, BVerwGE 34, 159)

2.2. TBV für Erfolg der Feststellungsklage : Erledigung

s.o.

knappe Zusammenfassung hierzu: BVerwG B. v. 23.07.2014 -6 B 1/14- NVwZ 2014, 1594

3. hM im Regelfall keine Voraussetzung Begründetheit der Klage bis zur Erledigung; wohl auch hM nicht einmal Zulässigkeit der Klage.

4. Ausnahmefall Berechtigtes Interesse des Beklagten wie FFK

5. Die Erledigungserklärung kann bis zur Zustimmung widerrufen werden.

Prozessuales VwGO

Zulässigkeit:

Beteiligtenfähigkeit

Erledigung und Erledigungserklärung

Feststellungsklage

Klagebefugnis

Nebenbestimmungen insbesondere Prüfungsschema für Klageart/Art des Eilrechtsschutzes

Normenkontrollantrag – § 47 VwGO

Prozessmaximen-Dispositionsmaxime, Amtsermittlung, Mündlichkeitsprinzip

Rechtsmittelbelehrung

Widerspruchsbescheid – Checkliste, Merkposten für die Abfassung

Widerspruchsverfahren – Merkschema und Einzelfragen

Begründetheit:

Ermessensergänzung – § 114 S. 2 VwGO

Vollstreckung:

Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen

Neuere Rechtsprechung

Neuere Rechtsprechung: aktuelle examensrelevante Entscheidungen

Neuere Rechtsprechung: aktuelle examensrelevante Entscheidungen zum Öffentlichen Recht mit klausurrelevanten aktuellen Rechtsfragen, typischen Prozesssituationen und/oder klausurgeeigneten Sachverhalten.

(Die ca. vier zuletzt eingestellten Entscheidungen aus dem 1. Halbjahr 2024 und aus 2023 gibt es exklusiv im internen Bereich.)

Neue Rechtsprechung 2023:

VG Düsseldorf, B. v. 07.03.2023 -16 K 591/23-

Kostenauferlegung bei unnötiger Hauptsachenklage.

VG Düsseldorf, B. v. 25.01.2023 -16 L 110/23- LMuR 2023, 195

Vorangegangener erfolgreicher § 80 V-VwGO-Antrag gegen eine nur mündlich erteilte (Gaststätten-)Schließungsverfügung.

Am 10.01. haben Bedienstete der Antragsgegnerin (AG) gegenüber der Antragstellerin (AS) mündlich angeordnet, dass deren Imbissbetrieb mit sofortiger Wirkung zu schließen sei und dass diese Anordnung für sofort vollziehbar erklärt werde. In der Sache bemängelt die AG ein fehlendes Handwaschbecken.

Den wörtlichen Antrag der AS „die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs/der Klage gegen die mündliche Verfügung des Antragsgegners vom 10.01.2023 wird hergestellt“ hat das VG ausgelegt als Begehren, die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragstellerin (AS) gegen die von der Antragsgegnerin (AG) am 10. Januar 2023 mündlich gegenüber der AS unter sinngemäßer Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochene Anordnung der Schließung des von der Antragstellerin unter der Anschrift T(….) betriebenen Imbissbetriebes wiederherzustellen.

Es fehle bereits an der erforderlichen schriftlichen Begründung nach § 80 III 1 VwGO. Als Notstandsmaßnahme nach § 80 III 2 VwGO sei die Anordnung nicht bezeichnet worden. Eine Notstandsmaßnahme liege auch nicht vor, weil das Fehlen des Handwaschbeckens erst nach drei Jahren moniert worden sei.

Die noch zu erhebende Klage werde voraussichtlich Erfolg haben. Rechtsgrundlage für die angeordnete Betriebsschließung sei § 39 Abs. 1 LFGB i. V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 1 b) VO (EU) Nr. 2017/625 über amtliche Kontrollen (Kontroll-VO).

Es sei bereits zweifelhaft, ob überhaupt ein Verstoß gegen die Hygienevorschrift des Art. 4 II i. V. m. Anh. II Kap. I Nr. 4 VO (EG) Nr. 852/2004 vorliege, wonach an geeigneten Standorten genügend Handwaschbecken vorhanden sein müssten.

Bei den Begriffen „genügend“ und „geeignet“ handele es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Konkretisierung im Einzelfall bedürfen und deren Anwendung auf den jeweiligen Sachverhalt der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliege.

Das VG erörtert dann breit unter Auswertung des Vorbringens, weshalb das unstreitig im Zubereitungsraum der Imbissgaststätte vorhandene Waschbecken ausreichen könnte und es deshalb keines im Hauptraum mit dem Bedientresen bedürfe.

Selbst bei einem unterstellen Verstoß habe die AG aber ermessensfehlerhaft gehandelt. Art. 138 I 1 b) Kontroll-VO eröffne ein Auswahlermessen, das die Behörde nicht erkannt habe. Art. 138 1 2 Kontroll-VO bestimme eine spezifische Ermessensdirektive für die zu treffende Auswahl. Hiernach berücksichtigten die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften. Als milderes Mittel dränge sich hier eine Ordnungsverfügung mit Zwangsmittelandrohung auf.

Besonders klausurgeeignet ist der Fall, weil zum einen das VG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO abgelehnt hat, weil die AS den ihr obliegenden Darlegungs- und Nachweispflicht hinsichtlich der wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe aus § 117 II ZPO nicht nachgekommen sei. Sie habe die ihr vorgelegte „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe“ nicht vollständig ausgefüllt und keine Belege beigefügt.

Zum anderen haben die Bevollmächtigten an dem Tag, an dem ihnen der Beschluss des VG zugegangen ist, in der Hauptsache die Klage erhoben, obgleich ihnen die Behörde zuvor bereits telefonisch angekündigt hatte, noch am selben Tag den Bescheid aufzuheben. Durch Beschluss vom 07.03.2023 hat das VG nach übereinstimmender Erledigungserklärung aus Anlass der tatsächlich erfolgten Aufhebung der Klägerin die Kosten nach § 161 II VwGO auferlegt, weil die Klageerhebung in dieser Situation mutwillig gewesen sei. Deren Bevollmächtigte irrten in der Annahme, nach Ergehen des Beschlusses habe es der Klageerhebung bedurft, um diesem zur Wirksamkeit zu verhelfen. Das Gegenteil sei der Fall, wie sich aus § 80 V 2 VwGO ergebe, was auch in den Beschlussgründen ausdrücklich erwähnt worden sei.

OVG Münster, B. v. 01.03.2023 -5 B 167/23 NVwZ-RR 2023, 952

VG Arnsberg, B. v. 14.02.2023 – 6 L 159/23

Klassisches Polizeirecht: Gefahr für die Öffentliche Ordnung durch Hissen der Reichsflagge?, Ermessensausfall

Die Stadt Hilchenbach (S, Antragsgegnerin) erlässt am 07.02.23 eine Ordnungsverfügung samt Sofortvollzugsanordnung und Ersatzvornahme-Androhung, mit der dem Antragsteller (A), einem Vertreter der Partei „Dritter Weg“, die Entfernung der Reichsflagge von dem Gebäude aufgegeben wird, in dem sich ein Parteibüro befindet.

Das VG Arnsberg lehnte den § 80 V-VwGO-Antrag ab. Das OVG hob den Beschluss auf und gab statt:

Das VG hat das formelle Begründungserfordernis des § 80 III 1 VwGO für eingehalten erachtet.

In der Sache hat es die Erfolgschancen der Klage gegen die Verfügung als offen anzusehen. Rechtsgrundlage sei die polizeiliche Generalklausel in § 14 I OBG NRW („Die Ordnungsbehörden können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung [Gefahr] abzuwehren“). Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung liege vor. Fraglich sei aber, ob die S das ihr eingeräumte Ermessen ausgeübt habe. Auch sei es nicht möglich, die Verhältnismäßigkeit zu überprüfen, insbesondere, inwieweit die durch die Verfügung geschützten Rechtsgüter einen Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG rechtfertigten. Bei derzeit offenen Erfolgsaussichten der Klage gehe die erfolgsunabhängige Interessenabwägung zu Lasten des A aus, weil dieser nichts dafür vorgetragen habe, weshalb gerade das Zeigen der Reichsflagge zusätzlich zu den sonstigen ohnehin an dem Gebäude zur Schau gestellten Fahnen, Bannern und Plakaten gerade aktuell eine besondere Bedeutung und Dringlichkeit habe.

Das OVG hat es im Ergebnis offen gelassen, ob eine Gefahr für die öffentliche Ordnung vorliege, ob also die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit verletzt wird, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet werde. Bei der Beurteilung konkreten Verhaltens könnten dabei Wertungen des Gesetzgebers aus einschlägigen Normen herangezogen werden. Das Zeigen der Reichsflagge reiche danach für sich genommen nicht. Nach der Rechtsprechung könne sich eine Gefahr jedoch aus dem Gesamtkontext der Verwendung der Flagge ergeben, wenn diese so verstanden werden kann, dass zu Einschüchterung, Diskriminierung und Gewalt gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern aufgerufen werde. Die entsprechenden Umstände müssten wohl deutlicher hervortreten als beim Zeigen der Reichskriegsflagge, wo u. U. bereits von einer Verwirklichung einer Straftat nach § 130 I Nr. 1 StGB (und damit einem Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit) ausgegangen werden könne.

Im Gegensatz zum VG geht das OVG von einem Ermessensfehler durch Ermessensnichtgebrauch auch. Denn der Ermessensspielraum sei nicht auf Null reduziert gewesen. Auch sei die S nicht einer tatsächlich zwingenden Vorgabe einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift gefolgt. Es fehlten vielmehr ermessenbegründende Ausführungen. Eine Ermessensausübung liege auch nicht – wie vom VG angenommen – in der Bezugnahme auf den einschlägigen Erlass des Innenministeriums. Dieser sehe in, dass die Ordnungsbehörden bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Ordnung „gehalten“ seien, „im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens bezogen auf den jeweiligen Einzelfall das Zeigen oder Verwenden der Reichs(kriegs)flaggen in der Öffentlichkeit auf der Grundlage der hierfür einschlägigen gesetzlichen Regelungen zu unterbinden“. Trotz der missverständlichen Formulierung („gehalten“) solle eine Ermessensentscheidung im Einzelfall erfolgen. Dies führt das OVG näher aus. Eine strikte Bindung ohne Möglichkeit der Berücksichtigung der etwaigen Besonderheiten des Einzelfalls sei wohl u. a. auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG nicht rechtmäßig.

Angesprochen werden vom VG auch die fehlende Anhörung (jedenfalls geheilt) und der Einwand, die S hätte zivilrechtlich gegen die A vorgehen müssen, weil ein Miet- oder Nutzungsrechtsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Die S wolle allerdings nicht mittels VA zivilrechtliche Ansprüche durchsetzen, sondern eine Gefahr nach § 14 I OBG NRW abwenden. Die Ersatzvornahmen-Androhung sei in Ordnung, insbesondere habe die S das richtige Zwangsmittel ausgewählt und hätte nicht ein Zwangsgeld androhen müssen, weil der A deutlich gemacht habe, die Flagge weiter zu hissen.

OVG Münster, B. v. 22.02.2023 -19 E 843/22-

VG Münster, B. v. 10. November 2022 – 1 L 819/22

Vergeblicher Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag, die Behörde im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin (A) einen Personalausweis mit einem Lichtbild von ihr mit Kopfbedeckung auszustellen. – Wiederholung der bekannten Problematik zu Art. 4 GG in anderem rechtlichen Zusammenhang als für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, Sportunterricht und Schwimmbadbesuch.

Sowohl das VG wie das OVG verneinen die nach § 166 I 1 VwGO i. V. m. § 114 I 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Erfolgschancen seien nur gering ohne dass dabei eine Beweisaufnahme vorweggenommen werde oder schwierige Rechtsfragen verfehlt schon im PKH-Verfahren durchentschieden würden.

Der Antrag in der Sache sei zwar als Regelungsanspruch nach § 123 I 2 VwGO zulässig. Es fehle aber an einem Anordnungsgrund. Es sei nicht überwiegend wahrschein, dass die A einen Anspruch auf Ausstellung eines Personalausweises mit einem Bild mit Kopfbedeckung habe.

Das VG stellt dabei zunächst die mögliche Anspruchsgrundlage aus einfachgesetzlichem Recht, § 9 I 1 („auf Antrag werden [….] Personalausweise ausgestellt“) i. V. m. § 1 PAuswG, dar und die Anforderungen an den Personalausweis nach § 5 PAuswG sowie nach § 7 PAuswV. Nach § 7 III 1 PAuswV muss das Lichtbild die Person in einer Frontalaufnahme, ohne Kopfbedeckung und ohne Bedeckung der Augen zeigen. Neben Ausnahmen nach § 7 III 3 PAuswV aus medizinischen Gründen können vom Verbot der Kopfbedeckung aus religiösen Gründen Ausnahmen zulassen werden, § 7 III 4 PAuswV. Ob eine Verhaltensweise (hier Anfertigen eines Ausweises mit Foto ohne Kopftuch und Vorzeigen des Ausweises mit diesem Bild) dem Schutzbereich des Art. 4 GG falle, hänge dabei in einem ersten Schritt vom Selbstverständnis der Betroffenen ab. Dieses sei dann in einem zweiten Schritt einer von der Behörde und den Gerichten, vorzunehmenden Ernsthaftigkeits- bzw. Plausibiliätsprüfung zu unterziehen. Es sei dabei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass diejenige, die unter Berufung auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht begehre, die Darlegungslast dafür treffe, dass sie durch verbindliche Ge- oder Verbote ihres Glaubens gehindert sei, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und dass sie in einen Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn sie entgegen den Ge- oder Verboten ihres Glaubens die gesetzliche Pflicht erfüllen müsste.

Hier habe die A solches weder konkret noch substantiiert dargelegt. Die pauschale Angabe, muslimischen Glaubens zu sein, genüge nicht, auch wenn damit konkludent behauptet sein sollte, das eigene Selbstverständnis decke sich mit jenem der Religionsgemeinschaft. Dies widerspräche der subjektiven Herangehensweise. Auch sei ein allgemeingültiges und eindeutiges Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft bezogen auf einzelne Verhaltensweisen nicht feststellbar. Das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft werde erst im Rahmen des zweiten Teils der Prüfung (Ernsthaftigkeits- bzw. Plausibiliätsprüfung) herangezogen.

Die Behörde habe Näheres auch nicht von A erfragen müssen.

Ein Anspruch daneben direkt aus Art. 4 GG scheide aus.

Die A könne sich auch nicht auf Art. 3 I GG aufgrund der Verwaltungspraxis der Behörde (Selbstbindung der Verwaltung) berufen. Die Behörde wende zwar auch für Personalausweise die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des

Passgesetzes (Passverwaltungsvorschrift – PassVwV) an. Aus dieser könne die A hier aber nichts herleiten (was näher ausgeführt wird).

Neuere Rechtsprechung 2022, 2. Halbjahr:

OVG Münster, U. v. 28.11.2022 -5 A 2808/19-, NJW 2023, 1146

VG Düsseldorf, U. v. 06.06.2019 -18 K 16606/17-

Erfolgreiche Feststellungsklage gegen eine Twittermitteilung der Polizei Duisburg:

Am 24.02.2017 fand in Duisburg ein als Risikospiel eingestuftes Spiel der Dritten Fußballbundesliege zwischen dem MSV Duisburg und dem 1. FC Magdeburg statt.

Die den Polizeieinsatz begleitende Einheit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei veröffentlichte um 17.44 Uhr über den offiziellen Twitter-Account der Polizei Duisburg (@polizei_nrw_du) den mittlerweile wieder gelöschten Tweet „#MSVFCM Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen, um die Durchsuchung zu verhindern.“ Beigefügt war ein Bild, auf dem im Wesentlichen eine größere Personengruppe zu sehen ist, unter anderem mit Cape die spätere Klägerin K.

Diese erhob eine Feststellungsklage und trug u. a. vor, sie habe das Cape nicht angezogen, um eine Durchsuchung zu verhindern. Der Beklagte B argumentierte u. a., die K sei auf dem Bild gar nicht erkennbar.

Die Klage mit dem Antrag festzustellen, dass dies Maßnahme des Absetzens dieses Tweets mit diesem Lichtbild rechtswidrig war, hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Beide Gerichte bejahen die Zulässigkeit und gehen insbesondere von einem besonderen Feststellungsinteresse in Form eines Rehabilitationsinteresses aus (das VG allerdings mit Zweifeln). Es gebe eine bis in die Gegenwart andauernde Stigmatisierung, die Außenwirkung habe: Das Anziehen des Regencaps werde durch die Verknüpfung mit der Absicht der Verhinderung einer Durchsuchung missbilligt und durch das Bild verstärkt. Eine Erkennbarkeit der K sei (in Auswertung des Parteivortrages im Abgleich von Bildern der K aus dieser Zeit) jedenfalls möglich.

Auf Begründetheitsebene hat das VG einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Kern verneint, weil die K auf dem Bild nicht erkennbar gewesen sei. Das OVG ist der Auffassung, dies sei unklar. Die Nichterweislichkeit der Tatsache gehe in diesem Fall ausnahmsweise nach Treu und Glauben zu Lasten des B, weil die Polizei das Bild gelöscht habe. Es ist weiter der Auffassung, dass sich die Absicht der Durchsuchungsverhinderung auf alle abgebildeten Personen beziehe.

In der Sache sei der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der K aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt. Für das Absetzen des Tweets samt Bild seien die Grundsätze maßgeblich, welche für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit gälten. Hier liege ein Verstoß gegen das Richtigkeitsgebot vor, was ausführlich dargestellt wird.

OVG Münster, U. v. 21.11.2022 -11 A 996/21- NVwZ-RR 2023, 369

Erfolgreiche Fortsetzungsfeststellungsklage gegen eine Anordnung, eine Hecke zurückzuschneiden: Unspektakulärer Fall, der aber mit dem Klassiker eine Fortsetzungsfeststellungsklage, einem Austausch der Ermächtigungsgrundlage, einem Gefahrentatbestand, für den der Sachverhalt ausgewertet werden muss, und dem Umgang mit einer Richtlinie genügend Material für eine Klausur bildet:

Die Beklagte gab dem Kläger, der Eigentümer eines Eckgrundstückes ist, mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid auf, seine rund 2 m hohe Hainbuchenhecke auf 80cm zurückzuschneiden, weil diese eine erhebliche Sichtbehinderung und damit eine Verkehrsgefährdung darstelle. Für die Beurteilung der Verkehrssicherheit in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen seien innerorts die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen, Ausgabe 2006 (RASt 06) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Straßenentwurf, heranzuziehen, nach denen hier (vereinfacht) der Sichtbereich frei bleiben müsse. Der Zustand verstoße gegen § 30 II StrWG NRW, wonach Anpflanzungen die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigen dürften. Es liege eine Verkehrsgefährdung und deshalb eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 14 I OBG NRW (Generalklausel) vor. Angesichts der Gefährdung von Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern durch die Sichtbehinderung sei der Ermessensspielraum.

Wenige Tage später ließ der Kläger habe die Hecke zurückschneiden und erhob dann Klage (auf Feststellung, „dass der Bescheid rechtswidrig gewesen sei“), die Erfolg hatte.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO analog zulässig. Da die Hecke wieder wachse, bestehe klassisch eine Wiederholungsgefahr.

Rechtsgrundlage für die Anordnung des Rückschnitts der Hecke sei § 30 IV 1 StrWG NRW („Werden Anpflanzungen oder Einrichtungen entgegen Absatz 2 Satz 1 angelegt, so sind sie auf schriftliches oder elektronisches Verlangen der Straßenbaubehörde von den nach Absatz 1 Verpflichteten binnen angemessener Frist zu beseitigen“). Dass die Beklagte die Anordnung auf § 14 I OBG NRW gestützt habe, sei unschädlich, weil der Verwaltungsakt durch den Austausch der Rechtsgrundlage nicht in seinem Wesen verändert werde. Es bleibe bei einer Maßnahme der Gefahrenabwehr, die im Ermessen stehe. Die Hecke des Klägers sei keine entgegen § 30 II 1 StrWG NRW („Anpflanzungen sowie [….] dürfen nicht angelegt werden, wenn sie die Verkehrssicherheit beeinträchtigen“) angelegte Anpflanzung gewesen, weil sie die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt habe. Eine solche Beeinträchtigung setze – mit Blick auf Art. 14 I GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – eine konkrete Gefahr voraus. Hier bedeute dies, dass durch die Anpflanzung mit ihren Folgewirkungen das Schutzgut Verkehrssicherheit nachteilig beeinflusst werden könne. Davon sei nicht auszugehen (unter Auswertung des vorgetragenen Sachverhaltes und einer durchgeführten Verkehrserhebung zu Beinah-Unfällen sowie des Eindrucks vom Ortstermin und gefertigter Bilder). Für die Beurteilung, ob eine konkrete Gefahr vorliege, könnten die RAST 06 allenfalls gewisse Anhaltspunkte bieten. Die RAST 06 enthalte keine verbindlichen Rechtsnormen. Sie lieferten lediglich Anhaltspunkte zur Ermittlung und Bewertung der Belange des Verkehrs Hinzukommen müsse ferner, dass diese Gefahr nicht hinreichend durch andere Mittel wie zum Beispiel das Aufstellen von Verkehrsspiegeln abgewendet werden könne. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt gewesen.

Das OVG führt dann noch aus, dass die im Bescheid auch enthaltene Ersatzvornahmeandrohung rechtswidrig gewesen sei und den Kläger in seinen Rechten verletzt habe. Es habe an einem rechtmäßigen Grundverwaltungsakt gefehlt habe. Dies halte ich nicht für richtig. Zum Zeitpunkt der Erledigung war der Grundverwaltungsakt zwar rechtswidrig, aber vollziehbar, was für die Vollstreckbarkeit ausreicht.

OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 26.10.2022 -OVG 1 S 56/22- ZUR 2023, 175,

VG Berlin, B. v. 01.08.2022 -1 L 193/22-

Das stationsungebundene Carsharing ist Gemeingebrauch an dem zum Kraftfahrzeugverkehr gewidmeten Straßen.

Erfolgreicher § 123 VwGO-Antrag auf vorläufige Feststellung.

Die Antragstellerinnen (A) bieten in Berlin stationsungebundenes Carsharing („Free Floating Carsharing“) mit Pkw ohne feste Stationen mit Abwicklung per App an.

Seit 01.09.2022 gilt in Berlin § 11a BerlStrG, nach dessen Abs. 1 der § 11 BerlStrG (Sondernutzung öffentlicher Straßen) für das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen, die selbstständig reserviert und genutzt werden können, und von Carsharingfahrzeugen nach Maßgabe der weiteren Absätze des § 11a BerlStrG. Auch der Ordnungswidrigkeitenkatalog des § 28 BerlStrG ist entsprechend ergänzt worden.

Die Antragstellerinnen haben im Mai 2022 einen gerichtlichen Eilantrag gestellt und mittlerweile auch Klage erhoben.

Ihr Antrag festzustellen, dass ihr jeweiliges Carsharing-Angebot vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht dem Anwendungsbereich des § 11a BerlStrG i. V. m. § 11 BerlStrG unterfalle, hatte Erfolg.

Die Eilanträge auf vorläufige Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens

eines Rechtsverhältnisses nach § 43 Abs. 1 VwGO seien hier zulässig, weil in der Hauptsache eine Feststellungsklage statthaft sei. Es lägen jeweils konkrete Rechtsverhältnisse vor. Die A begehrten –entgegen dem Vortrag des Antragsgegners- keine abstrakte Überprüfung des neuen § 11a BerlStrG, sondern wollten geklärt wissen, ob sie ab September 2022 für ihre Angebote Sondernutzungserlaubnisse benötigen. Art. 19 IV GG habe es (aus Sicht des VG noch im August) geboten, vorbeugenden Rechtsschutz schon vor Inkrafttreten des § 11a BerlStrG zu gewähren, weil es den A nicht zumutbar gewesen sei, Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen sich in Kauf zu nehmen.

Ein Anordnungsanspruch läge vor: Das stationsungebundene Carsharing auf öffentlichem Straßenland sei vom Gemeingebrauch gedeckt und keine Sondernutzung nach § 11a BerlStrG i. V. m. § 11 BerlStrG. Das Parken von Kraftfahrzeugen nach § 12 Abs. 2 StVO sei ein als verkehrsüblicher und gemeinverträglicher Vorgang des ruhenden Verkehrs. Ob sich ein Fahrzeug vorrangig zu Verkehrszwecken oder verkehrsfremd im öffentlichen Straßenraum befinde sei aus einer Gesamtschau aus der Perspektive eines objektiven Betrachters vorzunehmen. Die Carsharing-PKW würden nicht zu einem anderen Zweck als dem der späteren Inbetriebnahme abgestellt. Die Autos würden nicht verkehrsfremd zu Werbezwecken abgestellt. Dass dies im Rahmen gewerblichen Vermietens erfolge, vermöge diesen Verkehrszweck selbst nicht zu verdrängen wie bei normalen Mietwagen (Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1982 – BVerwG 7 C 73.79). Auch komme der Mietvertrag regelmäßig über die Handy-App zu Stande und nicht auf der Straße. Es werde keine Gewerbefläche für den Mietvertragsschluss räumlich auf Flächen des öffentlichen Straßenraums verlagert. Dem parkenden Fahrzeug selbst komme auch kein eigener rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu. Anders sei die Situation bei Mietfahrrädern auf Gehwegen, weil dort für die Anmietung das im öffentlichen Straßenraum abgestellte Fahrrad unentbehrlich ist für den Vertragsabschluss sei (Bezugnahme auf OVG Münster, Beschluss vom 20. November 2020 – 11 B 1459/20). Auch unterschieden sich die Mietfahrräder rein äußerlich von normalen, anders als die Carsharing-Autos hier. Auch gehe von den auf dem Gehweg abgestellten Mietfahrrädern ein größeres Risiko für Fußgänger aus.

Auch ein Anordnungsgrund sei glaubhaft gemacht angesichts der Rechtslage ab dem 1. September 2022. Insoweit sei auch eine Hauptsachenvorwegnahme kein Hinderungsgrund.

VG Frankfurt (Oder) B. v. 05.10.2022 -5 L 270/22- ZUR 2023, 118

§ -123 VwGO-Antrag auf Einschreiten der Ordnungsbehörde gegen Hahnkrähen

In ca. 20 m Abstand zum Haus der Antragstellerin (As) in der Stadt Müncheberg werden in einem nichtisolierten Stall als Hobby Hühner und ein Hahn gehalten. Der Hahn kräht je nach Sonnenaufgang ab 3 Uhr morgens. Die As leidet unter Schlafstörungen und begehrt von der Antragsgegnerin (Ag, Ordnungsbehörde) immissionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung zum Schutz der Nachtruhe. Diese solle dem jeweiligen Tierhalter gegenüber eine Ordnungsverfügung erlassen, den auf dem näher bezeichneten Nachbargrundstück gehaltenen Hahn in der Zeit zwischen 19.00 Uhr bis 8.00 Uhr in einem vollständig geschlossenen, möglichst abgedunkelten und schallisolierten Stall sowie in angemessener Entfernung zu ihrem Grundstück unterzubringen.

Zur Begründung hat sie sich auf ein von ihr erstelltes Lärmprotokoll bezogen.

Die Ag verweist auf die Ortsüblichkeit der Kleintierhaltung. Die Allgemeinheit sei nicht betroffen sei. Sonst beschwere sich niemand.

Der Antrag hat bezogen auf die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr Erfolg:

Das VG führt aus, § 40 I VwGO sei gegeben, weil § 21 I 2 Landesimmissionsschutzgesetz – (LImschG) die örtlichen Ordnungsbehörden zur Überwachung des § 10 I LImSchG (Nachtruhe; „von 22 Uhr bis 6 Uhr sind Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind.“) verpflichte. Dass die As auch beim Zivilgericht eine eV nach § 935 ZPO gegen den Nachbar erheben könne, sei unmaßgeblich. Der Antrag sei als Regelungsanordnung statthaft. Neben Art. 2 II 1 GG direkt und § 10 LImschG könne sich die As zur Antragsbefugnis auch auf § 3 II 1 LImschG als drittschützende Vorschrift für Anwohner berufen, wonach Tiere so zu halten seien, dass niemand durch die Immissionen, die durch sie hervorgerufen würden, mehr als nur geringfügig belästigt werde. Da die Ag das Ansinnen außergerichtlich sinngemäß abgelehnt habe, gebe es auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Antrag sei –soweit tenoriert- begründet. Die As habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Das Ermessen der Behörde sei auf Null reduziert. Die Hauptsachenvorwegnahme sei angesichts der vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Kauf zu nehmen, ein Abwarten der Hauptsachenentscheidung sei für As unzumutbar und mit irreparablen Nachteilen verbunden.

Die Behörde müsse einschreiten: Was die Nachbarschaft an Lärm durch Tierhaltung hinzunehmen habe, bestimme sich nach § 3 II LImschG, der mit § 117 OWiG korrespondiere. Das Hahnenkrähen zu unregelmäßigen Zeiten sei –was näher erläutert wird- schon wegen der Unregelmäßigkeit eine wesentliche Beeinträchtigung nach § 906 I BGB und mehr als nur geringfügig i. S. d. § 3 II LImschG, auch wenn die As sich als einzige beschwert habe. Das Krähen sei auch nicht als ortsüblich anzusehen, da die Gegend kein Dorfgebiet sei.

Das VG geht bei dieser Lösung wohl davon aus, dass die As nicht nur die Verpflichtung der Behörde zu einer vorläufigen Regelung begehre, sondern die Verpflichtung gleich zu einem Verwaltungsakt als Ordnungsbehörde wie in der Hauptsache. Dies halte ich für problematisch, ebenso wie der Umstand, dass der betroffene Hühnerhalter wohl nicht beigeladen worden ist und sich deshalb gegen die ergehende Verfügung wehren kann.

Das VG hat übrigens das Passivrubrum „im Hinblick auf § 8 Abs. 2 des brandenburgischen Verwaltungsgerichtsgesetzes (in entsprechender Anwendung) von Amts wegen berichtigt“. Antragsgegnerin ist damit wohl die Bürgermeisterin, Ordnungsbehörde, der Stadt und nicht die Stadt selbst. Das ist keinesfalls zwingend, weil § 8 II BbgVwGG nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gilt. Es hat die Kosten der Ag nach § 155 I 3 VwGO voll auferlegt und den Streitwert -konsequent- auf den vollen Regelstreitwert (5.000,00 €) festgesetzt, weil die Hauptsache vorweggenommen werde.

OVG Münster, U. v. 22.09.2022 – 22 D 263/21.AK-, NVwZ 2022, 1923

Unbestimmtheit des Klageantrages, Fehler in Rechtsmittelbelehrung bei erstinstanzlicher Zuständigkeit des OVG, unverhältnismäßige Nebenbestimmung.

Der Beklagte erteilte der Klägerin die Genehmigung zum Bau einer Windenergieanlage und versah diese unter „Inhalts- und Nebenbestimmungen“ mit ca. 100 Regelungen. Nach der Rechtsmittelbelehrung kann dagegen Klage „schriftlich beim Oberverwaltungsgericht Münster […] oder mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Oberverwaltungsgerichts Münster […]“ erhoben werden. Einen Monat nach Zustellung geht beim OVG ein Schriftsatz der Klägerin K ein, sie erhebe Klage gegen „einzelne Nebenbestimmungen“ des Genehmigungsbescheides. In einer noch nachzureichenden Begründung werde sie darlegen, gegen welche Nebenbestimmungen sich die Klage im Einzelnen richten solle. Später erklärt die K, dass sich ihre Klage gegen 13 jetzt genau bezeichnete Nebenbestimmungen richte. Im laufenden Verfahren nahm sie die Klage dann hinsichtlich von vier Nebenbestimmungen zurück, bezüglich weiterer 8 Nebenbestimmungen haben die Beteiligten übereinstimmend Erledigung erklärt, so dass das OVG nur noch über die in III E „Auflagen“ des Bescheides enthaltene Nebenbestimmung, „den direkt lesenden Zugriff mittels Fernüberwachungssoftware auf die [an anderer Stelle genannten] emissionsrelevanten Daten zu gewähren“, entscheiden musste.

Insoweit hat das OVG die Klage für zulässig und begründet angesehen.

Dessen erstinstanzliche Zuständigkeit ergibt sich offenbar aus § 48 I 1 Nr. 3a VwGO (Windenergieanlage an Land mit Gesamthöhe von über 50 m).

Schulbuchmäßig stellt das OVG zunächst fest, dass die isolierte Anfechtungsklage statthaft sei, weil die unter „Auflagen“ aufgeführte Nebenbestimmung keine Inhaltsbestimmung sei. Sie stelle eine von der Hauptregelung (Legalisierung der Anlage) zu unterscheidende zusätzliche, selbständig durchsetzbare Regelung dar, die nur der Überwachung (§ 52 BImschG) diene.

Der ursprüngliche Schriftsatz habe die Klagefrist wohl nicht gewahrt (das OVG lässt dies offen), da der Klagegegenstand im Sinne des § 82 I 1 VwGO nicht bezeichnet gewesen sei. Der Bescheid enthalte über 100 Nebenbestimmungen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen, insbesondere Immissionsschutz, Baurecht, Brandschutz, Natur-, Landschafts- und Arbeitsschutz sowie Flugsicherheit. Die K habe von vornherein nur gegen einzelne Nebenbestimmungen geklagt (und nicht erst mal gegen alle oder habe gar insgesamt Klage erhoben), der Klagegegenstand sei aber unklar gewesen. Die nachträgliche Einschränkung im nachfolgenden Schriftsatz sei keine noch -wie sich aus § 82 II VwGO ergebe- nach Ablauf der Klagefrist mögliche Ergänzung, Berichtigung, Ergänzung, Klarstellung oder Verdeutlichung. Anderenfalls könnte der Streitgegenstand noch nachträglich erweitert werden. Auch wäre der Umfang aufschiebende Wirkung nach § 80 I VwGO unklar.

Allerdings sei die RMB fehlerhaft, so dass die Jahresfrist des § 58 II VwGO gegolten habe. Eine Klageerhebung mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle könne nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 81 I 2 VwGO nur „bei dem Verwaltungsgericht“ erfolgen. Eine direkte oder analoge Anwendung bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem OVG scheide aufgrund des dortigen Vertretungszwang (§ 67 IV VwGO) aus, der ausdrücklich auch für die Einleitung des Verfahrens gelte.

In der Sache sei die Nebenbestimmung nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 12 I BImSchG gedeckt. Unter Bedingungen“ und „Auflagen in diesem Sinne fielen zwar auch Regelungen zu sogenannten Hilfspflichten, mit denen die Einhaltung der materiellen Anforderungen kontrolliert werden solle. Die konkrete Auflage sei auch noch von § 52 BImSchG gedeckt, aber unverhältnismäßig. Die Argumentation hierzu erschließt sich gut auch ohne Kenntnisse des spezifischen Fachrechts.

Die Kostenentscheidung (70% zu 30%) trifft das OVG klassisch als einheitliche aus §§ 154 I, 155 II und 161 II 1 VwGO.

Insgesamt eignet sich der Fall gut für eine Klausur.

VG Neustadt a. d. Weinstraße U. v. 08.9.2022 -4 K 1122/21.NW- NVwZ-RR 2023, 398

Klassisches Baurecht: Erfolgreiche Nachbarklage aufgrund Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme.

Die Klägerin K ist Eigentümerin eines Wohnhauses im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der den Bereich als reines Wohngebiet ausweist. In der Nähe befindet sich im Außenbereich ein im Eigentum der Gemeinde Lingenfeld stehendes 78.000 m² großes Grundstück, auf dem in der Vergangenheit zahlreiche sportliche Anlagen und Vereinsheime errichtet wurden. Ein solches Vereinsheim möchte der Lingenfelder Dorfmusikantenverein e.V. (Beigeladener, B) nun auch errichten. Geplant ist ein eingeschossiger Bau mit einem Probenraum, Saal, Küche, Lager und Sanitärräumen. Der Verein ließ im Baugenehmigungsverfahren ein Lärmschutzgutachten erstellen, das zu dem Ergebnis kam, dass die für ein reines bzw. allgemeines Wohngebiet geltenden Lärmgrenzwerte beim Probenbetrieb des Orchesters eingehalten werden könnten, wenn während der Probe die Fenster und Türen des Vereinsheims geschlossen bleiben. Die Baugenehmigung wurde unter einer Vielzahl von Auflagen zur erlaubten Nutzung erteilt, u. a. zur Einhaltung von Lärmgrenzwerten.

Der Widerspruch der K blieb erfolgreich. Die Kreisrechtsausschuss fügte allerdings weitere Nebenbestimmungen hinzu. Insbesondere wurde bestimmt, dass die zulässigen Musikproben nur innerhalb des Vereinsheims stattfinden. Die Fenster und Türen müssen während der Musikproben vollständig geschlossen werden und geschlossen bleiben.

Die Klage hatte Erfolg. Nach Ansicht des VG sei die Baugenehmigung rechtswidrig.

Verletzt sei das Die Rechtsverletzung der K folge hier aus einem Verstoß gegen das in § 1 LVwVfG i. V. m. § 37 I VwVfG verankerte Bestimmtheitsgebot in seiner nachbarlichen Ausprägung. Denn die ein „Vereinsheim mit Proberaum“ des Beigeladenen betreffende Baugenehmigung vom 04. März 2020 stelle nicht hinreichend sicher, dass das Bauvorhaben des B nicht gegen das drittschützende bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße:

Eine besondere Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme in Bezug auf Immissionen von Vorhaben, die – wie hier – im Außenbereich verwirklicht werden sollen, stelle § 35 III 1 Nr. 3 BauGB dar, wonach eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere dann vorliege, wenn u.a. ein Vorhaben „schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann“. In Anwendung des § 3 I BImSchG seien schädliche Umwelteinwirkungen in diesem Sinne solche Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet seien, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Die Grenze dessen, was Nachbarn an Einwirkungen zugemutet werde, decke sich mit den Anforderungen, die das BImSchG für nicht genehmigungspflichtige Anlagen festgelegt habe. Wann „schädliche Umwelteinwirkungen“ im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG unzumutbar sind, werde daher regelmäßig mit Hilfe von technischen Regelwerken wie der Freizeitlärm-Richtlinie bestimmt.

Hier seien nicht die Werte für ein reines Wohngebiet nach der TA-Lärm bzw. nach der Freizeitlärm-Richtlinie maßgeblich (wovon das Schallschutzgutachten ausgegangen sei), denn das Vorhaben soll im Außenbereich gebaut werden. Dort seien allenfalls die Immissionsrichtwerte einzuhalten, die nach der TA Lärm für Misch- oder Dorfgebiete gälten. Es sei ein Zwischenwert zu bilden, der jedoch hier nicht eingehalten werde: Individuelle immissionsrelevante Nebenbestimmungen wie hier führten nur dann zu einer hinreichenden Bestimmtheit in nachbarrechtlicher Hinsicht bzw. tatsächlichen bauplanerischen Konfliktbewältigung, wenn sie auf effektive Umsetzung angelegt seien, so dass bei realistischer Betrachtungsweise mit ihrer Beachtung gerechnet werden könne. Es sei hier aber nicht sichergestellt sei, dass die Nachbarn durch das Vereinsheim keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt würden. Denn es sei nicht damit zu rechnen, dass die Fenster und Türen während der Proben geschlossen gehalten würden. Es sei den Mitgliedern des B schlicht nicht zumutbar, im Sommer bei Außentemperaturen von über 30°C mit bis zu 52 Personen in einem ca. 99 m² großen Raum ohne Sauerstoffversorgung Blasinstrumente zu bespielen. Auch sei die Auflage für wirksamen Lärmschutz ungeeignet, weil das Verhalten der Vereinsmitglieder kaum beeinflussbar sei. Der Probenbetrieb finde hauptsächlich abends und am Wochenende stand. Zu diesen Zeiten sei beim Beklagten niemand und die Polizei habe erfahrungsgemäß nur wenig Kapazitäten, die Einhaltung von Auflagen einer Baugenehmigung ständig zu kontrollieren.

Darüber hinaus verstoße die Baugenehmigung auch unter dem Blickwinkel des sog. Etikettenschwindels, bei dem das zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben nur vorgeschoben sei, um der eigentlich beabsichtigten – unzulässigen – Nutzung einen genehmigungsfähigen Anschein zu verleihen, gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Bereits den Bauvorlagen sei hier zu entnehmen ist, dass die genehmigte Nutzung in Wahrheit gar nicht beabsichtigt sei, sondern lediglich deklariert werde, um das Vorhaben genehmigungsfähig erscheinen zu lassen.

Die Baugenehmigung sei nicht dahingehend zu verstehen, dass lediglich ein Proberaum genehmigt worden sei, in dem auch die Jahreshauptversammlung und Verwaltungssitzungen durchgeführt würden. Es sei vielmehr ein „Vereinsheim“ genehmigt. Ein solche genehmigte Nutzung lasse für den Musikverein eine Vielzahl von immissionsträchtigen Nutzungsmöglichkeiten offen. Eine Baugenehmigung für ein Vereinsheim umfasse bei der im Baurecht anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise auch eine Nutzung etwa zu Feier- und geselligen Veranstaltungen. Dass das Vereinsheim gerade auch zu geselligen Zusammenkünften genutzt werden solle, ergebe sich zudem aus dem Umstand, dass auch eine Küche vorgesehen sei sowie die geplante nach Süden hin ausgerichtete, überdachte Terrasse.

VG Hamburg, B. v. 08.09.2022 – 5 E 3639/22 –

Der Antragsteller (A) wendet sich im Wege vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen drohenden Ausschluss von einer Klassenfahrt.

Kurz vor den Sommerferien am 04.07.2022 entfernte sich der A ohne dass das dafür notwendige schriftliche Einverständnis der Mutter vorlag, am Ende eines Schulausfluges ohne Erlaubnis des Lehrers vom Klassenverband. Der Lehrer hatte dem A gegenüber darauf bestanden, dass ein Einverständnis der Mutter per WhatsApp nicht ausreiche.

Nach den Sommerferien beschloss die Klassenkonferenz als am 06.09.2022, den A von der Teilnahme an der Klassenfahrt (8. Klasse) vom 12. bis 16. September auszuschließen. Der Leiter teilte dies der Mutter des Antragstellers mit E-Mail vom 07.09 um 17:33 Uhr vorab mit. Ein Brief folge.

Der Antragsteller hat -vertreten durch seine Mutter- am 08.09.2022 um 9:28 Uhr einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Klassenfahrten seien wichtiger Bestandteil der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schulen. Die Schule habe nach den Sommerferien dreieinhalb Wochen gebraucht, um eine Klassenkonferenz einzuberufen.

Das VG hat am selben Tag die Akte (den „Schülerbogen“) beigezogen, dort ist ein Bescheid mit Datum 07.09 enthalten sowie eine unter dem 08.09 erstellte Anordnung der sofortigen Vollziehung. Ob der Bescheid vom 07.09 oder die Anordnung vom 08.09. der Mutter bereits zugegangen sind und ob nach Zugang des Bescheids Widerspruch eingelegt wurde, hat das VG zum Entscheidungszeitpunkt nicht gewusst.

Das VG hat den Antrag als zulässig, aber unbegründet angesehen.

Wegen Gefahr in Verzug nach § 1629 I 3 BGB werde der A ausnahmsweise wirksam durch seine Mutter alleine vertreten.

Statthaft sei ausnahmsweise ein Antrag nach § 123 I VwGO mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den A an der Klassenfahrt teilnehmen zu lassen.

Ein eA-Antrag sei zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG geboten. Der an sich vorrangige Antrag nach § 80 V 1 Alt. 2 VwGO setze nämlich einen bereits erhobenen Widerspruch auf den bereits bekanntgegebenen VA und eine zugegangene Sofortvollzugsanordnung voraus. Dem A sei es angesichts der der zeitlichen Knappheit ausnahmsweise nicht zumutbar, zunächst den Zugang von VA und Sofortvollzugsanordnung abzuwarten.

Es fehle allerding an einem Anordnungsanspruch. Ein Anspruch auf Teilnahme an der Klassenfahrt sei nicht als wahrscheinlich glaubhaft gemacht. Der (aus Sicht des VG) noch ergehende VA könne auf § 49 IV Nr. 2 HmbSG (Erziehungsmaßnahmen und Ordnungsmaßnahmen) gestützt werden.

Die Formalien seien wohl beachtet: Es gebe einen Beschluss der Klassenkonferenz (§ 49 VI 1 HmbSG), der A und seine Sorgeberechtigten seien nach § 49 V 1 HmbSG angehört worden.

Das nach § 49 I 3 HmbSG erforderliche Fehlverhalten liege vor: Der Vorfall vom 4. Juli 2022, bei dem der A eine Regel gebrochen habe.

Ermessensfehler bei der nach § 49 IV HmbSG zu treffenden Ermessensentscheidung lägen nicht vor. Die Klassenkonferenz habe ausweislich des Protokolls ihr Entschließungs- und auch ihr Auswahlermessen erkannt und ausgeübt.

Auch ein Ermessensfehlgebrauch zeige sich nicht. Die Erziehungsmaßnahmen sowie und die förmlichen Ordnungsmaßnahmen dienten nach § 49 I 1 HmbSG dem Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule und können nach § 49 I 2 HmbSG auch dem Schutz beteiligter Personen dienen. Die Klassenkonferenz habe ihr Ermessen an dem legitimen Zweck der störungsfreien Durchführung der Klassenfahrt und des Schutzes anderer Schülerinnen und Schüler ausgerichtet.

Die Maßnahme sei geeignet, obwohl sich der Vorfall vor den Sommerferien ereignet habe und auch danach noch drei Wochen verstrichen seien.

Auch von der Erforderlichkeit habe ausgegangen werden dürfen.

Die Belastung sei auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Bei der Verhängung förmlicher Ordnungsmaßnahmen handele es sich um pädagogische Wertungen, die sich einer Überprüfung am Maßstab der Rechtmäßigkeit weitgehend entzögen. Von den Gerichten könnten nur unsachliche und offensichtlich übermäßige Reaktionen auf das Verhalten des Schülers beanstandet werden. Der Beurteilungsspielraum der Klassenkonferenz, das gezeigte Fehlverhalten im Ergebnis als so gewichtig anzusehen, sei nicht überschritten.

Der Rechtsstreit enthält ein ganzes Bündel an prozessualen und materiellen Fragen und eignet sich deshalb gut als Klausur.

Gut vertretbar wäre m. E. auch die Auffassung, der Ausschluss als VA wäre angesichts der Mitteilung per E-Mail bereits ergangen. Dann hätte das VG vor einer Ablehnung des Antrages als solcher nach § 80 V-VwGO die Einlegung eines Widerspruches anregen müssen.

VG Düsseldorf, B. v. 05.07.2022 -23 L 849/22

Erfolgloser § 80 V-VwGO-Antrag gegen ein tierschutzrechtlichliches (Tier-)Halteverbot und gegen eine Bestätigung der Sicherstellung.

Die Antragstellerin A war dem Veterinäramt der Antragsgegnerin AG bereits bekannt. Als die A sich im Krankenhaus befand, alarmierte ihre Nachbarin, die den Wohnungsschlüssel von der A erhalten hatte, am selben Tag die Polizei. Diese veranlasste die Unterbringung der unter erbärmlichen Zuständen permanent in der Wohnung bzw. in Käfigen eingesperrten Tiere (ein Hund, zwei Katzen, fünf Nymphensittiche). Am nächsten Tag begutachtete die Amtstierärztin den Hund und die Katzen und ordnete die Sicherstellung der Tiere an. Nach vorangegangener Anhörung bestätigte die AG mit „Ordnungsverfügung“ die „Sicherstellung“ (Ziffer 1) und untersagte der A das Halten und Betreuen von Tieren (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung beider Ziffern wurde angeordnet, weil massiv tierschutzwidrige Haltungsbedingungen vorlägen und nicht auszuschließen sei, dass sich eine vergleichbare Situation mit den damit einhergehenden Schmerzen, Leiden und Schäden für Tiere wiederhole. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 3 wird unmittelbarer Zwang angedroht (Ziffer 3). Dagegen erhob die A Klage und beantragte ferner, die aufschiebende Wirkung der Klage anzufordern.

Das VG prüft klassisch in der Zulässigkeit die statthafte Antragsart und legt den Antrag hinsichtlich der Haltungsuntersagung als Antrag auf Wiederherstellung d. a. W aus. Gleiches gelte auch für die Bestätigung der Sicherstellung. Diese sei ein VA, wie sich aus dem Wortlaut Ordnungsverfügung und der Platzierung als Ziffer 1 des Tenors ergebe.

Auch § 80 III VwGO wird recht ausführlich geprüft. Die Ausführungen seien o. k., obwohl sie sich an sich nur auf das Halteverbot bezögen, weil eine Herausgabepflicht dann immanent bestünde.

Die Inzidentkontrolle bestätigt die beiden Verwaltungsakte: Die Sicherstellung sei ein in Abwesenheit des Adressaten im Wege des Sofortvollzuges durchgesetzter Realakt. Die Bestätigung der Sicherstellung sei ein VA, der auch in die Zukunft wirke. Die VA-Kompetenz folge aus § 16a I 2 Nr. 2 TierSchutzG. Es liege auch im Interesse des Adressaten, sich gegen einen VA wehren und vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 V VwGO erwirken zu können anstelle eines Eilantrages nach § 123 VwGO.

Das VG prüft und bejaht dann die Voraussetzungen des Sofortvollzuges nach § 55 II VwVG NRW: Die A habe ihre Tiere erheblich vernachlässigt und gegen § 2 TierSchG verstoßen, was ausführlich dargelegt wird unter Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Vortrag der A, wonach die Nachbarin T hinter allem stecke. Auch die Ziffer 2 der Verfügung sei rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig.

Insgesamt enthält der Fall genügend Material für eine Klausur mit Rechtfragen und Sachverhaltsauswertung.

Neue Rechtsprechung 2022, 1. Halbjahr:

OVG Münster, B. v. 16.05.2022 -1 A 2698/20–,

Rücknahmebescheid: Fehlender Vertrauensschutz, grobe Fahrlässigkeit bei einer Beamtin.

Der Fall spielt zwar im Beamtenrecht, einschlägige Rechtskenntnisse wären bei einer Verwendung in der Prüfung aber nicht vonnöten.

Die Klägerin ist Beamtin. Sie hat für die Eigenleistung in Höhe von 2.528 € welche ihr gesetzlich krankenversicherter Ehemann für Hörgeräte durch die Krankenkasse selbst aufbringen musste, als Beihilfeleistung 1.013,97 € bewilligt bekommen. Mit Teilrücknahmebescheid vom 20. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2018 nahm die Behörde die Bewilligung zurück und forderte die Betrag zurück. Denn nach § 3 III BVO NRW (Beihilfeverordnung) erhalten in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte berücksichtigungsfähige Personen Sach- oder Dienstleistungen (ärztliche und zahnärztliche Versorgung, ambulante und stationäre Krankenhausbehandlung, Heilmittel und so weiter) hierzu keine Beihilfen. Hörgeräte sind in diesem Sinne eine Sachleistung der Krankenkasse.

Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz nach § 48 II 1 VwVfG berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit nur aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt habe. Grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt gemessen an seinen individuellen Fähigkeiten in besonders schwerem Maße verletzt habe, sich ihm also nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre hätten aufdrängen müssen, die Leistung zu Unrecht zu erhalten. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn er einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt habe, erkannten Unklarheiten oder sich aufdrängenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Verwaltungsaktes nicht nachgegangen sei oder wenn sich für ihn Zweifel nur deswegen nicht ergeben hätten, weil er grob pflichtwidrig eine kritische Prüfung des Bescheides unterlassen habe. Denn der Bescheid habe selbst auf § 3 III BVO NRW hingewiesen. Auch im vorab übersandten Merkblatt mit Fettdruck u. a. auf die vorliegende Konstellation hingewiesen worden. Dort werde erläutert, dass die Vorschrift auch Hilfsmittel (wozu Hörgeräte gehören) betrifft und der Unterschied zwischen Sachleistungen und Zuschüssen erläutert. Dass eine erhaltene telefonische Auskunft nicht den gesamten Komplex habe erfassen können, hätte sie erkennen können (in einer Klausur wäre hierzu der gesamte gelieferte Sachvortrag auszuwerten).

Mangels Vertrauensschutz sei das Ermessen in Richtung einer Rücknahme intendiert gewesen (vgl. dazu näher hier).

Das OVG hat noch ausgeführt, dass es unschädlich sei, dass das VG als Ermächtigungsgrundlage für die Rückforderung den § 49a VwVfG angesehen, anstelle der von der Behörde richtig herangezogenen spezielleren Vorschrift des § 79 III LBG NRW i. V. m. § 15 II LBesG NRW.

VG Weimar, U. v. 03.05.2022 -7 K 1050/20 WE– NVwZ-RR 2022, 808:

Klage einer Gemeinde gegen den ihren Ablehnungsbescheid aufhebenden Widerspruchsbescheid. Vorliegen einer Gefahr

Die später Beigeladenen B beantragten eine Fällgenehmigung für eine auf ihrem Grundstück in Erfurt wachsende Schwarznuss. Dies lehnte die Stadt Erfurt mit Bescheid vom 25.10.2018 ab, weil kein Fällgrund bestehe, also keiner der Ausnahmen nach § 6 ihrer Baumschutzsatzung (BaumSchG) vom Fällverbot des § 5 BaumSchG vorliege. Auf den Widerspruch eines der B hin hob der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2020 die Ablehnung auf und verpflichtete die Stadt, die Fällgenehmigung zu erteilen, weil der Baum aufgrund einer nahen Gasleitung eine abstrakte Gefahr für Personen und Sachen von bedeutendem Wert sei. Die Klage der Stadt isoliert gegen den Widerspruchsbescheid hat Erfolg:

Sie sei als isolierte Anfechtungsklage i. S. d. § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft. Die Aufhebung des Ausgangsbescheides und die Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung der Fällgenehmigung stelle eine erstmalige Beschwer dar.

Grundsätzlich sei eine Kommune als Erstbehörde nicht klagebefugt, wenn die Widerspruchsbehörde diesen aufhebe, nämlich immer dann, wenn die Kommune eine staatliche Aufgabe wahrnehme. Anderes gelte nur bei der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides als letzter Behördenentscheidung seien die Ausführung und der Vollzug der Baumschutzsatzungen sind Aufgaben im eigenen Wirkungskreis der Kommunen, § 14 Abs. 1 ThürNatG.

In der Sache liege der einzig in Betracht kommende Ausnahme Fall des § 6 Abs. 1 Nr. 3 BaumSchS nicht vor. Danach kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden, wenn von dem Baum eine Gefahr für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgeht und die Gefahr nicht auf andere Weise mit zumutbaren Aufwand beseitigt werden kann. Dafür sei nämlich eine „echte“ Gefahr nötig, das heißt konkrete Anhaltspunkte für einen Schaden und nicht nur eine abstrakte (dies wird ausgeführt).

OVG Lüneburg B. v. 03.05.2022 -1 ME 31/22

Verknüpfung von Sachenrecht und Polizeirecht: Inanspruchnahme als Zustandsstörer trotz Aufgabe des Eigentums an einem Grundstück

§ 80 V-VwGO-Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Bescheid, ein Fachwerkhaus zurückzubauen samt Ersatzvornahmeandrohung (voraussichtliche Kosten: 30.000 €). Die Antragsteller (A) hatten das Anwesen noch minderjährig in einem bereits maroden Zustand geerbt. Dem Nachlassinsolvenzverwalter ist ein Verkauf des Grundstücks nicht gelungen. Nach Abschluss des Nachlassinsolvenzverfahrens 2014 erklärten die Antragsteller gegenüber dem Grundbuchamt die Eigentumsaufgabe. Sie meinen, sie könnten nicht als Zustandsstörer verantwortlich sein, da sie bereits nie Eigentümer geworden seien und jedenfalls wirksam das Eigentum aufgegeben hätten.

Der Antrag ist erfolglos geblieben. Als Ermächtigungsgrundlage hat das VG §§ 79 III 1, 56 NBauO gesehen. Die A seien als Eigentümer Verantwortliche im Sinne des § 56 NBauO. Ihre Eigentumsaufgabe sei sittenwidrig und deshalb nichtig, § 138 I BGB. Der erhebliche Sanierungsbedarf sei nämlich bereits damals bekannt gewesen. Das OVG hat die Entscheidung bestätigt: Die A könnten sich nicht auf § 873 I BGB berufen, da im Erbfall das Eigentum kraft Gesetzes übergehe, § 1922 I BGB. Die Zustandshaftung sei auch keine Nachlassverbindlichkeit, sondern entspreche eher einer nach dem Erbfall entstandene Nachlasserbenschuld.

Die Behörde habe die Verfügung zudem auf § 56 S. 4 NBauO i. V. m. § 7 III NPOG („Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen diejenige Person gerichtet werden, die das Eigentum an der Sache aufgegeben hat“) stützen können. Dass die Verweisnorm § 56 S. 4 NBauO erst 2019 und damit nach der Eigentumsaufgabe eingeführt worden sei, sei rechtlich unbeachtlich. Es handele sich um eine unechte Rückwirkung. Es sei nämlich seit langem anerkannt, dass die zivilrechtliche Haftung als Störer gemäß § 1004 BGB auch nach Eigentumsverzicht bestehe.

OVG Münster B. v. 31.03.2022 -9 B 159/22- NJW 2022, 1897,

VG Düsseldorf B. v. 24.01.2022 -16 L 53/22 :

§ 123 VwGO Eilantrag eines Bäckereiunternehmens, der Antragsgegnerin im Wege einer e. A. zu untersagen, auf der Internetseite „lebensmitteltransparenz.nrw.de“ den sich aus dem Anhörungsschreiben (…) ergebenden Inhalt zu veröffentlichen,

insbesondere den Vermerk: „An schwerzugänglichen Stellen wurde Mäusekot vorgefunden“, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Inhalt nur gemeinsam mit (der …) übermittelten Stellungnahme zu veröffentlichen. Das VG hat den Antrag abgelehnt, die Beschwerde hat Erfolg. Ein Anordnungsgrund liege angesichts der (noch) geplanten Veröffentlichung und deren irreparablen Folgen vor. Nach Auffassung des OVG besteht auch ein Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin können ihren öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruches auf Art.12 Abs. 1 GG stützen, weil ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit drohe. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für die staatliche Information nach § 40 Ia 1 Nr. 3 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) lägen nämlich wohl nicht vor („Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels [….] sowie unter Nennung des Lebensmittel[…]-unternehmens […], wenn der durch Tatsachen […] hinreichend begründete Verdacht besteht, dass […] 3. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist oder eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten ist und deswegen gemäß § 41 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.“).

Das OVG fordert klassisch eine verfassungskonforme Anwendung der Norm bereits auf Tatbestandsebene: Der Verdacht müsse durch Tatsachen belegt sein, der Verstoß von nicht nur unerheblichem Ausmaß und zusätzlich müsse ein Bußgeld/strafrechtliche Sanktionierung zu erwarten und deswegen eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt sein. Nach dem konkreten Sachverhalt, der in einer Klausur umfassend ausgewertet werden müsste, sind für das OVG diese Voraussetzungen nicht hinreichend gegeben. Das VG hatte den Sachverhalt noch anders interpretiert.

VGH Mannheim, U. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911

Kosten für Abschleppen eines Fahrzeugs wegen einer Anscheinsgefahr einer Trunkenheitsfahrt – Polizeirecht „vom Feinsten“.

Die Polizei hält am Sonntagmorgen um ca. 5 Uhr ein Fahrzeug an der mehrspurigen B 27 in Stuttgart an. Die Polizisten bemerken –so der Sachverhalt nach Beweiserhebung- deutlichen Alkoholgeruch im Fahrzeug, beim später klagenden Fahrer K glasige Augen, zittrige Finger und einen leicht schwankenden Gang. Einen Atemalkoholtest lehnt der K ab. Die Polizei untersagte die Weiterfahrt und ordnet eine Blutalkoholentnahme an. Das Fahrzeug steht verkehrsunsicher auf dem Fahrstreifen. Der Beifahrer, der Bruder des K, weigert sich, es wegzufahren. Auch jemand anderes wollen die Brüder nicht beauftragen. Die Polizei ordnet das Abschleppen an. Die Blutentnahme ca. 30 min später ergibt einen Blutalkoholwert von unter 0,08 o/oo.

Die Klage gegen den später ergangenen Kostenbescheid hat in erster Instanz Erfolg. Der VGH hat die Klage abgewiesen:

Rechtsgrundlage sei § 8 II 1 BWPolG. Danach sind die in den §§ 6 und 7 PolG bezeichneten Personen (Handlungsstörer/Zustandsstörer) zum Ersatz derjenigen Kosten verpflichtet, welche der Polizei durch die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme nach § 8 I 1 PolG entstanden sind („Die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme durch die Polizei ist nur zulässig, wenn der polizeiliche Zweck durch Maßnahmen gegen die in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann“).

Weil sofort gehandelt hätte werden müssen, sei am frühen Sonntagmorgen der Polizeivollzug zuständig gewesen, nicht die an sich zuständige Ortspolizeibehörde.

Der für ein unmittelbares Ausführen erforderliche fiktive Grundverwaltungsakt wäre rechtmäßig gewesen. Eine Maßnahme nach der polizeilichen Generalklausel wäre erforderlich gewesen. Das auf der Fahrbahne stehende Fahrzeug habe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt.

Der Kläger habe als Störer nicht zur Verfügung gestanden (der VGH geht von Zustandsstörereigenschaft nach § 7 BWPolG als Halter und sieht gleichzeitig den K als Fahrer für einen etwaigen Verhaltensstörer nach § 6 I BWPolG, die speziellere (Handlungs-)Verantwortlichkeit als Halter bleibt unerwähnt), weil er aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht zumindest eine Ordnungswidrigkeit begangen haben würde, wäre er weitergefahren (wird unter sehr ausführlicher Beweiswürdigung dargestellt).

Ermessensfehlerfrei habe die Polizei das Auto nicht selbst weggefahren, sondern ein Unternehmen beauftragt. Die entsprechende interne Anweisung sei sachgerecht, die Mehrkosten adäquat.

Entgegen dem Wortlaut („Entstehen [….] Kosten, so sind […]) habe die Behörde Ermessen, ob sie einen Störer zum Kostenersatz heranziehe. Regelmäßig sei zwar ein Störer heranzuziehen, in Ausnahmefällen wie bei einem Anscheinsstörer –wie hier- oder bei Gefahrenverdacht gelte jedoch anderes, wenn sich ex post die fehlende Gefahr bzw. die fehlende Verantwortlichkeit für die Verdachtsmomente herausstellen (Für Fälle, in denen die Gefahr durch/mit ein Auto verursacht wird, widerspricht dies m. E. der vorherrschenden Auffassung, die den Kfz-Halter immer für verantwortlich hält, solange er die Verfügungsgewalt nicht verloren hat; auch ansonsten ist eine Anscheinsgefahr eine echte Gefahr, auch soweit es um den Bezug zum Störer geht).

Der VGH geht von intendiertem Ermessen aus, so dass fehlende Ausführungen der Behörde unschädlich seien. Ausführlich wird dargelegt, weshalb sich der Kläger die Annahme seiner Fahruntüchtigkeit habe zurechnen lassen müssen, so dass kein Ausnahmefall vorliege.

Als „Kosten“ im Sinne des § 8 II 1 BWPolG habe die Behörde nicht nur die eigentlichen Unkosten (Rechnung des Abschleppunternehmens über 140 €), sondern auch eine Gebühr für die polizeiliche Tätigkeit vor Ort und eine für den Kostenbescheid selbst festsetzen dürfen „in Anlehnung an § 31 I BWVwVG“ („Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben.“). M. E. ist für eine rechtmäßige Gebührenfestsetzung eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung notwendig, weil Kosten nur tatsächlich entstandene sein können. Eine solche enthält aber § 4 II BWLGebG i. V. m der Gebührenverordnung Innenministerium und deren Anlage. Letztere wird vom VGH für die Überprüfung der Gebührenansätze auch herangezogen.

OVG Berlin-Brandenburg B. v. 07.02.2022 -OVG 1 S 131/21- NVwZ-RR 2022, 348

VG Berlin B. v. 17.09.2021 -1 L 277/21-

Konkurrentenstreit um eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung zum Betreiben eines Wochenmarktes.

Ein Sachverhalt, der sich schon ohne Umarbeitung fast wie ein Klausuraufgabentext liest.

Die Beigeladene veranstaltet seit knapp 20 Jahren einen Wochenmarkt auf dem Helene-Weigel-Platz in Berlin-Marzahn. Das zuständige Bezirksamt hat ihr mit Bescheid vom 30. April 2021 die für weitere Betreiben des Wochenmarktes ab dem 1. Juni 2021 erforderliche straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung nach §§ 46 II 1, 29 II StVO i. V. m. § 13 BerlStrG erteilt und mit weiterem Bescheid von diesem Tag den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Diese Antragstellerin beantragt beim VG unter anderem, 1. die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen den Ablehnungsbescheid und gegen die der Beigeladenen erteilte Ausnahme wiederherzustellen und 2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Hauptsachenentscheidung, längstens bis zum 31. Mai 2022, eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung für die Veranstaltung eines Wochenmarktes auf dem Helene-Weigel-Platz zu erteilen.

Das VG hat die aufschiebende Wirkung d. W. hinsichtlich der erteilten Genehmigung wiederhergestellt und den Antragsgegner im Wege der e. A. verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer bis zum 31. Mai 2022 befristeten straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung für die Veranstaltung eines Wochenmarktes (…) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Schulbuchmäßig hat es den § 80 V-VwGO-Antrag auf W. der a. W. des Widerspruches gegen den Ablehnungsbescheid zurückgewiesen, weil es sich nicht um eine Anfechtungssituation handele. Begehrt werde die Verpflichtung, die zulässig als Eilantrag nach § 123 VwGO verfolgt werde. Zulässig sei der §§ 80a III 2, 80 V VwGO-Antrag, soweit es die Anfechtung der der Beigeladenen erteilten Genehmigung betreffe. Die A sei antragsbefugt. Es geben einen Bewerbungsverfahrensanspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl (Art. 3 I, 20 III GG), weil hier die Auswahl eines privaten Marktveranstalters hoheitlich geprägt sei, weil der Marktveranstalter auch kommunale Interessen wahrnehme.

Der Bewerbungsverfahrensanspruch sei verletzt, weil das Verfahren und die Auswahlkriterien unklar seien (wird ausgeführt; die A hat wohl Fragen im auszufüllenden Fragebogen falsch verstanden). Rechtswidrig habe das Bezirksamt auch auf die Erfahrungen vor Ort abgestellt, obgleich im Straßenrecht das Kriterium „bekannt und bewährt“ anders als im Gewerberecht nicht berücksichtigt werden dürfe. Angesprochen hat das Gericht ferner u. a. die Fragen, ob es sein dürfe, dass die Beigeladene auf dem Markt einen eigenen Stand betreibe, das Verhältnis zur gewerberechtlichen Genehmigung, die die A hier fiktiv erhalten hat, §§ 6a II, 69 GewO). Der gewerberechtlichen Marktfestsetzung komme keine Konzentrationswirkung zu. Das VG hat sich ferner ohne nähere Ausführungen der im Vordringen befindlichen –m. E. richtigen- Auffassung angeschlossen, dass im Eilverfahren ein (vorläufiger) Neubescheidungsanspruch bestehen kann, wenn eine Genehmigung denkbar erscheint. Die Beschwerde der A., dass eine Genehmigung selbst hätte erteilt werden müssen, hat das OVG zurückgewiesen.

VG Frankfurt, B. v. 21.01.2022 – 5 L 148/22.F

§ 80 V-VwGO-Antrag, Versammlungsrecht:

Antragsteller wendet sich gegen einen am selben Tag ergangenen und für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der zuständigen Versammlungsbehörde (Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt/Main), mit welchem für eine ca. 10 Tage vorher für den 21.01. angemeldete Versammlung (Eine Abseilaktion über Autobahn mit dem Motto: „Spruchbänder an Autobahnbrücken sind kein Verbrechen – Autobahnen schon! Klimaschutz und Verkehrswende statt Strafverfahren gegen Aktivistis!“) u. a. die Auflagen erteilt werden, welche zum einen die Versammlung nur auf die betreffende Brücke über die BAB 648 in Frankfurt/Main räumlich und zeitlich auf die Zeit 21.01. 14.00 Uhr bis 15.00 Uhr beschränkt und zum anderen es untersagt, das Geländer der Brücke zu Übersteigen, zu überklettern oder sich am Brückengeländer abzuseilen. Das Kooperationsgespräch hatte am 19.01. stattgefunden. Der Antragsteller rügt mit seiner „Klage“ diese Auflagen und bemängelt, dass der Bescheid erst am Vortag am Nachmittag ergangen sei. Gleichzeitig hat er Widerspruch erhoben. Die Behörde trägt vor, dass die vom Antragsteller als Wohnort angegebene Adresse ein verlassenes Lager auf einem Feld bezeichne. Die Aktion sei zu (abstrakt) gefährlich, bei einer Sperrung der BAB 648 entstünden erhebliche Verkehrsprobleme und die (abstrakte) Gefahr von Unfällen.

Das VG hat dem Antrag überwiegend stattgegeben und die a. W. des Widerspruches mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Abseilaktion die Zeitspanne von 30 Minuten nicht überschreiten dürfe. Es hat dem Umstand, dass eine Klage erhoben wurde, nicht weiter problematisiert, sondern ohne Weiteres einen § 80 V-VwGO-Antrag angenommen. Die Anschrift des Antragstellers könne aus Zeitmangel nicht überprüft werden. Die Auflagen seien nicht nach Art. 8 GG i. V. m. § 15 VersammlG gerechtfertigt. Ebenfalls aus Zeitmangel sei davon auszugehen, dass hier –entgegen dem Behördenvorbringen- eine Sperrung der Autobahn nicht zu solchen Beeinträchtigungen führen werden, dass von einer konkreten Gefährdung von Verkehrsteilnehmer ausgegangen werden müsse, soweit sich die Abseilaktion auf angemessene 30 Minuten beschränke. Als obiter dictum führt das VG noch aus, alleine der Umstand, dass ein sofortvollziehbarer Bescheid erst mit einer Entscheidungsverzögerung ergangen ist, könne bei einer Interessenabwägung zur Stattgabe führen. Im konkreten Fall von Auflagen zu einer Versammlung habe die aus Sicht des Gerichts um jedenfalls einen Tag verzögerte Behördenentscheidung aber keine Konsequenzen im Hinblick auf Art. 19 IV GG gehabt, weil das Gericht noch rechtzeitig habe entscheiden können.

OVG Greifswald, B. v. 10.01.2022 -1 M 495/21 OVG- NJW 2022, 1635:

§ 80 V-VwGO-Antrag im Zusammenhang mit einer Verfügung, Hundegebell zu verhindern.

Die Antragstellerin A hält in einer dörflich geprägten Randlage mit großen Grundstücken drei Herdenschutzhunde, deren anhaltendes Bellen zu häufigen Beschwerden der Nachbarn führen. Der Antragsgegner -Amtsvorsteher- erlässt darauf unter Androhung der sofortigen Vollziehung die Verfügung: „Sie werden aufgefordert, nach Bekanntgabe dieser Ordnungsverfügung Ihre auf Ihrem Eigentum bzw. Besitz befindlichen Hunde auf Ihrem Grundstück (…) so zu halten, dass in den Ruhezeiten von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr des darauffolgenden Tages sowie an Sonn- und Feiertagen zwischen 13:00 Uhr und 15:00 Uhr das Hundegebell vollständig [unterbleibt] (…). In der Zeit zwischen 6:00 Uhr bis 13:00 Uhr und von 15:00 Uhr bis 22:00 Uhr sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Hundegebell auf ein Höchstmaß von täglich maximal 60 Minuten zu begrenzen. Das Höchstmaß bezieht sich nicht auf jegliches Hundegebell, sondern nur auf belästigendes, andauerndes oder häufiges Bellen.“

Der Widerspruch hiergegen wird vom Amt selbst beschieden, nicht vom Landkreis. Zusätzlich zur Klage erhebt die A den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und rügt u. a. diese Unzuständigkeit und in der Sache Unbestimmtheit der Regelung sowie zu strenge Anforderungen, in der Summe genug Stoff für eine Klausur.

Der Antrag hat nur zu einem Teil Erfolg.

Dass die falsche Widerspruchsbehörde entschieden hat (nach § 145 III Kommunalverfassung M-V ist Fachaufsichtsbehörde für die Amtsvorsteher der Ämter der Landrat als Kreisordnungsbehörde, § 3 I Nr. 2 SOG M-V; bei der ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehr handele es sich nicht um eine Selbstverwaltungsaufgabe, sondern um eine Landesaufgabe im übertragenen Wirkungskreis, § 1 IV SOG M-V), könnte im Hauptsacheklageverfahren nur zu einem Teilerfolg der isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides führen und ließe die Erfolgschancen der Klage gegen den Ausgangsbescheid selbst unberührt [Anmerkung: dies kann man auch gut anders sehen. Das OVG geht wohl von einem reinen Verfahrensfehler aus, der nur über einen (Hilfs-)Antrag nach § 79 I Nr. 2 VwGO Klagegenstand sein kann; ausgeblendet wird damit aber, dass nach § 79 I Nr. 1 VwGO der normale Klagegegenstand der Ausgangsbescheid in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Bei Ermessensverwaltungsakten –wie hier- kommt es also m. E. darauf an, ob auch die zuständige Widerspruchsbehörde im Rahmen ihrer vollen Ermessensüberprüfung zu keinem anderen Ergebnis kommen könnte, vgl. näher Kopp/Schenke, VwGO § 79 Rdnr 5.].

Das OVG hält die Verfügung hinsichtlich der Regelungen zum Lärm-Höchstmaß für bestimmt genug, da das Ziel der Vermeidung störenden Lärms klar sei.

Ermächtigungsgrundlage sei §§ 13, 16 I Nr. 2 SOG M-V) (Generalklausel) i. V. m. § 117 OWiG. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass Hundegebell insoweit nicht bis zu den Lärmgrenzwerten der TA Lärm erduldet werden müsse.

Unverhältnismäßig sei (nur), dass in den vorgegebenen Ruhezeiten jegliches Hundegebell untersagt werde. Die zusätzlich verfügte Zwangsgeldandrohung hat das OVG für rechtmäßig erachtet.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg B. v. 06.01.2022 – 5 S 19/21

§ 80 V-VwGO-Verfahren, Polizeirecht „Kampfhund-Fall“:

Antrag auf „Anordnung bzw. Feststellung“ der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen einen Bescheid vom 3.11, mit dem unter Zwangsmittelandrohung die Duldung der Sicherstellung, Unterbringung und Veräußerung der Hündin (ein American Staffordhire-Terrier) der Antragstellerin „S…“ angeordnet wird sowie den Bescheid vom 11.11., mit dem unmittelbarer Zwang festgesetzt wird. Vorangegangen waren drei Beißvorfälle und weitere Verletzungen des Leinen- und Maulkorbzwanges. Argumente der Antragstellerin: Eine Anhörung vorab sei nicht erfolgt und auch nicht nachgeholt, die Behörde stütze den Sofortvollzug auf § 30 XI HundeG Bln, wonach Anordnungen nach § 30 I bis VII und X HundeG sofort vollziehbar seien, nicht hingegen auf den hier angewendeten § 30 VIII HundeG. Der Bescheid vom 3.11. sei nicht begründet worden und in der Sache fehle eine Ermächtigungsgrundlage für eine Duldungspflicht (erlaubt werde „nur“ die Sicherstellung) und es sei offen, ob die Annahme, zuträfe, dass die Antragstellerin wiederholt und teilweise gröblich gegen Vorschriften des HundeG verstoßen habe. Auch die Festsetzung unmittelbaren Zwangs ohne vorangegangene Fristsetzung bei der Androhung als Fall von § 6 II VwVG (Sofortvollzug) ebenfalls rechtswidrig.

Antrag beim VG und die Beschwerde bleiben erfolglos: Es habe Gefahr im Verzug im Sinne des § 28 II VwVfG bestanden, auch sei ein Anhörungsmangel jedenfalls nach § 45 I Nr. 3, II VwVfG geheilt bzw. werde noch geheilt werden.

§ 30 VII 1 Nr. 2 HundeG sehe ausdrücklich eine Anordnung vor, also eine Regelung zu einer Sicherstellung bzw. über § 30 VIII HundeG, §§ 39f ASOG Verwahrung und Verwertung. Diese Normen schlössen es nicht aus, vorab eine Duldungspflicht auszusprechen. § 30 VIII HundeG sei nur eine Ergänzung des § 30 VII HundeG, nach dem sich die Ausgestaltung des Eilrechtsschutz richte. Der historische Gesetzgeber habe auch nur die Anordnung der Tötung (§ 30 IX HundeG) vom Sofortvollzug ausnehmen wollen.

Im Rahmen der summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin bei der Haltung der S wiederholt und teilweise gröblich gegen die Vorschriften des HundeG verstoßen habe. Als milderes Mittel sei nicht das bloße Untersagen der Haltung eines Hundes im Einzelfall in Betracht gekommen, weil der Antragstellerin generell die Eignung für das Halten und Führen eines gefährlichen Hundes fehle.

Eine Fristsetzung nach § 13 I 2 VwVG bei der Androhung sei zuletzt auch im Falle des § 6 I VwVG (gestrecktes Vollstreckungsverfahren) bei der Anordnung einer Duldung nicht erforderlich, weil einer Duldungspflicht in der Regel sofort nachgekommen werden könne.

Neue Rechtsprechung 2021, 2. Halbjahr:

OVG Magdeburg, B. v. 21.12.2021 -3 M 177/21- KommJur 2021, 478

Polizeirecht: Zustandsverantwortlichkeit des Waldbesitzers für Maßnahmen zur Beseitigung von Gespinstnestern in von Eichenprozessionsspinnern befallenen Wäldern (vgl. § 8 I 1 SachsAnhSOG: „Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten“). Die Gesundheitsgefahren gehen nach der RS nicht nur von den herrenlosen Raupen aus, weil deren Hinterlassenschaften an den Bäumen und am Boden hafteten. Der Beschluss beschäftigt sich auch mit der bejahten Bestimmtheit der Verfügung und mit der Verhältnismäßigkeit, die letztlich bejaht wurde, weil hinter der Antragstellerin das Land steht, in dessen Eigentum der betreffende Wald steht.

OVG Lüneburg, B. v. 17.12.2021 -1 LA 91/20 –

VG Osnabrück, U. v. 28.05. 2020 -2 A 84/18-

Der Kläger ersteigert 2017 ein in unmittelbarer Nähe einer Schleuse ein1948/49 errichtetes Doppelhaus, welches mit dem Hinweis „Nutzungseinschränkung nach BauGB (vermutlich nicht zu Wohnzwecken)“ angeboten worden war. Das Haus wurde nach der Errichtung zunächst bis längstens 1988 von der Bundesrepublik als Dienstwohnung für Schleusenwärter genutzt.

Er plant, das Doppelhaus zu allgemeinen Wohnzwecken zu nutzen.

Nach Anhörung forderte ihn aber der Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2017 zum Abbruch und zur ordnungsgemäßen Beseitigung des ehemaligen Schleusenwärterhauses und der Nebengebäude bis zum 25. Februar 2018 bzw. bis zwei Monate nach Unanfechtbarkeit des Bescheids auf. Mit weiterem Bescheid vom 21. November 2017 werden zudem die sofortige Einstellung von Umbau- und Nutzungsänderungsarbeiten angeordnet. Widersprüche und Klagen hiergegen bleiben erfolglos.

Die Anlage sei formell und materiell baurechtswidrig:

Der Nachweis, dass es eine Baugenehmigung für die Nutzung des Doppelhauses zu allgemeinen Wohnzwecken gibt, sei dem Kläger nicht gelungen, auch nicht als Anscheinsbeweis aus den Umständen, die nur darauf hindeuteten, dass das Doppelhaus als Unterkunft für die Wärter der Schleuse genehmigt und errichtet worden sei (hier gälte es im Klausurfall, den Sachverhalt auszuwerten). Ein allgemeines Wohnen sei auch nicht von der Variationsbreite einer seinerzeit erteilten Genehmigung gedeckt. Das OVG führt dann ausführlich aus, dass auch nach dem zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden Baurecht, § 3 Bauregelungsverordnung (BauRegVO) der Außenbereich grundsätzlich von Bebauung freizuhalten gewesen sei, weshalb in der Regel nur solche Anlagen genehmigungsfähig gewesen sei, die wegen ihrer Zweckbestimmung an den Außenbereich gebunden seien.

Eine allgemeine Wohnnutzung sei auch materiell illegal. Als sonstiges Vorhaben

i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB widerspreche es den Darstellungen des Flächennutzungsplans und lasse die Entstehung bzw. Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten.

Dem Kläger helfe auch nicht der Privilegierungstatbestand des § 35 IV 1 Nr. 4 BauGB, denn es handele sich nicht um ein Gebäude, das das Bild der Kulturlandschaft präge (nach Auswertung diverser Unterlagen). Der Erlass der Beseitigungsverfügung sei auch ermessensfehlerfrei. Insbesondere sei keine willkürliche oder planlose Ermessensbetätigung. Die Sachverhalte anderer Fälle lägen teilweise anders, ansonsten habe sie die Behörde den vorliegenden Fall ermessensfehlerfrei als Musterprozess herausgreifen dürfen.

Anmerkung: Die Verordnung über die Regelung der Bebauung (Bauregelungsverordnung, vom 15.02.1936) galt bis zum Inkrafttreten des Vorläufergesetzes des heutigen BauGB, des Bundesbaugesetzes v. 23. 6. 1960 (BGBl. I S. 341), also bis zum 29. 6. 1961.

§ 3 Bauregelungsverordnung [Außenbereich]

(1) Für bauliche Anlagen, die außerhalb von Baugebieten oder, soweit solche nicht ausgewiesen sind, außerhalb eines im Zusammenhang gebauten Ortsteiles ausgeführt werden sollen, soll die baupolizeiliche Genehmigung versagt werden, wenn ihre Ausführung der geordneten Entwicklung des Gemeindegebietes oder einer ordnungsgemäßen Bebauung zuwiderlaufen würde.

(2) Dies gilt namentlich für bauliche Anlagen, deren Ausführung unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen und andere Verkehrseinrichtungen, Versorgungsleitungen, Entwässerungsanlagen, Schulversorgung, Polizei- und Feuerschutz oder sonstige öffentliche Aufgaben erfordern oder deren Benutzung besondere wirtschaftliche Schwierigkeiten für die Bewohner ergeben würde.

VGH München B. v. 06.12.2021 -9 ZB 18.782NVwZ-RR 2022, 209

VG Würzburg, U. v. 22.02.2018 – W 5 K 16.794

Unzulässige Baunachbarklage gegen die Gemeinde

Die Kläger (K) wenden sich als gegen ein Bauvorhaben des Beigeladenen. Ihre Klage richtet sich aber nicht gegen den Freistaat als Rechtsträger der zuständigen Baubehörde (Landratsamt), sondern gegen die Gemeinde. Es gibt keine Baugenehmigung für das Bauvorhaben des Beigeladenen, dieser hat nur eine Bauvorlage im Genehmigungsfreistellungsverfahren für die Errichtung einer Halle eingereicht. Mit Schreiben vom 4. Juli teilt die Beklagte (B) dem Beigeladenen unter Bezugnahme auf Art. 58 BayBO mit, dass für sein Bauvorhaben kein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden solle. Sie mache von ihrem Prüfungsrecht keinen Gebrauch und beantrage keine Untersagung nach § 15 I 2 BauGB. Sie übersendet das Schreiben auch an die K. Das Begleitschreiben bezeichnete es als Bescheid und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Landratsamt Würzburg teilt den K mit Schreiben vom 29.Juli mit, dass das Genehmigungsfreistellungsverfahren zurzeit aus baurechtlicher Sicht nicht ausführbar sei und somit für das Baugrundstück aktuell kein Baurecht bestehe. Am 2. August erheben die Kläger Klage und beantragen, 1.) den Bescheid der B aufzuheben und 2.) die B zu verurteilen, dem Beigeladenen die Baugenehmigung für einen Neubau einer Halle (…) zu versagen. Die Klage sei aufgrund der RMB erforderlich.

VG und VGH halten beide Klageanträge für unzulässig.

Der erste Antrag sei als Anfechtungsklage nicht statthaft, es fehle an einem Verwaltungsakt. Die Erklärung der Gemeinde nach (dem jetzigen) Art. 58 II Nr. 5 BayBO sei kein VA, sondern eine schlichte Verfahrenshandlung (Realakt). Erkläre die Gemeinde, ein Baugenehmigungsverfahren nicht zu verlangen, liege darin nur eines der Tatbestandsmerkmale für eine Genehmigungsfreistellung. Der Bauherr könne nur zu einem (noch) früheren Zeitpunkt mit seinem Bauvorhaben beginnen (vgl. Art. 58 III 5 und 5 BayBO). Es werde nichts bindend festgestellt. Aus der Bezeichnung des Schreibens als Bescheid und der Rechtsbehelfsbelehrung folge nichts Anderes. Daraus könne aus Empfängersicht allenfalls abgeleitet werden, dass der Rechtsweg eröffnet sei. Eine Anfechtung der Freistellungserklärung sei aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich, weil die K auch ohne die Möglichkeit, die Mitteilung der Gemeinde vom 4. Juli 2016 anfechten zu können, gegenüber dem Vorhaben des Beigeladenen nicht rechtlos gestellt seien. Sie könnten bei der Bauaufsichtsbehörde einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten stellen und dann später dann soweit nötig Rechtsweg beschreiten.

Eine Erklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG , die nach der Rechtsprechung des BVerwG einen Verwaltungsakt darstelle, betreffe den anders gelagerten Fall, dass die zuständige Behörde feststelle, dass die geplante Änderung einer Anlage keiner förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Auch sei diese Norm gar nicht nachbarschützend.

Eine Umdeutung in ein Verpflichtungsbegehren auf bauaufsichtliches Einschreiten scheide aus, weil ein solches gegen den Träger der Bauaufsichtsbehörde zu richten wäre.

Dem 2. Klageantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die K keine Verbesserung ihrer Rechtslage erreichen könnten. Zulässigkeit unterstellt, würde sich die Klage auch gegen den falschen Beklagten richten.

Die K müssten die Kosten voll tragen. Von § 155 Abs. 4 VwGO sei nach Ausübung gerichtlichen Ermessens kein Gebrauch zu machen, obwohl eine vorprozessual erteilte falsche Rechtsbehelfsbelehrung ein Beteiligtenverschulden im Sinne dieser Vorschrift sein könne. Die K hätten allerdings das KIageverfahren auch nach entsprechenden gerichtlichen Hinweisen fortgesetzt.

OVG Hamburg, U. v. 08.11.2021 – 2 Bf 448/18 –:

Nichtigkeitsfeststellungklage; teilweise übereinstimmende Erledigungserklärung, Eintragung einer Baulast als Verwaltungsakt; Bestimmtheitsgebot; Haupt- und Hilfsantrag. Nichtigkeitsgründe nach § 44 VwVfG.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die auf seinem Grundstück ruhenden Baulasten unwirksam sind, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, diese Baulasten zu löschen.

VG und OVG halten den Haupt- und den Hilfsantrag jeweils für zulässig, aber unbegründet: Die Eintragung einer Baulast in das Baulastenverzeichnis gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 HamBauO sei ein mitwirkungsbedürftiger (dinglicher) Verwaltungsakt, der mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 43 VwGO angegriffen werden könne. Damit sie vollstreckt werden könne, müsse eine Baulastenerklärung dem Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG genügen. Im konkreten Fall (massenweise Baulasten für PKW-Stellplätze auf einem mit einem Parkhaus bebauten Grundstück in Hamburg-Mümmelmannsberg für die umgebenden Grundstücke) hat das OVG eine mangelnde Bestimmtheit verneint. Selbst wenn Unbestimmtheit angenommen werde und deshalb eine Vollstreckbarkeit ausscheide, läge mangels schwerwiegendem Fehler keine Nichtigkeit nach § 44 II VwVfG vor.

VGH München, B. v. 28.10.2021 – 11 CS 21.2148NJW 2022, 413

VG Augsburg, B. v. 23.07.2021 – Au 7 S 21.1407

Fahrerlaubnisrecht: Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund Eignungszweifel nach einer Straftat im Straßenverkehr.

Erfolgloser § 80 V- VwGO Antrag gegen eine für sofortvollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Einziehung des Führerscheins. Vorangegangen war eine Aufforderung zur Abgabe eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit der Besonderheit, dass die Fahruntauglichkeit nicht aufgrund einer Krankheit oder Drogen fraglich war, sondern geklärt werden sollte ob der Antragsteller ungeachtet einer erheblichen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr nicht auch künftig wiederholt gegen straf- und verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Anlass war ein Strafbefehl gegen den Antragsteller wegen versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung (massives Drängeln mit Lichthupe und Hupen, bei der nachfolgenden Verkehrskontrolle dann Duzen der Polizeibeamten). Nach § 11 III 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 I und II FeV (Feststellung der Eignung) bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, angeordnet werden.

VG und VGH folgen der Rechtsprechung, wonach bei Ausbleiben des geforderten Gutachtens nach § 11 VIII 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden darf, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Sie sehen keine formellen Defizite der Aufforderung, obwohl dort von „Nötigung“ anstelle „versuchter Nötigung“ die Rede ist. Da der Schluss in § 11 VIII 1 FeV trotz der Formulierung kein Ermessen einräume, sondern den Eignungsmangel bei grundloser Verweigerung einer Begutachtung begründe, habe die Behörde auch richtig mitgeteilt, dass sie von einem Fehlen ausgehen „werde“. Die Gutachtensfrage sei richtig angesichts § 2 IV 1 StVG („Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“). Die Anlassstraftat sei gravierend. Die Behörde habe auf den Nötigungsversuch abgestellt, nicht auf die nachfolgende Beleidigung. Auch das Ermessen sei richtig ausgeübt, obwohl die Behörde nicht ausdrücklich etwas dazu ausgeführt hat, warum sie bereits nach einem Verkehrsverstoß und damit außerhalb des Punktesystems von der Ermächtigung des § 11 III 1 Nr. 5 FeV Gebrauch gemacht habe.

Das VG hat zudem zusätzlich eine Interessenabwägung unabhängig von der Inzidentüberprüfung vorgenommen und § 80 III VwGO geprüft.

VG Berlin, B. v. 21.10.2021 – VG 14 L 453/21

§ 80 V-VwGO Antrag gegen eine Untersagungsverfügung des Ordnungsamtes, Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Auslegung einer Bescheidformulierung als bestimmend und nicht als bloßer Rechtshinweis; Anhörungsmangel, Bestimmtheitsgebot; Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung.

Der Antragsteller stellt in einem von der Straße aus allgemein zugänglichen Windfang Warentische zur Lebensmittelumverteilung bereit. Dorthin liefert primär ein lokaler Biomarkt aussortierte Lebensmitteln an. Deren Verteilung wird über WhatsApp- und telegram-Gruppen organisiert. Auch stellen dort weitere Personen Lebensmittel unkontrolliert und zur freien Mitnahme für jedermann hin. Das Bezirksamt untersagt nach Feststellung ungekühlter, verdorbener und unsauber aufbewahrter bzw. unverpackter Lebensmittel auf den Warentischen die weitere Lebensmittelumverteilung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Weiter formuliert es, dass die Wiederaufnahme des Inverkehrbringens nach Schaffung der hygienischen Voraussetzungen und nach vorheriger Zustimmung des Ordnungsamtes erfolge. Die hygienischen Voraussetzungen würden nicht eingehalten. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag und macht geltend, er sei kein „Lebensmittelunternehmer“ im Sinne der einschlägigen EU-VO und daher für die Lebensmittelumverteilung nicht verantwortlich.

Das VG hält den Antrag für zulässig. Doppelte Rechtshängigkeit bzw. entgegenstehende Rechtskraft bestehe nicht, weil der rechtskräftige vorangegangene Beschluss den dortigen als unzulässig abgewiesen hatte.

Es handele sich jetzt um einen § 80 V- VwGO Antrag, auch soweit es dieser Wiederaufnahme-Regelung betreffe. Darin sei ein Verwaltungsakt zu sehen (Auslegung: im Tenortenorteil enthalten, Formulierung von „Maßnahmen“, Schaffung eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt, welche so die EU-VO Nr. 852/2004 nicht vorsehe).

Die Verfügung ist nach Auffassung des VG formell rechtwidrig mangels vorangegangener Anhörung. Nur ausnahmsweise erscheine es angesichts der zeitlich nahen Heilungsmöglichkeit nach § 45 I Nr. 3 VwVfG noch vertretbar, nicht alleine deshalb die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

Die Untersagungsverfügung selbst sei o. K. Ermächtigungsgrundlage sei Art. 138 I b VO (EU) 2017/625. Auch der Antragsteller als altruistische Privatperson ein Unternehmer im Sinne dieser Norm, weil er eine mit dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausübe. Er verstoße fortwährend gegen Art. 6 I und II VO (EG) 852/2004 (Registrierungspflicht). Abzustellen sei insoweit auf den Zeitpunkt bis heute, weil es sich um einen Dauerverwaltungsakt handele. Auch verstoße er gegen Art. 4 II der Verordnung (Hygienevorschriften als solche), wie im Einzelnen dargestellt wird.

Auf der Rechtsfolgenseite liege ein intendiertes Ermessen hinsichtlich des Obs einer Maßnahme (Entschließungsermessen) vor. Das gewählte Mittel eines Verbots des Inverkehrbringens von Waren sei verhältnismäßig.

Es bestehe auch ein besonderes öffentliches Vollziehungsinteresse.

Hinsichtlich der angenommenen weiteren Verfügung fehle es an hinreichender Bestimmtheit, § 37 I VwVfG. Zum einen sei unklar, ob neben den hygienischen Voraussetzungen wirklich konstitutiv eine Zustimmung des Amtes erforderlich sei solle. Aber auch der Begriff der „hygienischen Voraussetzungen“ sei nicht hinreichend bestimmt. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel nach § 39 I VwVfG vor. Es werde nicht klar, weshalb die Behörde von einem im Recht nicht vorgesehenen Zustimmungserfordernisses ausgehe. Da dies gleichzeitig einen Ermessensausfall bedeute, könne dieser Mangel auch nicht geheilt werden.

VG Berlin, B. v. 6.10.2021 – VG 11 L 291/21- ZUR 2022, 112

Erfolgreicher Antrag nach § 80 VII 2 VwGO.

Das Bezirksamt hatte mit einer „Anhörung/Anordnung gemäß § 45 Straßenverkehrs-Ordnung“ in einer Straße in Berlin Friedrichshain die Kennzeichnung einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2) an. Ferner sollte die Fußgängerzone mit „Radverkehr frei“ ausgeschildert werden. Es wurden Zeichen 283-10 und 283-20 (Absolutes Haltverbot) angeordnet und sodann aufgestellt, zusätzlich das Zeichen 250 (Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge aller Art). Die Antragsgegner –Eigentümer bzw. Anwohner eines Hauses an der Straße legten Widerspruch gegen die Sperrung für den öffentlichen Durchgangsverkehr durch Personen- und Lastkraftwagen ein, über den noch nicht entschieden ist. Das VG ordnete rechtskräftig mit Beschluss vom 28. Juni 2021 (VG 11 L 164/21) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an und verpflichtete den Antragsteller zu Entfernung der Verkehrszeichen 250, 242.1, 283.10 und 283.20, der errichteten Poller sowie der Absperrungen (bestätigt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 9. September 2021 (OVG 1 S 97/21).

Nunmehr hat das Bezirksamt –nach vorangegangener bloßer Ankündigung- die straßenrechtliche Teileinziehung aufgrund § 4 I BerlStrG des betroffenen Straßenabschnitts und deren Vollziehbarkeit verfügt und diese Allgemeinverfügung im Amtsblatt von Berlin veröffentlicht.

Nach Auffassung des VG führt diese Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 80 VII VwGO dazu, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nunmehr überwiegt. Es bestünden nunmehr keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes.

Rechtsgrundlage sei § 45 I b 1 Nr. 3, 1. Alt., 2 StVO. Hiernach treffen die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen zur Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und ordnen die Kennzeichnung von Fußgängerbereichen im Einvernehmen mit der Gemeinde an.

Die Voraussetzungen für die Kennzeichnung eines Fußgängerbereichs lägen nunmehr vor.

Das gemeindliche Einvernehmen in diesem Sinne sei entbehrlich. Die Grundsätze zu § 36 BauGB zur Identität von Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde selbst bei unterschiedlich Organen seien übertragbar. Auf die Rechtmäßigkeit der Teileinziehung komme es angesichts deren sofortiger Vollziehbarkeit nicht an. Überdies sei eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG nicht ersichtlich, das nur durch § 10 III BerlStrG (Anliegergebrauch) geschützt sei. Aus § 4 I 3 BerlStrG („Von der Möglichkeit der Teileinziehung soll insbesondere dann Gebrauch gemacht werden, wenn zur Realisierung von Maßnahmen der Verkehrslenkung und Verkehrsberuhigung bestimmte Verkehrsarten auf Dauer von dem durch die Widmung der Verkehrsfläche festgelegten verkehrsüblichen Gemeingebrauch ausgeschlossen werden sollen.“) folge kein subjektives Recht.

OVG Münster, B. v. 27.9.2021 – 2 B 1299/21-,NVwZ-RR 2022, 125:

Zwangsvollstreckung: Durchsetzung einer bauordnungsrechtlichen Verfügung; Auslegung einer Erledigungserklärung als rein prozessual:

Gegen die Antragsteller war am 31. 07.2018 eine Ordnungsverfügung ergangen, mit welcher die Nutzung einer Wohnung untersagt wurde, weil eine Baugenehmigung fehle. Gleichzeitig wurde ein Zwangsgeld angedroht. In der Sache war das Gebäude abweichend von der ursprünglichen Baugenehmigung errichtet worden. Später dann wurde auf dem Nachbargrundstück eine Abstandsflächenbaulast eingetragen und am 13.06.2019 eine Baugenehmigung mit Nebenbestimmungen erteilt. Im Klageverfahren gegen den Bescheid erklärten die Antragsteller daraufhin im August 2019 den Rechtsstreit für erledigt, die Baubehörde schloss sich dem im Oktober 2020 an. In ihrem § 80 V-VwGO-Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den nunmehr ergangenen Zwangsgeldfestsetzungsbescheid vom 18.02.2021 wenden die Antragsteller ein, die Nutzungsuntersagung hätte sich durch die Baulasteintragung und die Baugenehmigung erledigt, jedenfalls durch die übereinstimmende Erledigungserklärung. Auch hätte das Zwangsgeld nochmals angedroht werden müssen und das Zwangsgeld nicht einfach nach zweieinhalb Jahren verhängt werden dürfen. Der Antrag ist erfolglos geblieben.

Nach Auffassung des OVG war die Wohnnutzung auch nach der Baulasteintragung und der (zweiten) Baugenehmigung bereits weiterhin formell illegal, weil nach § 84 VIII NRWBauO die Aufnahme der Nutzung nicht bereits mit der Baugenehmigung erlaube, sondern erst mit der ordnungsgemäßen Fertigstellung (vgl. § 84 VIII 1 NRWBauO: „Anlagen im Sinne des Absatzes 1 dürfen erst benutzt werden, wenn sie ordnungsgemäß fertig gestellt und sicher benutzbar sind, frühestens jedoch eine Woche nach dem in der Anzeige nach Absatz 2 genannten Zeitpunkt der Fertigstellung.“). Eine der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung wiederholte dies sogar ausdrücklich. Eine weitere Nebenbestimmung mit Anforderungen an ein Treppenhaus sei zudem noch nicht erfüllt.

Der Anschluss an die klägerische Erledigungserklärung sei nach dem Erklärungsinhalt eine rein prozessuale Erklärung gewesen. Das OVG folgt der gängigen Rechtsprechung: Diese sei auch geboten gewesen, da die Behörde kein berechtigtes Interesse an der alleine noch möglichen Feststellung, dass Erledigung nicht eingetreten sei. Eine Erklärung, dass sich die Nutzungsuntersagung selbst erledigt habe, sei damit nicht verbunden gewesen.

Das Ermessen, nunmehr noch ein Zwangsgeld festzusetzen, sei rechtsfehlerfrei ausgeübt worden. Eine Verwirkung liege nicht vor: Die Verzögerung läge an wiederholten Versuchen der Antragsteller, einen formal legalen Zustand herbeizuführen. Es gebe keine Anzeichen für eine aktive Duldung der rechtswidrigen Nutzung.

VGH Kassel, B. v. 22.09.2021 -8 B 1929/21 NVwZ-RR 2022, 243

VG Wiesbaden B. v. 16.09.2021 -6 L 1174/21.WI

Sonntagsfrage auch nach Briefwahl?

Die Antragstellerin A, das Meinungsforschungsunternehmen Forsa, erstellt aufgrund von Umfragen Prognosen über das Wahlverhalten. Sobald vor einer Wahl die Möglichkeit besteht, die Stimme per Briefwahl abzugeben, fragt die A die Umfrageteilnehmer zunächst, ob und gegebenenfalls wie sie bereits per Brief gewählt haben. Wer noch nicht gewählt hat, wird anschließend nach seiner voraussichtlichen Wahlentscheidung gefragt. Mit Schreiben vom 24.8.2021 und vom 6.9.2021 bat der Antragsgegner, der Bundeswahlleiter (B) u. a. die A unter Hinweis auf § 32 II BWahlG („Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig) und die gesetzlich vorgesehene Geldbuße von bis zu 50.000 €, es zu unterlassen, vor 18 Uhr des Tages der Bundestagswahl Ergebnisse von Wählerbefragungen zu veröffentlichen, denen mit Wissen der Ast. auch Daten von Befragten zugrunde liegen, die ihre Stimme zur Bundestagswahl bereits per Briefwahl abgegeben haben. § 32 Abs. 2 BWahlG verbiete ganz allgemein die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach einer Stimmabgabe vor Ablauf der Wahlzeit. Ansonsten entstünde angesichts des hohen Briefwahlanteil schon vor dem Schluss der Wahllokale ein Bericht über die tatsächliche Stimmabgabe zur bevorstehenden Bundestagswahl.

Die A beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache (bereits erhobene Feststellungsklage) festzustellen, dass es nicht gegen § 32 II BWahlG verstoße, wenn A vor dem Wahltag der Bundestagswahl Ergebnisse von Befragungen veröffentliche, denen als aggregierter (nicht gesondert ausgewiesener) Bestandteil auch die Angaben von Briefwählern über ihre bereits getroffenen Wahlentscheidungen zugrunde lägen.

B hält den Antrag für bereits unzulässig. Denn er sei ein unabhängiges Wahlorgan und stehe außerhalb der Verwaltungsorganisation des Bundes. VwGO und VwVfG fänden keine Anwendung.

Der Antrag hat Erfolg: § 40 VwGO sei einschlägig. Eine abdrängende Sonderzuweisung gebe es nicht. Die Spezialvorschrift des § 49 BWahlG finde keine Anwendung. § 49 BWG erfordere den Streit um Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezögen. Das Schreiben des B an die A sei keine solche Maßnahme, denn es betrifft das Wahlverfahren nicht unmittelbar, sondern das Verhalten Dritter im Zusammenhang mit der Wahl. § 32 II BWahlG beziehe sich auch nicht auf das Wahlverfahren selbst.

Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 49 BWahlG, Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Rahmen der Wahl und die Wahlanfechtung in Umsetzung von Art. 41 GG einem besonderen Verfahren, spreche gegen die Anwendung im vorliegenden Fall. Auch aus § 49a BWG folge, dass bestimmte Entscheidungen des B, die die Wahl nur mittelbar betreffen, wie Bußgeldverfahren gerade wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 2 BWahlG nicht der Wahlprüfung unterlägen.

Weil der B keinen Verwaltungsakt erlassen habe, sei § 80 V VwGO nicht vorrangig.

Die Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog) und ein qualifiziertes Feststellungsinteresse lägen vor: Ein nur nachträglicher Rechtsschutz sei angesichts des Bußgeldverfahrens gegeben.

Die Antragstellerin sei auch schutzwürdig. Hieran würde es fehlen, wenn sich die Antragstellerin sehenden Auges in das Risiko begeben hätte, eine Strafe für ein von ihr für rechtmäßig gehaltenes Verhalten zu erhalten, indem sie weitere Umfrageergebnisse veröffentlicht hätte.

Richtiger Antragsgegner sei der Bund (§ 78 I VwGO analog), vertreten durch den Bundeswahlleiter als besonderem Wahlorgan (

Der Antrag sei auch begründet, weil ein Anordnungsanspruch bestehe. Nach Auffassung des VGH fällt eine Briefwahl nicht unter § 32 II BWahlG, da diese nicht unter den Begriff der Stimmabgabe zu fassen sei.

OVG Münster, B. v. 09.09.2021 -15 B 1468/21NJW 2021, 3673

In zweiter Instanz erfolgloser Antrag der AfD, ihr am 11.09 von 9 bis 22 Uhr für eine Wahlkampfveranstaltung eine Stellfläche von 600 m² im Volkspark Rheinhausen, einer öffentlichen Einrichtung, in Duisburg zur Verfügung zu stellen. OVG: Der Gleichbehandlungsanspruch aus § 5 I PartG, Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG wird nicht verletzt, obwohl die SPD Rheinhausen dort seit über 40 Jahren ihr Parkfest durchführen darf. Denn es müsse zwischen Wahlkampfveranstaltungen und Volksfesten mit primär unterhaltendem Charakter unterschieden werden.

VG Freiburg, U. v. 29.07.2021 – 10 K 4722/19 MMR 2021, 1013

Erfolgreiche Feststellungklage, dass die Bildobservation einer Friday-for future Versammlung in Freiburg mit einer Drohne durch die Polizei rechtswidrig gewesen ist.

Ausführungen in der Zulässigkeit zum Bestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 I VwGO (ja: in Frage steht, ob eine Duldungspflicht besteht), zum berechtigten Feststellungsinteresse (konkrete Wiederholungsgefahr und Interesse bei tiefgreifendem erledigtem Grundrechtseingriff bejaht). In der Sache ist das Urteil nicht überraschend: Die Beobachtung ist ein Eingriff in die (innere) Versammlungsfreiheit. §§ 19a, 12a VersammlG (das mangels Landesrecht einschlägig ist) scheiden zur Rechtfertigung aus (wird ausführlich dargestellt). Anderer Ermächtigungsgrundlagen gibt es nicht. Anmerkung: Das Urteil enthält entgegen § 167 VwGO keinen Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit.

OVG Berlin-Brandenburg, B. v.16.07.2021 -OVG 1 N 32/21NVwZ-RR 2021, 1011 u. NJ 2021, 421, VG Berlin, U. v. 15.03.2021 -VG 4 K 313.19

Erfolglose Anfechtungsklage gegen den Entzug eines Standplatzes auf dem Winterfeldtplatz (=Widerruf der Zulassung). Ermächtigungsgrundlage jedenfalls § § 49 II 1 Nr. 1 VwVfG aufgrund Verstößen gegen die Teilnahmebedingungen (zu späte Verkaufsbereitschaft, Missachtung der Anweisungen des Markmeisters), die bestimmt genug seien. § 69 Abs. 2 GewO verpflichtet die Festsetzung eines Wochenmarktes den Veranstalter zur Durchführung der Veranstaltung. Diese Verpflichtung des Marktveranstalters zur Marktdurchführung berechtigt ihn seinerseits, innerhalb der festgesetzten Öffnungszeiten von den Markthändlern die Verkaufsbereitschaft zu verlangen. Die Konkretisierung dieser Pflicht gegenüber dem einzelnen Händler kann auf die generalklauselartige Formulierung in Ziffer 2.1 der Teilnahmebestimmungen gestützt werden („[Der Marktmeister] trifft die erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen für den Marktverkehr. Seine Anordnungen sind sofort zu befolgen,….“). Ermessensfehler lägen nicht vor.

VGH München, B. v. 08.07.2021 -15 CS 21.1642- NVwZ-RR 2021, 1047

VG Regensburg, B. v. 19.05.2021 -RN 6 S 20.3192-

Erfolgloser § 80 V-VwGO-Antrag gegen die Feststellung eines (weiteren) Zwangsgeld über 5.000,– € wegen der Nichtbefolgung eines bestandskräftigen Baueinstellungsbescheids. Mittlerweile gibt es auch eine Abrissverfügung, die nicht sofort vollziehbar erklärt wurde. Nach Auffassung der Gerichte hat sich die Baueinstellungsverfügung entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht nach Art. 43 II BayVwVfG auf andere Weise erledigt. Dies wäre erst nach Fertigstellung bzw. nach Beseitigung des Baues der Fall. Die Behörde hat auch noch aktuell ein Vollstreckungsinteresse, damit die spätere Vollstreckung der Abrissverfügung (auf deren Kosten der Staat möglicherweise sitzen bleiben wird) möglichst einfach bzw. kostengünstig erfolgen kann. Die Beschlüsse enthalten darüber hinaus auch Ausführungen zur Frage der Notwendigkeit einer Fristeinräumung und –inzident- zur materiellen Baurechtslage: Die ursprüngliche für die Sanierung des Wohnanwesens im Außenbereich erteilt Baugenehmigung stand unter der auflösenden Bedingung, dass sich der Bauherr an das Sanierungskonzept hält. Sie ist nach Auffassung der Baubehörde erloschen, weil dagegen verstoßen wurde. Es handele sich nicht mehr um eine (durch den einfachen Bestandsschutz der ursprünglichen Baugenehmigung gedeckte) Sanierung, sondern um einen Neubau.

OVG Münster, B. v. 02.07.2021 -15 B 1134/21

Erfolgloser § 123 VwGO- Antrag, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten es zu unterlassen, bei der für den 3. Juli 2021 von der Antragstellerin angemeldeten und (bislang) nicht verbotenen Versammlung (wohl von sog. Querdenkern) in Bochum durch Verbot oder Auflösung aus dem Grunde zu vereiteln, dass entgegen Ziffer 4 des Bescheides nicht 18 Toiletten mit Handwaschbecken, sondern lediglich vier mobile Toiletten von der Antragstellerin gestellt werden.

VG und OVG verneinen einen Anordnungsanspruch:

Ein Verbot der Versammlung bei Nichterfüllung der Auflage, 18 solcher Toiletten bereitzustellen, sei nicht zu erwarten, weil damit nicht hinreichend sicher zu rechnen sei: Ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG sei (nur) eine vorbeugende Maßnahme. Nach Beginn der Versammlung handele es sich um eine Auflösung. Bis zum Beginn der Versammlung sei es voraussichtlich unklar, ob die Auflage nicht doch noch erfüllt werde. Möglicherweise reichten für die tatsächliche Teilnehmerzahl vier Toiletten aus.

Dasselbe gelte auch für die befürchtete Auflösung der Versammlung.

Die Auflage werde sich zwar voraussichtlich als rechtmäßig erweisen, hinreichend sicher eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in Form von Verstößen gegen § 3 I 2 Nr. 5 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Bochum („Jeder hat sich so zu verhalten, dass andere nicht gefährdet, geschädigt oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder gestört werden. Verboten ist insbesondere […] das Verrichten der Notdurft außerhalb der hierfür vorgesehenen Toiletteneinrichtungen […].“) zu erwarten seien, die sich als unzumutbare Beeinträchtigungen der Rechte Dritter erwiesen. Diese gelte, obwohl es bislang eine solche Auflage nicht gegeben habe und keine Versammlung aus diesem Grund verboten worden sei. Es sei auch nicht ein Sachverhalt glaubhaft gemacht, aus dem sich eine Unverhältnismäßigkeit der Auflage ergebe.

Eine Nichtbefolgung der Auflage führe zwar zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Polizeiführung währen der Versammlung vor Ort müsse aber vor einer Versammlungsauflösung nach § 15 III VersG die Verhältnismäßigkeit prüfen. Die Auflösung sei ultima ratio, zuvor müsse die Durchsetzung der Auflage anmahnt werden. Eine Ersatzvornahme sei kein milderes Mittel. Eine Versammlungsauflösung sei nämlich kein verwaltungsvollstreckungsrechtliches Zwangsmittel zur Durchsetzung der Auflage. Der Auflagenverstoß könne auch erst zu einem Zeitpunkt festgestellt werden, an dem es fernliegend erscheine, dass die Polizei noch rechtzeitig die erforderliche Zahl an Sanitäreinrichtungen beschaffen könne. Umgekehrt könne sich die Antragstellerin rechtzeitig um eine Erfüllung kümmern, so dass sich eine Auflösung der Versammlung voraussichtlich auch nicht als unverhältnismäßig erweise, wenn die Antragstellerin trotz Mahnung eine Erfüllung verweigere und ihr auch auf Anmahnung seitens der Polizei nicht nachkommt.

Neue Rechtsprechung 2021, 1. Halbjahr:

OVG Lüneburg, B. v. 19.05.2021 -1 ME 55/21- NVwZ-RR 2021, 713

§ 80 V-VwGO-Antrag gegen eine denkmalrechtliche Anordnung gegenüber dem Eigentümer einer denkmalgeschützten ehemaligen Dorfschule, u. a., unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Zwangsgeldandrohung, (a) den Pilzbefall bzw. Hausschwamm fachmännisch begutachten zu lassen, um anschließend die Beseitigung vorzunehmen, sowie (b) im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht die Straße im westlichen Bereich vor eventuell herabfallenden Dach- und Wandelementen durch einen Bauzaun zu sichern.

Der Antrag hat (insoweit, in erster Instanz hat der Antragsteller andere Anordnungen mit Erfolg angegriffen) keinen Erfolg.

Nach dem Beschluss des OVG können Anordnungen wie die zu (a) zur Feststellung des bestehenden Zustands und des Instandsetzungsbedarfs eines Denkmals sowie der erforderlichen Maßnahmen auf § 23 I („Die Denkmalschutzbehörden treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die Anordnungen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der §§ 6 bis 17, 25, 27 und 28 sicherzustellen.“) i. V. mit § 6 I 1 NdsDSchG („Kulturdenkmale sind instand zu halten, zu pflegen, vor Gefährdung zu schützen und, wenn nötig, instandzusetzen.“) gestützt werden, wenn der Behörde belastbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Schädigung eines Denkmals vorliegen und der Eigentümer nicht von sich aus die notwendigen Maßnahmen ergreift. Das OVG verneint auch einen Ermessensausfall und hält die Anordnung für verhältnismäßig.

Die Anordnung zu (b) könne zwar nicht auf §§ 23 I, 6 I 1 NdsDSchG gestützt werden, weil sich diese Erhaltungspflicht nur auf Gefahren bezöge, die dem Denkmal selbst drohten. Einschlägig für Gefahren für die Umgebung des Denkmals sei das allgemeine Bauordnungsrecht, hier konkret § 79 I („Widersprechen bauliche Anlagen, (….) dem öffentlichen Baurecht oder ist dies zu besorgen, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. Sie kann namentlich 1. die Einstellung rechtswidriger und die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen, (…).“) i. V. m. 16 II NdsBauO („Die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs darf durch bauliche Anlagen oder deren Nutzung nicht gefährdet werden.“)

Eine Umdeutung nach § 47 VwVfG sei möglich, angesichts der notwendigen Gefahrenabwehr gelte dies u. a. auch für die Ermessensausübung ungeachtet der unterschiedlichen Schutzwirkung der Normen.

Zeitlich ältere -aber noch nicht zu alte- Entscheidungen finden sich hier (im internen Bereich).