Heilung von Verfahrens- und Formfehlern

Prüfungsschema Heilung von Verfahrens- und Formfehlern

1. Liegt überhaupt ein Verfahrens- oder Formfehler vor?

1.1 Grundtatbestand missachtet ( Bsp. mündliche Besprechung mit Beteiligten, welche förmliche schriftliche Anhörung ersetzt; Bsp. es geht gar nicht um einen Verwaltungsakt )

1.2 Entbehrlichkeitsvorschrift in der Verfahrens- oder Formvorschrift selbst( Bsp. § 28 II; III VwVfG ) .

2. Unbeachtlichkeit

aufgrund von Spezialvorschriften ( insbesondere Präklusionsvorschriften, Spezialmitwirkungsvorschriften )

3. Heilung ausgeschlossen

3.1 nach Spezialvorschrift ausgeschlossen ? ( Bsp. Beteiligungserfordernisse, die nicht nachholbar sind, Bsp. Antragsfristen, die versäumt sind auch nicht nachgeholt werden können. )

3.2 bei Nichtigkeit nach § 44 VwVfG oder der Rechtsfolge, dass der Verwaltungsakt noch gar nicht wirksam ist

3.3 Im Prozess: Nachschieben von Ermessen nur nach § 114 Satz 2 VwGO (ist aber Prozessvorschrift, keine materielle!)

4. Spezialheilungsvorschrift ( meist Heilungsfreudiger )

  • Im Spezialrecht
  • § 79 II 2 VwGO
  • § 8 VwZG
  • §§ 214ff BauGB Planerhaltung
  • Im Fachplanungsrecht ( § 17 VI c FStrG) und Planungsrecht ( § 75 Ia 2 VwVfG )

5. § 45 VwVfG

  • Regelungsgegenstand nur die fünf Fallgruppen des § 45 I VwVfG (BVerwG NJW 1987, 1564, 1566).
  • Nachholen bis Abschluss der letzten Tatsacheninstanz (früher sogar bis Abschluss gerichtlichen Verfahrens insgesamt).
  • Heilung tritt mit Nachholung ein, nicht früher. Dies hat Auswirkungen für § 80 V / § 123 VwGO und auch sonst, wenn die Sach- und Rechtslage des Ausgangsbescheides maßgeblich ist, zum Beispiel für die Kostenentscheidung nach Erledigungserklärung nach Heilung.

Grundsatz der realen Fehlerheilung:

Nachholung bei Anhörung nicht durch die bloße Widerspruchseinlegung, die Behörde muss auch zur Kenntnis nehmen und erwägen.

Strenge Auffassung (hM): Nachholung bei schon anhängigem Rechtsstreit nur gegeben, wenn die Behörde wirklich nochmals erwägt, den angefochtenen Bescheid abzuändern. Fraglich, wenn im Gerichtsverfahren es um Zweckmäßigkeitsfragen geht, welche nach § 114 VwGO nicht zur Aufhebung durch das Gericht führen könnten.

Noch keine Heilung kann eingetreten sein, wenn der Widerspruchsführer erst nach Akteneinsicht seinen Widerspruch begründen will (so –richtig- VGH Kassel, B. v. 23.09.2011 -6 B 1701/11

  • Spezialfall für Wiedereinsetzung: § 45 III VwVfG

6. § 46 VwVfG

  • Voraussetzungen

6.1 subsidiär zu § 45 VwVfG

6.2 keine Nichtigkeit

6.3 Verletzung (nur) von Verfahren, Form oder örtliche Zuständigkeit

Verfahrensfehler auch fehlende Begründung, Kopp/Ramsauer § 46 Rdnr. 17

6.4 keine Kausalität zwischen Fehler und materieller Entscheidung= es muss ausgeschlossen sein, dass eine andere Möglichkeit zum Tragen gekommen wäre. Nicht wie früher Ermessensreduzierung auf Null. Auch bei verschiedenen möglichen Entscheidungen, wenn gewiss ist, dass sich die Verletzung nicht auf das Entscheidungsergebnis ausgewirkt hätte.

6.5 Offensichtlichkeit (der fehlenden Kausalität): „schillernder Begriff“:

Kopp-Ramsauer § 46 Nr. 36ff

  1. vernünftige Zweifel ausgeschlossen, strenger Maßstab ( materiell )
  2. str. darüber hinaus: auch hinsichtlich tatsächlicher Überzeugung ( Beweisbarkeit ) Objektiv eindeutig ( nicht Frage der Zeugenvernehmung o. ä. )
  • Rechtsfolge: Unbeachtlichkeit. Aufbaumäßig schwierig: man prüft entweder innerhalb der formellen RM auch das materielle mit, oder verweist auf unten.

Bsp. Verstoß gegen § 11 VI 2 Hs. 2 FeV führt offenbar nicht zu einem anderen Ergebnis VGH Kassel, Urt. v. 26. 5. 2011 − 2 B 550/11

Vgl. § 11 VI Fahrerlaubnisverordnung 1Die Fahrerlaubnisbehörde legt unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. 2Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann. 3..

EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 mit Bespr. JuS 2015, 1138:

§ 46 VwVfG gilt nicht bei Verstößen gegen Art. 11 RL 2011/92/EU (Arhus-Konvention-Umsetzung)

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