Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen

Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen

§§ 167ff VwGO

  • § 168 VwGO: nur ein dort genannter Titel (Kostenentscheidung, Leistungsurteil -allgm oder auf VA-Erlass-)
  • durch § 172 VwGO, (analog bei 80V, Verträgen, Vergleichen):

Androhung, Festsetzung und Beitreiben von Zwangsgeld. TBV Androhung: Titel/Klausel/Zustellung + Gläubigerantrag + Nichterfüllung innerhalb angemessener Zeit

  • für Geldforderungen gegen Staat § 170 VwGO:

Titel/keine Klausel nach § 171 VwGO/Zustellung + Antrag + ggf. Sicherheitsleistung + Nichtleistung innerh angem Frist + Aufforderung zur Vollstreckungsabwendung

  • passen bei Leistungsurteilen weder § 170 noch § 172 (z.B. Unterlassensansprüche) § 167 VwGO i. V. m. §§ 883ff ZPO
  • Vollstreckung gg Privatperson: § 169 VwGO

Schönes Beispiel OVG Bautzen, B. v. 26.8.2009 -1E 64/09- NVwZ-RR 2010,88 (VG hat alles falsch gemacht)

Vollstreckungsgläubiger im Sinne speziell dieser Norm sind aber nur die aufgeführten öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Privatrechtssubjekte gehören nicht dazu, auch wenn sie beliehen sind (so VGH Kassel, B. v. 4.12.2019 – 1 E 1609/19 – NVwZ-RR 2020, 662, für diese gilt über § 167 II VwGO das ZPO-Vollstreckungsrecht.

Neue Tendenz in Folge der Nichtumsetzung von Urteilen zur Durchsetzung der Luftqualität: Nicht § 172 VwGO, sondern nach § 167 VwGO i. V. m. § 888 ZPO zum einen höheres Zwangsgeld, zum anderen nicht zu Gunsten des Staates, sondern eines Dritten: VG Stuttgart, B. 21.01.2020 – 17 K 5255/19- (mit Besprechung Will NZV 2020, 15)9 : 25.000 € für Kinderkrebshilfe.

EuGH hatte 19.12.2019 (C-752/18; Deutsche Umwelthilfe e. V./Freistaat Bayern) NJW 2020, 977 mit Bespr. Will NJW 2020, 963) auf Vorlage des VGH München (zur möglichen Zwangshaft für Ministerpräsident) entschieden, dass zwar die deutschen Grundrechte wegen des Anwendungsvorrangs unionsrechtlicher Regelungen (z. B. Luftqualitäts-und des Grundrechts auf effektiven Rechtsbehelf nach Art. 47 I GRCh nicht anwendbar seien (Dass § 888 ZPO nicht den Anforderungen der Art. 2 II 2, 104 GG an Freiheitsentziehung genügt, weil diese in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise geregelt sein müsste, ist insoweit egal). Allerdings greift eine Zwangshaft nach EuGH aber auch in das Freiheitsgrundrecht aus Art. 6 GRCh ein, der i. V. m. Art.52 I GRCh u. a. verlangt, dass eine Freiheitseinschränkung aufgrund der einschlägigen nationalen Normen vorhersehbar sein muss. Ausweg laut EuGH: ein Gebot zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Zwangsvollstreckungsrechts unterhalb der Grenze der Freiheitseinschränkung. Das nationale Gericht muss u. a. prüfen, ob Zwangsgeldvorschriften in der Weise effektiv angewandt werden können, dass die Zwangsmittel auch wirkungsvoll sind.

(§ 888 ZPO Nicht vertretbare Handlungen Abs. 1 :Kann eine Handlung durch einen Dritten nicht vorgenommen werden, so ist, wenn sie ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu erkennen, dass der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft oder durch Zwangshaft anzuhalten sei. Das einzelne Zwangsgeld darf den Betrag von 25 000 Euro nicht übersteigen. Für die Zwangshaft gelten die Vorschriften des Zweiten Abschnitts über die Haft entsprechend.

Grundrechtscharta EU

Artikel 6 Recht auf Freiheit und Sicherheit

Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.

Artikel 47 Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht

Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

Artikel 52 Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze

(1)Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

(…))

Ein gerichtlicher Vergleich, der nicht nach Diktat erneut vorgelesen bzw. abgespielt wird (entgegen § 162 ZPO), ist kein Titel i. S. des § 138 I Nr. 3 VwG.

So OVG Lüneburg, B. v. 08.07.2021 -10 OB 98/21– NJW 2021, 3546-

Vollstreckungsabwehrklage des Staates

trotz Verurteilung: z. B. bei nachträglichem Bebauungsplan oder so gar Flächennutzungsplan vgl. Clausing JuS 2003, 793, 794 und Häußermann JA 2003, 467 zu BVerwG NVwZ 2003, 214.

Zustellung der Androhung kann nicht durch öffentliche Bekanntgabe ersetzt werden,

so OVG Münster B. v. 24.07,2007 -13 B 950/07- NVwZ-RR 2008, 294

Zustellungsfragen

Vgl. neben Kopp/Ramsauer zu § 41 VwVfG auch Kopp/Schenke § 56 Rdnr. 8

BVerwG NJW 2001, 458: Das Einwurfeinschreiben genügt nicht den Anforderungen an die förmliche Zustellung, kein Einschreiben i. S. d. § 2 VwZG, auch keine Zustellungsfiktion in § 4 VwZG

Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten § 3 II 1 VwZG i. V. m. § 180 ZPO:

Die Beweiskraft der PZU umfasst nur den tatsächlichen Einwurf in den Briefkasten (mit entsprechendem Namen versehen), nicht aber, dass der Empfänger dort zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch wohnt (OVG Magdeburg, B. v. 19.06.2018 – 3 M 227/18 – LKV 2019, 88 mit Bezugnahme auf VGH München, B. 12.12.2017 – 11 Cs 17.2098).

Ersatzzustellung nach § 180 ZPO in Briefkasten des Rechtsanwaltes auch außerhalb dessen Geschäftszeiten möglich, so BVerwG, B. v. 2.8.2007 -2 B 20/07- NJW 2007, 3222: Wortlaut eindeutig, Zweck der Vorschrift, Niederlegungen zu vermeiden und Zustellungsscheitern zu vermeiden, wenn das Geschäftslokal geschlossen ist).

Geschäftsräume = die dem Publikum zugänglichen Räume in denen eine geschäftliche Tätigkeit der juristischen Person ausgeübt wird (also dorthin, wo der Briefträger wie Publikum hinkommt), so OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23. 12. 2011 − 1 N 2/10- NJW 2012, 951

Str.: Ist es zwingendes Zustellerfordernis (mit der Konsequenz, § 8 VwZG bei Mängeln anzuwenden), die Regelung des § 180 S. 3 ZPO einzuhalten, die den Zusteller bei der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten dazu verpflichtet, auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks einen Vermerk über das Datum der Zustellung anzubringen? Gehört diese Regelung also zu den zwingenden Zustellungsvorschriften i. S. des (mit § 8 Alt 1 VwZG inhaltsgleichen) § 189 ZPO (so BFHE 235, 255)?. Oder sieht man in § 180 S. 3 ZPO keine zwingende Zustellungsvorschrift, weil dem darin vorgesehenen Vermerk lediglich die Funktion zukommt, dem Empfänger der Sendung nachrichtlich das Zustellungsdatum zur Kenntnis zu bringen (VGH München, Beschl. v. 31. 1. 2011 – 4 ZB 10.3088). Dann gilt aufgrund der vollen Beweiskraft der Urkunde (§ 418 I ZPO) diese; der Gegenbeweis nach § 418 II ZPO ist aber zulässig und kann etwa durch Vernehmung des Zustellers geführt werden.

Vorzeigen der EGVP-Eingangsbestätigung des Gerichtes gibt Beweis des ersten Anscheins der tatsächlichen Übermittlung an diesem Tage, auch wenn Dokument selbst nicht (mehr) auf dem Gerichtsserver ist

(VGH Kassel, B. v. 26.9.2017 – 5 A 1193/17 NJW 2018, 417)

Heilung bei Zustellung durch E-Mail mit Signatur gegen EB (§ 5 V VwZG):

Heilung tritt dann nur ein bei Zurücksendung des EB, § 8, 2. Hs VwZG:

aber VG Ansbach U. v. 30.5.2007 -11 K 06/06.2455 und 06.2456-NVwZ 2008, 237 Heilung dann doch bei Widerspruch ohne Zustellungsmangelrüge (Im Urteil auch Ffk, Beliehener, ganz kurze Fristen bei Vollstreckungsandrohung und Grundrechte, Thema Abhol- und Bereitstellungsanordnung an Elektrogerätehersteller).

Schöner Fall mit Diskussion, wann sich ein Empfänger nicht auf eine fehlerhafter Zustellung berufen kann und mit dem Leitsatz, dass eine unterbliebene Zustellung (konkret: Allgemeinverfügung, die nur öffentlich bekannt gegeben wurde) nicht nach § 8 VwZG geheilt sein kann: OVG Münster B. v. 24.7.2007 -13 B 950/07- NVwZ-RR 2008, 294:

Die Ag. untersagte mit – nicht individuell zugestellter – Allgemeinverfügung vom 22. 5. 2006 die Werbung für Sportwetten, die nicht von der WestLotto angeboten werden, im Internet auf der Homepage eines Inhaltsanbieters mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Der Sofortvollzug wurde angeordnet und es wurde für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2000 Euro angedroht. Mit Verfügung vom 19. 7. 2006 wurde gegen die Ast. wegen Verstoßes gegen die Allgemeinverfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 2000 Euro festgesetzt und ein weiteres Zwangsgeld angedroht. Der hiergegen gerichtete Antrag der Ast. auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatte Erfolg.

Spezialnorm für verweigerte Annahmen: § 179 ZPO.

Das Schriftstück ist in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumen zurückzulassen (S. 1), ansonsten zurückzusenden (S. 2). Mit der Annahmeverweigerung gilt das Schriftstück als zugestellt (S.3).

VGH München, Beschl. v. 16. 12. 2011− 22 ZB 11.2637- NJW 2012,950:

Die Zustellungsfiktion gilt auch, wenn der Adressat dem Zusteller wahrheitswidrig vorspiegelt, er wohne an der Zustellanschrift gar nicht, worauf hin dieser nach S. 2 statt nach S. 1 verfährt (Argument: treuwidriges Verhalten, Pflicht zur wahrheitsgemäßen Auskunft über Wohnsituation). VGH: die danach nochmals erfolgte Zustellung hat die Frist nicht nochmals ausgelöst. Das Vertrauen in den Fristbeginn durch die zweite Zustellung ist auch nicht unverschuldet iS einer Wiedereinsetzung

Strenge Anforderungen bei öffentlicher Zustellung:

Beispiel für die Nachforschungspflichten und die Anforderungen an den Aushang des Schriftstückes: OVG Hamburg NVwZ-RR 2001, 270, 271f: Nachfrage bei Mutter des Adressaten wäre nötig gewesen,

Bei öffentlicher Zustellung hat die Behörde die Pflicht, den VA und seine Bekanntgabe „unter Kontrolle zu halten“ und nicht mehr an öffentlicher Zustellung festzuhalten, wenn ihr später die Anschrift doch bekannt wird (VGH Mannheim, B. v. 23.04.2008 -13 S 783/08 mit weiteren Nachweisen NJW 2008, 2519f)

prozessuales:

OVG Magdeburg B. v. 2. 8. 2012 – 2 M 58/12-NVwZ-RR 2013, 85:

Antrag nach § 80 V VwGO bei Zweifel über die Verfristung des Widerspruchs jedenfalls zulässig.

Zurück zu Bekanntgabe/Zustellung

Ermessen

Prüfungsschema Grundsätzliches

Ermessensfehler

Ermessen: Merkschema Grundsätzliches

1. Ermessen ist die aus Opportunitätsgründen ausdrücklich gesetzlich eingeräumter Handlungsfreiraum der Verwaltung auf der Rechtsfolgenseite. Es gibt Entschließungs- und oder Auswahlermessen. Die Norm verwendet

„kann“ oder

„darf“ oder

„ist befugt“ oder ein

„soll“ („grundsätzlich“ bzw. im Regelfall gebunden, im Ausnahmefall Ermessenseinräumung).

Manchmal werden nur die erlaubten Maßnahmen benannt.

Klausurtaktik: Ist es nicht klar, ob eine Norm nun Ermessen einräumt oder nicht, wird regelmäßig beides vertreten. Also keine Angst, falsch zu liegen!

2. (freies) Ermessen ist für die Behörde immer nur pflichtgemäßes Ermessen (=als Leitlinie für die Zweckmäßigkeitskontrolle im Sinne des § 68 VwGO)

Beschränkungen der Freiheit durch

2.1 Aus Behördensicht: zu beachtenden Verwaltungsrichtlinien,

2.2 Sinn und Zweck des Gesetzes selbst. Der Zweck ergibt sich aus dem speziellen Gesetz bzw. aus § 40 VwVfG.

2.3 Die Grenzen aufgrund der Grundrechte/ sonstigen Wertenscheidungen ( insbesondere dem Gleichheitssatz Art. 3 I GG und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).

2.4 Für die Widerspruchsbehörde: Die Ermessenseinräumung muss zumindest auch im Interesse des Widerspruchsführers sein.

3. ( primär ) für die gerichtliche Kontrolle:

3.1 Ermessensfehler (§ 114 S. 1 VwGO) siehe sogleich

3.2 Ermessenseinräumung zumindest auch im klägerischen Interesse

3.3 Begründungserfordernis § 39 I 1 bis 3 VwVfG und dazu

3.4 Merkposten: intendiertes Ermessen

Ermessen: Ermessensfehlerüberprüfung

I. Ermessensfehler:

1. Ermessensnichtgebrauch = Ermessensunterschreitung

Beispiele : a) Behörde hält sich rechtsirrig nicht für zuständig

b) Die Vollzugspolizei weigert sich gegen Hauseigentümer vorzugehen, obgleich unmittelbar das halbe Dach auf die Straße zu stürzen droht, weil sie meint, dies dürfte nur die Bauordnungsbehörde.

c) Die Behörde meint, eine Ermessen einräumende Norm sei nicht einschlägig, insbesondere es liege bei einer Sollvorschrift kein Ausnahmefall vor.

2. Ermessensüberschreitung/Ermessensunterschreitung: Die Rechtsfolge liegt außerhalb des Rahmens (andere gängige Terminologie: Grundrechtsmissachtung o.ä.),

3. Ermessensfehlgebrauch (Ermessensmissbrauch): wenn die Behörde sich nicht -ausschließlich vom Zweck der Ermächtigung leiten lässt:

3.1 Nichtbeachtung der gesetzlichen Zielvorstellungen (Ermessenszweck) bzw. sachwidrige Erwägungen (rechtliche Erwägung für die Obersatzbildung) ( Bsp. Versammlungsauflösung, um ausländischem Staatoberhaupt Kritik an dessen Regime zu ersparen.

3.2 Außerachtlassen der Ermessensgrenzen, insb. unter Verstößen gg Grundrechte und allgemeine Verwaltungsgrundsätze (rechtliche Erwägung).

3.3 unzureichende Sachverhaltsermittlung (kein vollständiges Abwägungsmaterial)

3.4 Missachtung von Verfahrens- und Mitwirkungsrechten (Stichwort

Grundrechtsschutz durch Verfahren)

zu 3.2 insbesondere: Verstoß gegen Gleichbehandlungsgebot:

3.2.1 Stichwort Selbstbindung der Verwaltung (Abweichungen von der Praxis, wenn diese rechtswidrig war weil es keine Gleichheit im Unrecht gibt; oder der Fall wesentliche Besonderheiten aufweist oder für die Zukunft eine generelle Änderung der Praxis erfolgen soll.

Maßgeblich ist grundsätzlich die Verwaltungspraxis, die sich aufgrund einer Verwaltungsrichtlinie (gelegentlich sogar gegen diese) entwickelt hat, nicht diese selbst

3.2.2 allerdings Ausnahme: Stichwort antizipierte Verwaltungspraxis. Bürger kann sich bei neuen Richtlinien, bei denen es noch keine Praxis gibt, trotzdem schon auf diese berufen, BVerwGE 52, 193, 199; DVBl. 1982, 196.

II. Begründungserfordernis § 39 I 3 VwVfG

  1. Aus einer unzureichenden Begründung lässt sich auf einen entsprechenden Ermessensfehler schließen, sofern sich nicht aus den weiteren Umständen etwas anderes ergibt.
  2. Ausnahme (nach hM in einzelnen Fällen) beim sog. intendiertem Ermessen. Wenn die Norm ausdrücklich eine Soll-Rechtsfolge bestimmt oder gleiches auch ansonsten aus der Regelung erfolgen soll. BVerwGE 105,55,57: „Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 I 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellende Begründung.“

Wichtiges Beispiel: § 48 II 1 VwVfG: Wenn der Betroffene nicht vertrauensschutzwürdig ist, soll zurückgenommen werden.

Weiteres Bsp. für intendiertes Ermessen: Nach OVG Berlin-Brandenburg: Baurechtliche Nutzungsuntersagung bei formeller Illegalität (vgl. B. v. 16.06.2008 -2 S 34/08- NVwZ-RR 2009, 98)

Ermessensergänzung (§ 114 S. 2 VwGO) siehe extra.

Widerspruchsverfahren-Merkschema und Einzelfragen

Merkschema:

I Statthaftigkeit/Zulässigkeit

1.) Auslegung Rechtsschutzziel: im Zweifel liegt der Rechtsbehelf Widerspruch vor:

*Zur Auslegung von Schreiben als Widerspruch: BVerwG NJW 2002, 1137: Es gibt kein Verbot, Willenserklärungen zu Gunsten eines Verfahrensbeteiligten erfolgsorientiert auszulegen nach Bundesrecht. Hier: Antrag auf Widerruf bzw. Rücknahme als Widerspruch

  • zB auch Antrag auf Aufenthaltserlaubnis als Widerspruch denkbar gegen den vorangegangenen Widerruf der alten Aufenthaltserlaubnis, weil die Argumente dazu passen (so VGH Mannheim, B. v. 23.04.2008 -13 S 783/08- NJW 2008, 2519
  • zB Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen (in einem Widerspruch der an sich nur den bereits zu einem anderen vorgelagerten Streitgegenstand unnötigerweise wiederholt hat, vgl. BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 23.12 – NVwZ 2014, 678, ähnlich auch VGH Mannheim, B. v. 18.07.2019 1 S 871/19 NJW 2020, 701.
  • Auch möglich, wenn selbst auf den Hinweis hin, im bisherigen keinen Widerspruch erkennen zu können, erneut nichts Ausdrückliches folgt (VGH a. a, O.).

2.) Zuständigkeit Widerspruchsbehörde, § 73 I,II VwGO

VG Berlin LKV 2003, 568: kein Wechsel der Widerspruchsbehörde, wenn die Ausgangsbehörde teilweise abhilft und bei einem Ausgangsbescheid in der jetzigen Gestalt eine andere Widerspruchsbehörde zuständig wäre (nämlich die Ausgangsbehörde selbst )

3.) Zulässigkeitsvoraussetzungen siehe Kopp/Schenke vor § 68 (Verwaltungsrechtsweg, Statthaftigkeit des Widerspruches, Form- und Fristeinhaltung, Widerspruchsbefugnis § 42 II VwGO analog, allgm. Rschbed. [kein Verzicht, keine Verwirkung nach Treu und Gl im nachbarr. Gemeinschaftsver.).

4.) u. U. besondere Vorschriften: primär gelten Spezialregeln, dann §§ 68ff VwGO, subsidiär nach § 79 VwVfG das VwVfG

5.) Zeitpunkt für Vorliegen hierfür: Behördenentscheidungszeitpunkt

6.) Grundsätzlich gelten die allgemeinen Grundsätze für die Ermittlung

II. Begründetheitsvoraussetzungen:

1.) für Anfechtungssituation: § 68 I 1, 113 I 1 entspr. VwGO:K/S Vor § 68 Rdnr. 12a, § 68 Rdnr. 12: Wenn und soweit der angefochtene Verwaltungsakt rw ist und der WF dadurch in seinen Rechten verletzt ist oder: wenn der Verwaltungsakt unzweckmäßig ist und die Ermessensnorm ( einen Beurteilungsspielraum einräumende Norm ) zumindest auch den Interessen des WF zu dienen bestimmt ist.

2. )Für Verpflichtungssituation: § 68 I 1, 113 V entspr. VwGO: Wenn die Ablehnung rw ist und der WF in Rechten verletzt wird, weil ein Anspruch besteht bzw. wenn die Ablehnung unzweckmäßig ist und die Ermessensnorm… ( wie oben ).

3.) weitergehende Entscheidungen ( zwar Ausgangsbescheid rw, aber WF nicht in eigenen Rechten verletzt ): Nicht in der Kompetenz der Widerspruchsbehörde ( stattdessen: u. U. Rücknahme, Widerruf ). u. U. reformatio in peius.

4.) Zeitpunkt für Sach- und Rechtslage: Grundsätzlich Zeitpunkt Widerspruchsbehördenentscheidung

Einzelfragen:

Widerspruchsbehörde entscheidet in der Sache, trotz verspätetem Widerspruch

Rspr.: grundsätzlich zulässig, § 70 keine materiellrechtliche Ausschlußfrist, Sachherrschaft der Behörde, BVerwGE 57, 342, 344.

Ausnahme: Dritter ist schutzwürdig, BVerwG DÖV 1982, 941,

Gegenausnahme: Dritter nicht schutzwürdig, zB weil dieser eine Gemeinde ist oder weil er selbst Widerspruch eingelegt hat.

Die Abgabenachricht ist rein deklaratorisch (so ausdrücklich BVerwG, U. v. 23.08.2011 – BVerwG 9 C 2.11 NVwZ 2012, 506 m. Bespr. JUS 2012, 479

Abhilfe oder Rücknahme?

BVerwG, Urteil vom 28. 4. 2009 – 2 A 8/08 NJW 2009, 2968; Bespr. In JuS 2010, 406, 408:

Die (Ausgangs-)Behörde, die ihre mit einem Widerspruch angegriffene Maßnahme als rechtswidrig erkennt, hat die ihr vor Erlass eines Widerspruchsbescheids zustehende Wahl zwischen Abhilfe und Rücknahme nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Sieht die Behörde von einer Abhilfe nur deswegen ab, um dem zu erwartenden Kostenanspruch des Widerspruchsführers zu entgehen, ist die behördliche Formenwahl unbeachtlich und von einer Abhilfeentscheidung auszugehen.

Gegen die Kostengrundentscheidung im WB (Kostenlastentscheidung) muss geklagt werden, es ist nicht noch mal ein Widerspruchsverfahren statthaft.

BVerwG, Urt. 12.08.2014 -1 C 2.14- NVwZ-RR 2014, 869 (mit Bespr.JuS 2015, 418, 420f: Ein neues Widerspruchsverrfahren ist weder aufgrund der Selbstkontrolle der Verwaltung, noch zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes noch zur Entlastung der VGs geboten.

M. E. sind also die Kostenentscheidung bzw. die Kostenfestsetzung zwar selbst Verwaltungsakte, aber unmittelbar mit der Anfechtungs- bzw. der Verpflichtungsklage angreifbar, sofern sie als Teil des Widerspruchsbescheides ergehen. Ergeht die Entscheidung im Abhilfeverfahren, ist zunächst ein Widerspruch einzulegen.

Aufsatz zur Erledigung im Widerspruchsverfahren Exner, Richter-Hopprich JuS 2015, 521

Widerspruchsbescheids-Checkliste

Merkposten für die Abfassung

  • Absender
  • Adressat
  • Zustellungsart
  • (unter Umständen geboten: Betreff)
  • Tenor
  • Begründung

1. Absender:

Obacht: Die Widerspruchsstelle genau bezeichnen (und nicht mit der Ausgangsbehörde verwechseln!).

2. Adressat:

Ob an den Bevollmächtigten zuzustellen ist oder an den Widerspruchsführer richtet sich regelmäßig nach §§ 73 III VwGO, 7 I 1 oder 2 VwZG, gelegentlich auch nach § 6 VwZG.

3. Zustellungsart

bei Zustellungen an Anwälte regelmäßig „gegen EB“ (vgl. § 5 IV VwZG)

4. Tenor

  • Sachtenor (Der Widerspruch wird zurückgewiesen, der Bescheid (…) wird aufgehoben)

(Widerspruchsbehörde muss aber nicht selbst entscheiden, sondern kann die Ausgangsbehörde anweisen (BVerwG, U. v. 13.12.2007 -4 C 9.07-DVBl 2008, 386): § 73 I 1 VwGO regelt nicht die Form der Stattgabe. VwGO regelt nämlich aus Kompetenzgründen nicht alles. In der Klausur ist es aber nicht ratsam, sich vor einer eigenen Entscheidung zu „drücken“)

  • Kostenverteilung nach § 80 I VwVfG.

Es geht um die Kosten des Widerspruchsführers und die der Ausgangsbehörde,

§ 80 VwVfG ist nach wohl hM eine bewusst unvollständige Regelung, deshalb können die §§ 154 ff. VwGO nicht ergänzend, also nicht § 162 Abs. 3 VwGO oder § 80 Abs. 1 S. 1 analog) vgl. zum Ganzen K/R. § 80 Rdnr. 16ff mit Stichwort Waffengleichheit

Auch keine entsprechende Anwendung des § 80 I VwVfG für widerspruchsähnliche Verfahren, z. B. das Remonstrationsverfahren auf Visumserteilung, vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss. v. 5.5.2015 – OVG 3 M 37/15- NVwZ 2015, 1396

Landesrecht hat teilweise einen anderen Regelungsgehalt, z. B. Art.80 I 5 BayVwVfG: “Erledigt sich der Widerspruch auf andere Weise, so wird über die Kosten nach billigem Ermessen entschieden; der bisherige Sachstand ist zu berücksichtigen.“ So auch § 80 I 5 BW VwVfG

Auch Entscheidung über Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, arg. Ex. § 80 III 2 VwVfG .

(Kostenerstattung für Widerspruchsführer in beamtenrechtlichen Streitigkeiten auch bei Unterliegen -wegen § 80 I 3 VwVfG -? Natürlich nicht:

BVerwG U. v. 15.11.2007 -2 C 29/06- NVwZ 2008, 324 (aA war aber der VGH München gewesen).

Siehe auch das Berliner Skript des Kammergerichts.

Normenkontrollantrag

Normenkontrollantrag § 47 VwGO:

Antragsbefugnis § 47 II 1 VwGO

Rechtsfolge bei Stattgabe: Unwirksamkeitserklärung, § 47 V 2 VwGO

Umsteigen auf „Fortsetzungsfeststellungsnormenkontrolle“

Einstweilige Anordnung § 47 VI VwGO

Antragsbefugnis nach § 47 II 1 VwGO wie die Klagebefugnis in § 42 II VwGO, auch wenn auf der Begründetheitsebene keine konkrete Rechtsverletzung erforderlich ist. Denn es sollen nur Popularklagen ausgeschlossen sein (vgl. z. B. BVerwG B. v. 17.07.2019 – 3 BN 2/18 NVwZ-RR 2019, 1027 mit Besprechung Hufen JuS 2020, 383).

Als Rechtsfolge sieht das Gesetz für den Normenkontrollantrag nur vor, die Norm für unwirksam zu erklären, § 47 V 2 VwGO.

Ausnahme hiervon VGH München, B. v. 27.04.2020 -20 NE 20.793 -: Ausnahme für gegen Art. 3 GG verstoßende Corona-VO, die sowieso nur noch wenige Tage gegolten hätte zur Vermeidung einer Notstandssituation. Tenor nur: „§ 2 Abs. 4 und 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BaylfSMV) sind mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.“

Nach der Rechtsprechung kann bei Außerkrafttreten der Norm der Normenkontrollantrag im laufenden Verfahren auf ein „Fortsetzungsfeststellungsnormenkontrolle“ umgestiegen werden, wenn ein entsprechendes berechtigtes Interesse besteht um Art. 19 IV GG zu genügen, vgl. aus jüngster Zeit OVG Saarlouis, U. v. 24.03.2022 -2 C 108/20– mit Rechtsprechungsnachweisen (Rdnr. 22).

§ 47 VI VwGO: spezielles Eilverfahren für den Normenkontrollantrag

OVG Koblenz, B. v. 12.6.2019 – 10 B 10515/19- NVwZ 2020, 170

Ob eine e. A. zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten i. S. d. § 47 VI VwGO ist, ist anhand einer Folgenabwägung analog § 32 BVerfGG zu ermitteln.

VGH München: Wenn durch eine einstweilige Anordnung nach § 47 VI VwGO ein Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug gesetzt wird, dann wirkt diese Außervollzugsetzung auch fort, wenn die Gemeinde im ergänzenden Verfahren nach § 214 IV BauGB vorgeht und den Bebauungsplan erneut (rückwirkend) erlässt (a. A. früher VGH selbst), B. v. 19.03.2012 – 1 NE 12.259 – NVwZ-RR 2012, 883 (mit Besprechung JuS 2013, 417,421ff.; in einem (neuen) § 80 VII-VwGO-analog-Verfahren auf Feststellung, dass die Außervollzugsetzung fortwirke). Argumente: es sei der alte Bebauungsplan, Waffengleichheit (sonst könnte die Gemeinde den Plan einfach neu erlassen), bei der nachbarlichen Anfechtung ändere die nachträgliche Modifikation der Baugenehmigung auch nichts an der fortdauernden AO der aufschieb. Wirkung.

Zur Abgrenzung eines Antrages nach § 123 VwGO zu dem nach § 47 VI siehe § 123 VwGO Einstweiliger Rechtsschutz (nur intern)

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Nebenbestimmungen

Prüfungsschema für die Klageart bzw. die Art des Eilrechtsschutzes:

1. Zunächst zu prüfen: liegt eine Nebenbestimmung vor oder handelt es sich um eine Inhaltsbestimmung des VA

[Anm.: eine der Fallgruppen hierfür wird von Literaturstimmen entgegen der vorherrschenden Terminologie auch als modizfizierende Auflage bezeichnet]

durch Auslegung zu ermitteln:

„Ponyhof statt Geflügelfarm“ klar Inhaltsbestimmung schlicht ein aliud; hingegen Bsp. für § 36 I VwVfG: Baugenehmigung mit Auflage, Schuppen abzureißen, damit die Grundflächenzahl (vgl. §§ 16, 19 BauNVO) nicht überschritten wird.

  • Bezeichnung Nebenbestimmung ist Indiz , entscheidend ist die Auslegung insgesamt
  • materieller Gehalt der Bestimmung = unmittelbares Betreffen des betrieblichen Konzeptes

kein fester Katolog an NB,

§ 36 II betrifft -nur- Ermessensverwaltungsakte

2. Vorrang von Spezialregeln

3. Rechtsschutz

Verpflichtungsklage auf Erlass eines nebenbestimmungsfreien VAs ( Eilantrag nach § 123 VwGO oder (isolierte) Teil-Anfechtungsklage (vgl. § 113 I 1 VwGO „soweit“; mit vorläufigem Rechtsschutz nach § 80 V VwGO)?

Klausurtaktik: Frage ist auch heute noch Gegenstand von Kontroversen in Literatur und Rechtsprechung (so aus jüngerer Zeit Funke NVwZ 2021, 114). Soweit Zeit ist, sollte deshalb ausführlich diskutiert werden.

Geht Teilanfechtungsklage gegen Nebenbestimmung nach BVerwG ?

  • Denkbare Differenzierungen:
  • Bedingung/Befristung: isolierte Anfechtung ja (BVerwGE 60, 269, 274)
  • Auflage grundsätzlich ja (z.B. frühere RS, so BVerwG NJW 1998, 94), aber Einschränkung bei
  • modifizierender Auflage (vgl. BVerwGE 55, 135,137) : Steht die Nebenbestimmung mit dem Gesamtinhalt in einem untrennbaren Zusammenhang, schränkt sie insbesondere eine Rechtsgewährung qualitativ ein, scheidet isolierte Anfechtung aus. Als m. A. als eine Nebenbestimmung
  • Ermessensentscheidungen BVerwGE 55, 135 138: wegen der einheitlichen Ermessensentscheidung: keine isolierte Anfechtung

heute wohl von der RS (nicht Literatur) weitgehend aufgegeben nach BVerwGE 81, 185; 186; 88, 348, 349

Eine Auflage ist selbständig anfechtbar, jedenfalls wenn geltend gemacht wird, die Auflage finde im Gesetz keine Stütze, da es nicht eine Frage der Zulässigkeit sondern der Begründetheit, ob Aufhebung der Auflage rechtswidrigen Haupt-VA hinterlässt, wenn nicht eine isolierte Anfechtbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (Ähnlich bereits BVerwGE 60, 269, 276)

auch bei Ermessens-VAs bzw. modif. Auflagen, da bei Aufhebung der Auflage Widerruf möglich (BVerwGE 65, 139, 141, bekräftigt U. v. 6.11.2019 -8 C 14/18 NVwZ 2021, 163, aber umstritten.)

BVerwG NVwZ-RR 1996, 20 (Spielhallengenehmigung mit isoliert anfechtbarer Auflage (zum Nachlesen empfohlen; mit Arg. § 113 I1 VwGO „soweit“)

Gilt mittlerweile für alle Arten von Nebenbestimmungen.

Fälle für ein offenkundiges Ausscheiden:

OVG Berlin NVwZ 2001, 1059 (sanierungsrechtliche Baugenehmigung in einem Sanierungsgebiet mit der aufschiebenden Bedingung (zur Sicherung des festgestellten Sozialplans), dass mit den Mietern sanierungsrechliche Modernisierungsvereinbarungen abgeschlossen werden). (Antrag nach § 80 V-VwGO abgelehnt, weil der Widerspruch gegen diese Bedingung nicht dazu führe, dass von der Baugenehmigung bereits Gebrauch gemacht werden könne .

OVG Magdeburg, B. v. 17.09.2008 -2 M 153/08- NVwZ-RR 2009, 239 Nebenbestimmung zu einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einer Windkraftanlage: Bedingung, vor Errichtung zur Finanzierung der Rückbaukosten nach dauerhafter Nutzungsaufgabe Sicherheit in Form einer Bankbürgschaft über 72000 € zu stellen.

Dagegen Antrag auf Feststellung, dass Klage aufschiebende Wirkung habe: Anders als oben OVG Berlin NVwZ 2001,1059 sei hier die Nebenbestimmung abtrennbar, auch als Bedingung. Sie sei kein integraler Bestandteil der Genehmigung. RF: Isolierte Anfechtungsklage sei jedenfalls zulässig,.

Ebenso: BVerwG, Urt. v. 17.10.2012 -4 C 5/11 BVerwGE 144, 341-355: für Rückbauverpflichtung (vor Beginn der Bauarbeiten ist zur Finanzierung der Rückbaukosten nach dauerhafter Nutzungsaufgabe der Windenergieanlage eine Sicherheitsleistung zu erbringen).

Keine Fälle für offensichtliches Ausscheiden:

Nach BVerwG, Urt. v. 6.11.2019 -8 C 14/18- NVwZ 2021, 163 kommt es für die Frage eines offensichtlichen Ausscheidens nicht darauf an, ob der VA von vornherein matriellrechtlich rw ist, oder erst der Rest-VA durch die Aufhebung der angegriffenen Nebenbestimmung rw wäre. Auch im ersten Fall bleibt es bei einer Anfechtungsklage, die jedoch unbegründet ist, weil der verbleibende FA nicht der Rechtsordnung entspräche (Rdnr. 23; im konkreten Fall ist der [Ermessens-]VA durch eine unzuständige Behörde erlassen worden).

OVG Magdeburg, B. v. 16.9.2009 -2 M 89/09 –NVwZ-RR 2010, 381: Isoliert anfechtbar im konkreten Fall ist eine denkmalschutzrechtliche Auflage als Teil des VA in Form einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung, die Kosten der archäologischen Dokumentation zu tragen. Es liege keine untrennbare Einheit mit der Grabungserlaubnis vor, weil die Kostentragungslast nach dem Gesetz auf das Zumutbare beschränkt sei. (Gleichzeitig Fall für einen Streit um den Umfang der aufschiebenden Wirkung, bei dem ein Feststellungsantrag nach § 80 V analog gestellt werden kann -unter Bezug auf Kopp/Schenke § 80 Rdnr. 181- wohl str.)

4. Begründetheit der (isolierten-)Anfechtungsklage gegen die Nebenbestimmung:

Die Klage ist nach BVerwG begründet, wenn die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und isoliert aufhebbar ist, weil der Verwaltungsakt ohne sie „sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann“ (BVerwG, [Anfrage-] B. v. 29. März 2022 – 4 C 4/20 –, BVerwGE 175, 184-192, Rdnr. 8 mit weiteren Nachweisen). Es darf nicht sein, dass zwischen der Nebenbestimmung und dem eigentlichen Inhalt des Verwaltungsakts ein Zusammenhang besteht, der die isolierte Aufhebung ausschließt. Die Formulierung „sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann“ zielt darauf, ob die Rechtsordnung eine Genehmigung (Begünstigung) ohne die angefochtene Nebenbestimmung erlaubt. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob der verbleibende Verwaltungsakt über die in Zusammenhang mit der Nebenbestimmung stehenden rechtlichen Anforderungen hinaus in jeder Hinsicht rechtmäßig ist oder ein Anspruch auf seinen Erlass besteht (BVerwG, a. a. O. Rdnr. 12).

Die dem entgegenstehende Auffassung, die der 8. Senat des BVerwG zwischenzeitlich vertreten hat, wonach die isolierte Anfechtungsklage nur Erfolg hat, wenn der verbleibende Verwaltungsakt für sich genommen rechtmäßig ist, hat dieser auf den Anfragebeschluss hin ausdrücklich aufgehoben (B. v. 12.10.22 -8 AV 1/22-, bespr. Von Schübel-Pfister JuS 2023, 416f).

5. Einzelproblem Auslegung einer Nebenbestimmung

BVerwG, Urt. v.16.06.2015 -10 C 15/14- NVwZ 2015, 1764 mit Bespr. Waldhoff JuS 2016, 187:

Nebenbestimmung einer Subvention, wonach ein Rückgang im Finanzierungsplan zu einer Ermäßigung der Zuwendung führe ist keine auflösende Bedingung. Es wird nämlich kein Ereignis hierfür genannt, der Rückgang stellt sich als Ergebnis von komplexen internen förderrechtlichen Berechnungen dar.

6. Einzelproblem Widerrufsvorbehalt:

BVerwG, Urt. v. 9.12.2015 – 6 C 37/14- NVwZ 2016, 699

Bei gebundenem Recht kommt ein Fall von § 36 I, 2. Alt VwVfG (Sicherstellen, dass die Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsakts erfüllt werden) nicht in Betracht, wenn nur sichergestellt werden soll, dass die Voraussetzungen künftig erfüllt bleiben (Ersatzschuleigenschaft ist zu verleihen, wenn Prognose ergibt, dass die Voraussetzungen langfristig erfüllt werden; dann kein Widerrufsvorbehalt hinsichtlich auch künftiger Erfüllung).

Heilung von Verfahrens- und Formfehlern

Prüfungsschema Heilung von Verfahrens- und Formfehlern

1. Liegt überhaupt ein Verfahrens- oder Formfehler vor?

1.1 Grundtatbestand missachtet ( Bsp. mündliche Besprechung mit Beteiligten, welche förmliche schriftliche Anhörung ersetzt; Bsp. es geht gar nicht um einen Verwaltungsakt )

1.2 Entbehrlichkeitsvorschrift in der Verfahrens- oder Formvorschrift selbst( Bsp. § 28 II; III VwVfG ) .

2. Unbeachtlichkeit

aufgrund von Spezialvorschriften ( insbesondere Präklusionsvorschriften, Spezialmitwirkungsvorschriften )

3. Heilung ausgeschlossen

3.1 nach Spezialvorschrift ausgeschlossen ? ( Bsp. Beteiligungserfordernisse, die nicht nachholbar sind, Bsp. Antragsfristen, die versäumt sind auch nicht nachgeholt werden können. )

3.2 bei Nichtigkeit nach § 44 VwVfG oder der Rechtsfolge, dass der Verwaltungsakt noch gar nicht wirksam ist

3.3 Im Prozess: Nachschieben von Ermessen nur nach § 114 Satz 2 VwGO (ist aber Prozessvorschrift, keine materielle!)

4. Spezialheilungsvorschrift ( meist Heilungsfreudiger )

  • Im Spezialrecht
  • § 79 II 2 VwGO
  • § 8 VwZG
  • §§ 214ff BauGB Planerhaltung
  • Im Fachplanungsrecht ( § 17 VI c FStrG) und Planungsrecht ( § 75 Ia 2 VwVfG )

5. § 45 VwVfG

  • Regelungsgegenstand nur die fünf Fallgruppen des § 45 I VwVfG (BVerwG NJW 1987, 1564, 1566).
  • Nachholen bis Abschluss der letzten Tatsacheninstanz (früher sogar bis Abschluss gerichtlichen Verfahrens insgesamt).
  • Heilung tritt mit Nachholung ein, nicht früher. Dies hat Auswirkungen für § 80 V / § 123 VwGO und auch sonst, wenn die Sach- und Rechtslage des Ausgangsbescheides maßgeblich ist, zum Beispiel für die Kostenentscheidung nach Erledigungserklärung nach Heilung.

Grundsatz der realen Fehlerheilung:

Nachholung bei Anhörung nicht durch die bloße Widerspruchseinlegung, die Behörde muss auch zur Kenntnis nehmen und erwägen.

Strenge Auffassung (hM): Nachholung bei schon anhängigem Rechtsstreit nur gegeben, wenn die Behörde wirklich nochmals erwägt, den angefochtenen Bescheid abzuändern. Fraglich, wenn im Gerichtsverfahren es um Zweckmäßigkeitsfragen geht, welche nach § 114 VwGO nicht zur Aufhebung durch das Gericht führen könnten.

Noch keine Heilung kann eingetreten sein, wenn der Widerspruchsführer erst nach Akteneinsicht seinen Widerspruch begründen will (so –richtig- VGH Kassel, B. v. 23.09.2011 -6 B 1701/11

  • Spezialfall für Wiedereinsetzung: § 45 III VwVfG

6. § 46 VwVfG

  • Voraussetzungen

6.1 subsidiär zu § 45 VwVfG

6.2 keine Nichtigkeit

6.3 Verletzung (nur) von Verfahren, Form oder örtliche Zuständigkeit

Verfahrensfehler auch fehlende Begründung, Kopp/Ramsauer § 46 Rdnr. 17

6.4 keine Kausalität zwischen Fehler und materieller Entscheidung= es muss ausgeschlossen sein, dass eine andere Möglichkeit zum Tragen gekommen wäre. Nicht wie früher Ermessensreduzierung auf Null. Auch bei verschiedenen möglichen Entscheidungen, wenn gewiss ist, dass sich die Verletzung nicht auf das Entscheidungsergebnis ausgewirkt hätte.

6.5 Offensichtlichkeit (der fehlenden Kausalität): „schillernder Begriff“:

Kopp-Ramsauer § 46 Nr. 36ff

  1. vernünftige Zweifel ausgeschlossen, strenger Maßstab ( materiell )
  2. str. darüber hinaus: auch hinsichtlich tatsächlicher Überzeugung ( Beweisbarkeit ) Objektiv eindeutig ( nicht Frage der Zeugenvernehmung o. ä. )
  • Rechtsfolge: Unbeachtlichkeit. Aufbaumäßig schwierig: man prüft entweder innerhalb der formellen RM auch das materielle mit, oder verweist auf unten.

Bsp. Verstoß gegen § 11 VI 2 Hs. 2 FeV führt offenbar nicht zu einem anderen Ergebnis VGH Kassel, Urt. v. 26. 5. 2011 − 2 B 550/11

Vgl. § 11 VI Fahrerlaubnisverordnung 1Die Fahrerlaubnisbehörde legt unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. 2Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann. 3..

EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 mit Bespr. JuS 2015, 1138:

§ 46 VwVfG gilt nicht bei Verstößen gegen Art. 11 RL 2011/92/EU (Arhus-Konvention-Umsetzung)

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