§ 80 V-VwGO; Straßenrecht: Abgrenzung Gemeingebrauch, Sondernutzung: OVG Münster, B. v. 20. November 2020

 

OVG Münster, B. v. 20.11.2020 -11 B 1459/20- NJW 2020, 3797

§ 80 V-VwGO Antrag eines Mietfahrradverleihers auf Wiederherstellung/Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Ordnungsverfügung 1. die komplette Leihfahrradflotte aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen und 2. die weitere, widerrechtliche Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums zu unterlassen“ sowie jeweils Zwangsgeldandrohungen.

Diese Anträge haben (anders als vor dem VG) keinen Erfolg:

Der zu Grunde liegende Bescheid sei wohl rechtmäßig:

Rechtsgrundlage für den VA zu 1.) und den zu 2) ist jeweils § 22 S. 1 NRWStrG („

Wird eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt oder kommt der Erlaubnisnehmer seinen Verpflichtungen nicht nach, so kann die für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung oder zur Erfüllung der Auflagen anordnen.“)

Das Abstellen (zum Vermieten) ist nach Auffassung des OVG eine Sondernutzung. Es gelten die gleichen Abgrenzungskriterien zum Gemeingebrauch wie für das Parken/Aufstellen von KfZ. Da die Leihfahrräder primär zum Abschließen von Mietverträgen auf den Gehwegen stehen, überwiege nicht das bloße Abstellen zum Zwecke späterer Wiederinbetriebnahme, sondern die gewerbliche Geschäftsanbahnung, wie als ob dort noch ein realer Mitarbeiter die Geschäfte betreiben würde. Keine Ermessensfehler: Der Fomalverstoß, keine Sondernutzungserlaubnis eingeholt zu haben, reiche. § 18 II 2 NRWStrG („Die Sondernutzung bedarf der Erlaubnis der Straßenbaubehörde.“) enthalte ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.

Die Anordnung Nr.2 sei bestimmt genug.

Es überwiege das öffentliche Interesse auch für die Zeit bis zur Bestandskraft, damit die Verfügungen nicht entwertet werden und aus spezialpräventiven Gründen.

Polizeirecht

Polizeirecht Grundbegriffe und Merkposten

Grundbegriffe: Gefahr, Anscheinsgefahr, Öffentliche Ordnung, Handlungsstörer, Zweckveranlasser, Anscheinsgefahr, unmittelbares Ausführen; Zustandsstörer, Gefahrenverdacht; Putativgefahr, Risiko und /Risikovorsorge, Strafverfolgungsvorsorge; Abgrenzung Präventive Sicherstellung zu §§ 73ff StGB (Einziehung und Verfall); Verlagerung ins Gebührenrecht

Inanspruchnahme als Nichtstörer etc., § 59 ASOG

Grundbegriffe des Polizeirecht: Gefahrenbegriff

Gefahr

eine Lage, in der ein Zustand bei ungehindertem Ablauf des Geschehens in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit führen würde. Beim Grad der Wahrscheinlichkeit ist danach zu differenzieren, welches Schutzgut auf dem Spiel steht. Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringere Anforderungen gestellt werden (Schulbuchmäßig: OVG Münster, B. v. 10.01.1985 – 4 B 1434/84-NVwZ 1985, 355 für Gefahr durch Ausdünstungen in einem Altlastenfall).

Gefahr/Anscheinsgefahr

Anscheinsgefahr:

es konnte objektiv nie möglicherweise ein Schaden eintreten:

auf Primärebene ist Anscheinsstörer echter Störer, auf Sekundärebene nach wohl hM: Entschädigungsregeln für Nichtstörer analog

echter Fall für Anscheinsgefahr:

berechtigtes Auto steht auf dem Behindertenparkplatz, jedoch fehlt der Ausweis, der sichtbar sein müsste (so jedenfalls OVG Koblenz NVwZ-RR 2005, 577)

weiteres Bespiel, aber wohl in der Regel bloßer Gefahrenverdacht:

Aus einer Wohnung dringen laute Hilferufe, die nicht als Fernsehgeräusche erkennbar sind (fließend zu Gefahrenverdacht: Polizei ist sich von Anfang an nicht sicher, ob eine wirkliche Gefahr vorliegt)

Anscheinsgefahr soll auch vorliegen, wenn sicher eine Gefahr vorliegt, aber unklar ist, ob der Betroffene Verursacher ist

Fall hierzu: VGH Mannheim, U. v. 14.12.2010 -1 S 338/10 NVwZ-RR 2011, 231)(1. Mai-Straßenfest im Sedanviertel in Freiburg. Verursacher für ein Feuer: auch die beim Feuer angetroffene Lehrerin und Stadträtin?, siehe zu diesem Fall auch Standardmaßnahmen)

Öffentliche Ordnung:

ist die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln zu verstehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes anzusehen ist (so BVerwG -(U. v. 26.2.2014 -6 C 1.13-NVwZ 2014, 883 zu § 15 I VersG)

Grundbegriffe des Polizeirechts: Störer

Handlungsstörer:

Theorie der unmittelbaren Verursachung:

Bei der Beurteilung der Kausalität im Polizei- und Ordnungsrecht und bei Auswahl der für den Eintritt der Gefahr wesentlichen Ursachen ist nach allgemeiner Ansicht darauf abzustellen, wer bei wertender Betrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles die Gefahrengrenze überschritten und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt hat (OVG Münster, a.a.O.)

anderer Formulierung: Handlung führt zu Handlungsstörerpflicht, wenn sie nicht (mehr) denjenigen Anforderungen entspricht, die die Rechtsordnung im Interesse eines störungsfreien Gemeinschaftslebens verlangt.

wohl immer noch hM (vgl. VG Hamburg B. v. 02.04.2012 -15 E 756/12-)

und nicht sicher abgelöst durch die (kleine) Einschränkung der „Theorie der rechtswidrigen Verursachung“. Keine solche Handlung, wenn sich der Betreffende den Forderungen der Rechtsordnung entsprechend verhält und lediglich eine von der Rechtsordnung vorgesehene Möglichkeit der Rechtsausübung in sozialüblicher Weise wahrnimmt (im konkreten Fall nicht angenommen vom OVG Münster, a.a.O obgleich Verantwortliche nach Bergrecht entlastet worden war).

Verschuldensunerheblich, vielmehr gilt es, Verantwortungsbereiche objektiv zuzurechnen

instruktiver Fall OVG Koblenz Urt. v. 26.11.2008 -8 A 10933/08- NVwZ-RR 2009, 280:

Störerhaftung für umgekippten Öltank für Heizöllieferanten nicht ausgeschlossen, obwohl Tanklastwagenfahrer an sich alle einschlägigen Pflichten beachtet hat. Nur weil auch ansonsten für diesen nichts Auffälliges bemerkbar war, sollte das Befüllen selbst noch nicht die entscheidende Risikoerhöhung gewesen sein.

Zweckveranlasser:

Idee: Handlungsstörer ist nicht nur der, der in dessen Kenntnis und Willen die Gefahr verursacht wird, sondern auch durch ein Verhalten, das die Störung durch Dritte auslöst und das in einem untrennbaren Zusammenhang mit ihr steht.

Beispiele;

VGH Mannheim DVBl 1996, 564 Hier: verneint bei Bordellzimmervermieter im Hinblick auf Straftaten der Prostituierten nach § 92 I Nr. 3 AuslG alt.

VG Saarlouis, Urt. v. 28.08.2009 -6 K 125/09 NVwZ-RR 2009, 24: Zweckveranlassung eines Pflegeheimes für entlaufenen Heimbewohner im konkreten Einzelfall (zurechenbar aufgrund mangelnden Sicherungsvorkehrungen und konkreter Gefahr des Entweichens der betreffenden Person)

OVG Münster, Beschluss vom 11. 4. 2007 – 7 A 678/07 NVwZ-RR 2008, 12 Heft 1:

Lebensmitteleinzelhändler ist Z., wenn er Lieferanten Schlüssel aushändigt und diese entgegen der Baugenehmigung nachts Waren anliefern.

Abgr. Handlungsstörer zu Zustandsstörer:

VGH Mannheim VBlBW 1996, 302ff und OVG Bautzen NJW 1997, 2253 jeweils zur Pflichtigkeit des KfZ-Veräußerers, nach § 27 III StVZO den Erwerber zu nennen.

noch keine Handlungsstörereigenschaft.

Polizeirecht: Merkposten

Gefahrenverdacht:

Duldung Gefahrerforschungsmaßnahmen auf jeden Fall,

Str.: Pflicht zu eigenen Untersuchungen (wie Spezialgesetzlich vorgesehen, Vgl. § 9 II BBodSchG) Unverhältnismäßig?

VGH Mannheim U. v. 24.01.2012 -10 S 1476/11- NVwZ-RR 2012, 387 mit Besprechung JuS 2012, 863 Zur Pflichtigenauswahl für die Geltendmachung der Ersatzvornahmekosten: Es gäbe ein Grundsatz, dass bei Anscheinsgefahr und Gefahrenverdacht der auf Primärebene in Anspruch Nehmbare auf der Sekundärebene nicht kostenpflichtig sei.

Putativgefahr:

Obj. für die Polizei erkennbar, dass keine Gefahr vorliegt.

Gefahr/Risiko/Risikovorsorge:

BVerwG, U. v. 26.6.2014 -4 C 3/13.NVwZ 2015, 220 (Flugrouten Flughafen Berlin-Brandenburg über Wannsee-Forschungsreaktor).

Laut BVerwG ist Risiko als Vorstufe der Gefahr ein aliud zu dieser (und nicht nur ein gradueller Unterscheid innerhalb der Gefahr, so noch VGH Kassel NVwZ 2007, 597,603).

(hierzu: § 29 I 1 Luftverkehrsgesetz -LuftVG-: „Die Abwehr von betriebsbedingten Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs sowie für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch die Luftfahrt (Luftaufsicht) ist Aufgabe der Luftfahrtbehörden und der Flugsicherungsorganisation.“). Konsequenz (aber nur): keine Pflicht zur Risikovorsorge für die Flugaufsichtsbehörde jenseits der Gefahrenabwehr wie im Atomrecht. Gefahren durch etwaige betriebsbedingte Abstürze auf den Reaktor sind zu bewältigen.

Art. 11 III Polizeigesetz Bayern (PAG): Maßnahmen bereits vor der normalen konkreten Gefahr zu deren Verhinderung bei gefährlichen Personen (Vorfeldtatbestände)

§ 15 II ASOG unmittelbares Ausführen:

Abgrenzungsstreit:

wohl noch hM: Wenn keine bzw. mutmaßlich ohne Willensbeugung (weil Betroffener schlicht nicht erreichbar): unmittelbare Ausführung im Ggs. zum Sofortvollzug als normaler Zwangsvollstreckungsmaßnahme: Kästner JuS 94, 361

Im Vordringen begriffene Auffassung: § 15 ASOG schlicht spezieller (als das allgemeine Vollstreckungsrecht nach dem VwVG) so Kaniess, LKV 2013,401.

Rechtsschutz dagegen nach VGH Kassel, B. v. 19.5.2008 -8 B 557/08-NVwZ-RR 2008, 784:

durch § 80 V 3 VwGO (nicht § 123 VwGO), weil es sich um einen Verwaltungsakt handele, der ohne Bekanntgabe an den Adressaten vollzogen werde.

Razzia

Sammelkontrolle; klass. Fall für Schwerpunkttheorie.

Schöner Fall VG München NVwZ-RR 2000, 154

(RW wegen Unverhältnismäßigkeit einer Razzia in einem Vereinslokal aufgrund anonymer Anzeige, ohne diese auf Wahrheitsgehalt zu überprüfen),

Spezielle Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge

(m. E. eher Datenschutzprobleme)

Erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 81b Var. 2 StPO (Fingerabdrücke..)

dienen weder der Strafverfolgung (nicht repressiv, kein § 23 I 1EGGVG , keine abdrängende Sonderzuweisung mit Rechtsbehelf § 98 II 2 StPO analog), auch nicht präventiv (Verhinderung künftiger Straftaten) sondern Strafverfolgungsvorsorge (§ 40 I 1 VwGO +)..

Hierzu: Kruse, Bulling JUS 2007, 342.

BVerwG (U. v. 25.01.2012 -6 C 9/11- BVerwGE 141, 329; Bespr. JuS 2013 94 und NVwZ 2012, 738)

offene Videoüberwachung nach § 8 III Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei Hamburg (HmbPolDVG)

§ 8 Datenerhebung im öffentlichen Raum und an besonders gefährdeten Objekten

(…)

(3) 1 Die Polizei darf zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten öffentlich zugängliche Straßen, Wege und Plätze mittels Bildübertragung offen beobachten und Bildaufzeichnungen von Personen anfertigen, soweit an diesen Orten wiederholt Straftaten der Straßenkriminalität begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch künftig mit der Begehung derartiger Straftaten zu rechnen ist. 2 Absatz 1 Sätze 2 bis 4 gilt entsprechend.

(…)

Landesgesetzgeber darf regeln, weil die StPO die Strafverfolgungsvorsorge nur punktuell regelt (neben § 81b Alt. 2 stopp noch § 81g stopp DNA-Untersuchung zur Identitätsfeststellung in zukünftigen Strafverfahren und § 484 StPO (DV für Zwecke künftiger Strafverfahren)). Regelung nach BVerwG auch verhältnismäßig.

Abgrenzung Präventive Sicherstellung zu §§ 73ff StGB (Einziehung und Verfall)

VGH Hessen, B. v. 25.04.2018 -8 B 538/18-, NJW 2018, 3401

Obwohl § 73d StGB (erweiterter Verfall) präventiv-ordnende Ziele verfolgt, ist daneben eine Sicherstellung nach Landesrecht möglich. Die Anwendbarkeit der landesrechtlich verankerten Sicherstellungsnormen wird dadurch jedoch nicht ausgeschlossen. Denn der erweiterte Verfall soll verhindern, dass der betroffene Straftäter deliktisch erlangte Gegenstände behalten darf. Die mit der Bereicherung des Täters bereits eingetretene Störung der Vermögensordnung soll nicht auf Dauer bestehen bleiben, sondern für die Zukunft beseitigt werden (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95 -, Rdnr. 66ff. [70]). Demgegenüber verfolgt die Sicherstellung nach § 40 Nr. 4 HSOG das Ziel, einer bevorstehenden neuen Gefahr für die öffentliche Ordnung durch neue Straftaten entgegenzuwirken (Rdnr. 17).

Verlagerung ins Gebührenrecht

vgl. den Klassiker Gebührenbescheid für das Umsetzen eines PKW

Polizeigebühren für Kosten anlässlich von Fußballspielen:

BVerwG, U. v. 29.03. 2019 – 9 C 4/18 – NJW 2019, 3317, Bespr. JuS 2020, 93, NVwZ 2019, 1416

(statt wohl Zweckveranlasser –nicht Störer sondern Nutznießer der verstärkten Polizeipräsenz)

Schadensausgleich bei Inanspruchnahme als Nichtstörer etc, § 59 ASOG

§ 59 I ASOG: rechtmäßiges Behördenhandeln

§ 59 II ASOG: bei rechtswidrigen Maßnahmen

Kein Verschulden des Staates dabei.

Eine rw Maßnahme kann auch ein qualifiziertes Unterlassen sein,

Bsp. OLG Hamm, Urt. v. 18.01.2019 – U 153/17 – Besprechung JuS 2019, 829 für Unterlassen, gegen baurechtswidrigen Lärm aus Gaststätte einzuschreiten.

Literatur:

https://www.matthias-losert.de/skript-zum-polizeirecht/

Heintzen/Siegel: Neues Ordnungsrecht für Berlin – zu den Neuregelungen des ASOG, zum Versammlungsfreiheitsgesetz sowie zum Landesantidiskriminierungsgesetz (1. Teil) LKV 2021, 289.

Peters/Rind: Allgemeines Ordnungsrecht Grundlagen und aktuelle Rechtsfragen recht oberflächlich, aber zur Wiederholung/Aktualisierung o. K. LKV 2017,251

Waechter: Bayern: Polizeirecht in neuen Bahnen NVwZ 2018, 458 (zu Vorfeldregelungen)

Enzensperger: Zulässigkeit und Grenzen behördlicher Bettelverbote im öffentlichen Raum NJW 2018, 3550.

Kirchhoff: Polizeiliche Meldeauflagen zur Gefahrenabwehr NVwZ 2020, 1617

Grundrechte neue Entwicklungen

Art. 19 III GG,

Informationelle Selbstbestimmung, Allgemeine Handlungsfreiheit,

Art. 3 GG Willkürformel und Neue Formel, Art. 3 III GG

Art. 4 GG, Art. 5 GG, Art. 8 GG, Art. 14 GG

Grundrechte: neuere Entwicklungen

Art. 19 III GG ist erweiternd aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 II AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV) auf juristische Personen aus Mitgliedsstaaten der EU anzuwenden (BVerfG, B. v. 19.07.2011 -1 BvR 1916/09; Besprechung JA 2012, 156

Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG allgemeines Persönlichkeitsrecht:

Informationelle Selbstbestimmung

Eingriff -konkret in Form einer Videoüberwachung eines öffentlichen Raumes mit entsprechendem Schild- kann nicht nur die allgemeine Ermächtigungen in Datenschutzgesetzen (Behörde kann zur Erfüllung ihrer Aufgaben …) herangezogen werden (BVerfG, B. v. 23.2.07 -1 BvR 2368/06- NVwZ 2007, 688), sondern bedarf einer Spezifischen.

Ein Eingriff liegt bei automatisierter Erfassung bereits dann immer vor, wenn die Daten zunächst gespeichert werden, auch wenn diese dann automatisch gleich wieder gelöscht werden, wenn der Abgleich keinen Treffer ergibt (ausdrückliche Änderung der RS)

BVerfG., B. v. 18.12.2008 -1 BvR 142/15 – NJW 2019, 827, Bespr. JuS 2019, 504

Art. 2 I GG allgemeine Handlungsfreiheit

BVerwG, Urt. v. 13.9.2017 – 10 C 7/16 – NVwZ 2018, 73

Art. 2 I GG schützt das Recht des Einzelnen auf freien Zugang zum Strand zum Spazierengehen, Baden und Wattwandern als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit. § 59 I BNatSchG beschränkt das Zugangsrecht verfassungskonform auf das Betreten über den Strand führender, auch privater Straßen und Wege und das Betreten tatsächlich ungenutzter Teilflächen des Strandes.

Das Berufungsurteil geht jedoch zu Unrecht davon aus, der geltend gemachte Einwirkungsanspruch sei unbegründet, weil den Kl. kein Recht auf unentgeltlichen Zugang zum Strand oder zu Teilen davon zustehe. Diese Annahme beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des Art. 2 I GG iVm § 59 I BNatSchG. Die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Auffassung, ein Recht der Kl. auf freien Strandzugang bedürfe einer einfach-rechtlichen Anspruchsgrundlage, ist revisionsrechtlich fehlerhaft. Sie beruht auf der unrichtigen Annahme, die Kl. verlangten eine Leistung und keine Störungsbeseitigung.

Neuland Klimaschutz BVerfG, B. v. 24.03.2021 -1 BvR 2656/18 u. a.- NJW 2021, 1723, Bespr. JuS 2021, 708: Die Zulassung von CO2-Emissionen heute bis 2030 durch die Regelungen des Klimaschutzgesetz sind künftig drohende Eingriffe („eingriffsähnliche Vorwirkung“) in die Freiheitsrecht und bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. „Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgt, durch die Regelungen des, dass nicht einer Generation zugestanden werden darf, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine – von den Beschwerdeführenden als „Vollbremsung“ bezeichnete – radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben schwerwiegenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Zwar können selbst gravierende Freiheitseinbußen künftig zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und gerechtfertigt sein; gerade aus dieser künftigen Rechtfertigbarkeit droht ja die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen (…)“ (Rdnr. 192).

Art. 3 I GG :

BVerfG B. v. 11.7.2006 -1BvR 293/05- NVwZ 436, Rezension Sachs JuS 2007, 572

Willkürformel: unterschiedliche Behandlung willkürlich

Neue Formel: personenbezogene Differenzierungen und solchen, die Auswirkung auf sonstige Grundrechte haben: müssen angemessen sein: keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können

Beispiel für zu differenzierende Gruppen: Speisegaststättenwirt gegenüber Schankgaststättenwirt BVerfG B. v. 24.01.2012 -1 BvL 21/11- NVwZ 2012, 257 mit Besprechung JuS 2013, 184

Art. 3 III 1 GG

Racial Profiling, also Polizeikontrolle nach Hautfarbe ist eine grundsätzlich verbotene Differenzierung.

OVG Münster, Urt. v. 07.08.2018 – 5 A 294/16 NVwZ 2018, 1497 mit Besprechung JuS 2020, 95) : Eine Rechtfertigung geht ausnahmesweise nur bei kollidierendem Verfassungsrecht (Gefahr für Leib, Leben, Eigentum), aber nur bei belastbaren Anhaltspunkten durch konkrete Erkenntnisse (konkret: Behauptung reinschlägiger Delikte männlicher Nordafrikaner am Bahnhof als Anhaltspunkte für Personenidentitäsfeststellung nach § 23 I Nr. 1 BpolG durch Bundespolizei nicht ausreichend .

Art. 3 III 2 GG

Legaldefinition für Behinderung in § 2 SGB IX, wonach Menschen behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Zum Unterschied Leistungsfähigkeit an sich zur Beeinträchtigung der Leistungsnachweisfähigkeit bei Prüfungen: OVG Weimar, Beschluss vom 17. 5. 2010 – 1 EO 854/10 LKV 2010, 427

Objektiv-rechtliche Funktion des Gleichbehandlungsgebotes:

Willkürverstoß bei Nichtbeachtung einer Richtlinie: BVerwG, U. v. 23.04.2003 -BVerwG 3 C 25.02- Weicht eine Behörde zugunsten eines einzelnen Subventionsbewerbers von einer ansonsten geübten Vergabepraxis ab, ohne aus sachgerechten Gründen ihre Praxis insgesamt zu ändern, so ist ihre Entscheidung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots rechtswidrig.

Art. 4 GG

Grundlegend für Teilnahmepflicht am (Schwimm-) Unterricht

VGH Kassel, Urt. v. 28. 9. 2012 – 7 A 1590/12 NVwZ 2013, 159

1. Das durch Art. 4 I und II GG gewährleistete Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt weder in der Gesellschaft noch in der zum staatlichen Bereich zählenden Schule, die auf ein Leben in der Gesellschaft in Deutschland vorbereitet, einen umfassenden Konfrontationsschutz.

2. Ein Glaubensgebot, wonach Mädchen im Alter von elf Jahren im Schwimmunterricht, der ihnen gemeinsam mit Jungen gleichen Alters erteilt wird, ihren Körper weitgehend verhüllen müssen, begründet keinen Anspruch eines muslimischen Mädchens auf Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht, wenn das Mädchen am Schwimmunterricht in einer muslimischen Bekleidungsvorschriften gerecht werdenden Schwimmbekleidung (Burkini/Haschema) teilnehmen kann und ihr – abhängig von den Umständen des Einzelfalles – das Tragen einer solchen Schwimmbekleidung zumutbar ist.

3. Ein Glaubensgebot, wonach sich Mädchen im Alter von elf Jahren nicht dem Anblick Anderer in Badebekleidung, die nicht den muslimischen Bekleidungsvorschriften entspricht, aussetzen dürfen und körperliche Berührungen mit Jungen zu vermeiden haben, begründet keinen Anspruch eines muslimischen Mädchens auf Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht, da der in der Pflicht zur Teilnahme an diesem Unterricht liegende Eingriff in die Glaubensfreiheit durch den Integrationsauftrag des Grundgesetzes gerechtfertigt ist.

4. Der Integrationsauftrag des Grundgesetzes gebietet es, Schülerinnen und Schüler auf ein Dasein in der säkularen und pluralistischen Gesellschaft in Deutschland vorzubereiten, in der sie einer Vielzahl von Wertvorstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen begegnen werden, die sie für sich selbst ablehnen.

Art. 5 GG

Art. 5 III 1 GG als objektiver Grundsatznorm kann verfassungsimmanente Schranke für die Wissenschaftsfreiheit als sein

(so BVerwG, U. v. 31.07.2013 -6 C 9/12 NVwZ 2013, 1614 mit Besprechung JuS 2014, 567 für die Entziehung eines Doktorgrads im Rahmen der Prüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Unwürdigkeit“.

Art. 8 GG:

BVerfG B. v. 22.12.2006 1 BvQ 41/06 NVwZ 2007, 574: Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist ein Minderheitenschutzrecht, deshalb kann ein Verbot nicht auf die Erwägung gestützt werden, die Anzahl der erwarteten Teilnehmer einer Demonstration stehe in keinem Verhältnis zu den Einwohnern der Gemeinde, die in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Grundsatz vertrauensvoller Kooperation ist keine Rechtspflicht zur Kooperation.

Art. 14 GG:

Auf die Eigentumsgarantie kann sich nicht berufen, wer das Eigentum nur erworben hat, um die Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die nach dem Rechtsschutzsystem der VwGO einem Eigentümer vorbehalten ist. (keine Klagebefugnis, weil Rechtsmissbrauch, wenn Grundstück nur als Sperrgrundstück erworben wurde, BVerwG, Urteil vom 25.1.2012 -9 A 6.10- NVwZ 2012 S. 567.

Art. 33 II GG:

Anspruch auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung (Art. 33 II GG), allgemein Bewerbungsverfahrensanspruch. Glaubhaftmachung im Eilrechtsschutz darf aus Art. 19 IV GG iVm 33 II GG nicht überspannt werden. Eine Auswahl des Antragsstellers muss (bloß) möglich sein, vgl. z.B. BVerfG B. v. 1.8.06 -2 BvR 2364/03- NVwZ 2006, 1401- mit Rez. Hufen JuS 2007, 578)

Neuere Rechtsprechung

Neuere Rechtsprechung: aktuelle examensrelevante Entscheidungen zum Öffentlichen Recht mit klausurrelevanten aktuellen Rechtsfragen, typischen Prozesssituationen und/oder klausurgeeigneten Sachverhalten.

(Die ca. 10 jüngsten Entscheidungen auch aus 2023 (1. Halbjahr) und aus 2022 gibt es exklusiv im internen Bereich.)

Neuere Rechtsprechung 2022:

VG Weimar, U. v. 03.05.2022 -7 K 1050/20 WE– NVwZ-RR 2022, 808:

Klage einer Gemeinde gegen den ihren Ablehnungsbescheid aufhebenden Widerspruchsbescheid. Vorliegen einer Gefahr

Die später Beigeladenen B beantragten eine Fällgenehmigung für eine auf ihrem Grundstück in Erfurt wachsende Schwarznuss. Dies lehnte die Stadt Erfurt mit Bescheid vom 25.10.2018 ab, weil kein Fällgrund bestehe, also keiner der Ausnahmen nach § 6 ihrer Baumschutzsatzung (BaumSchG) vom Fällverbot des § 5 BaumSchG vorliege. Auf den Widerspruch eines der B hin hob der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2020 die Ablehnung auf und verpflichtete die Stadt, die Fällgenehmigung zu erteilen, weil der Baum aufgrund einer nahen Gasleitung eine abstrakte Gefahr für Personen und Sachen von bedeutendem Wert sei. Die Klage der Stadt isoliert gegen den Widerspruchsbescheid hat Erfolg:

Sie sei als isolierte Anfechtungsklage i. S. d. § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft. Die Aufhebung des Ausgangsbescheides und die Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung der Fällgenehmigung stelle eine erstmalige Beschwer dar.

Grundsätzlich sei eine Kommune als Erstbehörde nicht klagebefugt, wenn die Widerspruchsbehörde diesen aufhebe, nämlich immer dann, wenn die Kommune eine staatliche Aufgabe wahrnehme. Anderes gelte nur bei der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides als letzter Behördenentscheidung seien die Ausführung und der Vollzug der Baumschutzsatzungen sind Aufgaben im eigenen Wirkungskreis der Kommunen, § 14 Abs. 1 ThürNatG.

In der Sache liege der einzig in Betracht kommende Ausnahme Fall des § 6 Abs. 1 Nr. 3 BaumSchS nicht vor. Danach kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden, wenn von dem Baum eine Gefahr für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgeht und die Gefahr nicht auf andere Weise mit zumutbaren Aufwand beseitigt werden kann. Dafür sei nämlich eine „echte“ Gefahr nötig, das heißt konkrete Anhaltspunkte für einen Schaden und nicht nur eine abstrakte (dies wird ausgeführt).

OVG Lüneburg B. v. 03.05.2022 -1 ME 31/22

Verknüpfung von Sachenrecht und Polizeirecht: Inanspruchnahme als Zustandsstörer trotz Aufgabe des Eigentums an einem Grundstück

§ 80 V-VwGO-Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Bescheid, ein Fachwerkhaus zurückzubauen samt Ersatzvornahmeandrohung (voraussichtliche Kosten: 30.000 €). Die Antragsteller (A) hatten das Anwesen noch minderjährig in einem bereits maroden Zustand geerbt. Dem Nachlassinsolvenzverwalter ist ein Verkauf des Grundstücks nicht gelungen. Nach Abschluss des Nachlassinsolvenzverfahrens 2014 erklärten die Antragsteller gegenüber dem Grundbuchamt die Eigentumsaufgabe. Sie meinen, sie könnten nicht als Zustandsstörer verantwortlich sein, da sie bereits nie Eigentümer geworden seien und jedenfalls wirksam das Eigentum aufgegeben hätten.

Der Antrag ist erfolglos geblieben. Als Ermächtigungsgrundlage hat das VG §§ 79 III 1, 56 NBauO gesehen. Die A seien als Eigentümer Verantwortliche im Sinne des § 56 NBauO. Ihre Eigentumsaufgabe sei sittenwidrig und deshalb nichtig, § 138 I BGB. Der erhebliche Sanierungsbedarf sei nämlich bereits damals bekannt gewesen. Das OVG hat die Entscheidung bestätigt: Die A könnten sich nicht auf § 873 I BGB berufen, da im Erbfall das Eigentum kraft Gesetzes übergehe, § 1922 I BGB. Die Zustandshaftung sei auch keine Nachlassverbindlichkeit, sondern entspreche eher einer nach dem Erbfall entstandene Nachlasserbenschuld.

Die Behörde habe die Verfügung zudem auf § 56 S. 4 NBauO i. V. m. § 7 III NPOG („Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen diejenige Person gerichtet werden, die das Eigentum an der Sache aufgegeben hat“) stützen können. Dass die Verweisnorm § 56 S. 4 NBauO erst 2019 und damit nach der Eigentumsaufgabe eingeführt worden sei, sei rechtlich unbeachtlich. Es handele sich um eine unechte Rückwirkung. Es sei nämlich seit langem anerkannt, dass die zivilrechtliche Haftung als Störer gemäß § 1004 BGB auch nach Eigentumsverzicht bestehe.

OVG Münster B. v. 31.03.2022 -9 B 159/22- NJW 2022, 1897,

VG Düsseldorf B. v. 24.01.2022 -16 L 53/22 :

§ 123 VwGO Eilantrag eines Bäckereiunternehmens, der Antragsgegnerin im Wege einer e. A. zu untersagen, auf der Internetseite „lebensmitteltransparenz.nrw.de“ den sich aus dem Anhörungsschreiben (…) ergebenden Inhalt zu veröffentlichen,

insbesondere den Vermerk: „An schwerzugänglichen Stellen wurde Mäusekot vorgefunden“, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Inhalt nur gemeinsam mit (der …) übermittelten Stellungnahme zu veröffentlichen. Das VG hat den Antrag abgelehnt, die Beschwerde hat Erfolg. Ein Anordnungsgrund liege angesichts der (noch) geplanten Veröffentlichung und deren irreparablen Folgen vor. Nach Auffassung des OVG besteht auch ein Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin können ihren öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruches auf Art.12 Abs. 1 GG stützen, weil ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit drohe. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für die staatliche Information nach § 40 Ia 1 Nr. 3 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) lägen nämlich wohl nicht vor („Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels [….] sowie unter Nennung des Lebensmittel[…]-unternehmens […], wenn der durch Tatsachen […] hinreichend begründete Verdacht besteht, dass […] 3. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist oder eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten ist und deswegen gemäß § 41 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.“).

Das OVG fordert klassisch eine verfassungskonforme Anwendung der Norm bereits auf Tatbestandsebene: Der Verdacht müsse durch Tatsachen belegt sein, der Verstoß von nicht nur unerheblichem Ausmaß und zusätzlich müsse ein Bußgeld/strafrechtliche Sanktionierung zu erwarten und deswegen eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt sein. Nach dem konkreten Sachverhalt, der in einer Klausur umfassend ausgewertet werden müsste, sind für das OVG diese Voraussetzungen nicht hinreichend gegeben. Das VG hatte den Sachverhalt noch anders interpretiert.

VGH Mannheim, U. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911

Kosten für Abschleppen eines Fahrzeugs wegen einer Anscheinsgefahr einer Trunkenheitsfahrt – Polizeirecht „vom Feinsten“.

Die Polizei hält am Sonntagmorgen um ca. 5 Uhr ein Fahrzeug an der mehrspurigen B 27 in Stuttgart an. Die Polizisten bemerken –so der Sachverhalt nach Beweiserhebung- deutlichen Alkoholgeruch im Fahrzeug, beim später klagenden Fahrer K glasige Augen, zittrige Finger und einen leicht schwankenden Gang. Einen Atemalkoholtest lehnt der K ab. Die Polizei untersagte die Weiterfahrt und ordnet eine Blutalkoholentnahme an. Das Fahrzeug steht verkehrsunsicher auf dem Fahrstreifen. Der Beifahrer, der Bruder des K, weigert sich, es wegzufahren. Auch jemand anderes wollen die Brüder nicht beauftragen. Die Polizei ordnet das Abschleppen an. Die Blutentnahme ca. 30 min später ergibt einen Blutalkoholwert von unter 0,08 o/oo.

Die Klage gegen den später ergangenen Kostenbescheid hat in erster Instanz Erfolg. Der VGH hat die Klage abgewiesen:

Rechtsgrundlage sei § 8 II 1 BWPolG. Danach sind die in den §§ 6 und 7 PolG bezeichneten Personen (Handlungsstörer/Zustandsstörer) zum Ersatz derjenigen Kosten verpflichtet, welche der Polizei durch die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme nach § 8 I 1 PolG entstanden sind („Die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme durch die Polizei ist nur zulässig, wenn der polizeiliche Zweck durch Maßnahmen gegen die in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann“).

Weil sofort gehandelt hätte werden müssen, sei am frühen Sonntagmorgen der Polizeivollzug zuständig gewesen, nicht die an sich zuständige Ortspolizeibehörde.

Der für ein unmittelbares Ausführen erforderliche fiktive Grundverwaltungsakt wäre rechtmäßig gewesen. Eine Maßnahme nach der polizeilichen Generalklausel wäre erforderlich gewesen. Das auf der Fahrbahne stehende Fahrzeug habe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt.

Der Kläger habe als Störer nicht zur Verfügung gestanden (der VGH geht von Zustandsstörereigenschaft nach § 7 BWPolG als Halter und sieht gleichzeitig den K als Fahrer für einen etwaigen Verhaltensstörer nach § 6 I BWPolG, die speziellere (Handlungs-)Verantwortlichkeit als Halter bleibt unerwähnt), weil er aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht zumindest eine Ordnungswidrigkeit begangen haben würde, wäre er weitergefahren (wird unter sehr ausführlicher Beweiswürdigung dargestellt).

Ermessensfehlerfrei habe die Polizei das Auto nicht selbst weggefahren, sondern ein Unternehmen beauftragt. Die entsprechende interne Anweisung sei sachgerecht, die Mehrkosten adäquat.

Entgegen dem Wortlaut („Entstehen [….] Kosten, so sind […]) habe die Behörde Ermessen, ob sie einen Störer zum Kostenersatz heranziehe. Regelmäßig sei zwar ein Störer heranzuziehen, in Ausnahmefällen wie bei einem Anscheinsstörer –wie hier- oder bei Gefahrenverdacht gelte jedoch anderes, wenn sich ex post die fehlende Gefahr bzw. die fehlende Verantwortlichkeit für die Verdachtsmomente herausstellen (Für Fälle, in denen die Gefahr durch/mit ein Auto verursacht wird, widerspricht dies m. E. der vorherrschenden Auffassung, die den Kfz-Halter immer für verantwortlich hält, solange er die Verfügungsgewalt nicht verloren hat; auch ansonsten ist eine Anscheinsgefahr eine echte Gefahr, auch soweit es um den Bezug zum Störer geht).

Der VGH geht von intendiertem Ermessen aus, so dass fehlende Ausführungen der Behörde unschädlich seien. Ausführlich wird dargelegt, weshalb sich der Kläger die Annahme seiner Fahruntüchtigkeit habe zurechnen lassen müssen, so dass kein Ausnahmefall vorliege.

Als „Kosten“ im Sinne des § 8 II 1 BWPolG habe die Behörde nicht nur die eigentlichen Unkosten (Rechnung des Abschleppunternehmens über 140 €), sondern auch eine Gebühr für die polizeiliche Tätigkeit vor Ort und eine für den Kostenbescheid selbst festsetzen dürfen „in Anlehnung an § 31 I BWVwVG“ („Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben.“). M. E. ist für eine rechtmäßige Gebührenfestsetzung eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung notwendig, weil Kosten nur tatsächlich entstandene sein können. Eine solche enthält aber § 4 II BWLGebG i. V. m der Gebührenverordnung Innenministerium und deren Anlage. Letztere wird vom VGH für die Überprüfung der Gebührenansätze auch herangezogen.

OVG Berlin-Brandenburg B. v. 07.02.2022 -OVG 1 S 131/21- NVwZ-RR 2022, 348

VG Berlin B. v. 17.09.2021 -1 L 277/21-

Konkurrentenstreit um eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung zum Betreiben eines Wochenmarktes.

Ein Sachverhalt, der sich schon ohne Umarbeitung fast wie ein Klausuraufgabentext liest.

Die Beigeladene veranstaltet seit knapp 20 Jahren einen Wochenmarkt auf dem Helene-Weigel-Platz in Berlin-Marzahn. Das zuständige Bezirksamt hat ihr mit Bescheid vom 30. April 2021 die für weitere Betreiben des Wochenmarktes ab dem 1. Juni 2021 erforderliche straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung nach §§ 46 II 1, 29 II StVO i. V. m. § 13 BerlStrG erteilt und mit weiterem Bescheid von diesem Tag den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Diese Antragstellerin beantragt beim VG unter anderem, 1. die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen den Ablehnungsbescheid und gegen die der Beigeladenen erteilte Ausnahme wiederherzustellen und 2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Hauptsachenentscheidung, längstens bis zum 31. Mai 2022, eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung für die Veranstaltung eines Wochenmarktes auf dem Helene-Weigel-Platz zu erteilen.

Das VG hat die aufschiebende Wirkung d. W. hinsichtlich der erteilten Genehmigung wiederhergestellt und den Antragsgegner im Wege der e. A. verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer bis zum 31. Mai 2022 befristeten straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung für die Veranstaltung eines Wochenmarktes (…) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Schulbuchmäßig hat es den § 80 V-VwGO-Antrag auf W. der a. W. des Widerspruches gegen den Ablehnungsbescheid zurückgewiesen, weil es sich nicht um eine Anfechtungssituation handele. Begehrt werde die Verpflichtung, die zulässig als Eilantrag nach § 123 VwGO verfolgt werde. Zulässig sei der §§ 80a III 2, 80 V VwGO-Antrag, soweit es die Anfechtung der der Beigeladenen erteilten Genehmigung betreffe. Die A sei antragsbefugt. Es geben einen Bewerbungsverfahrensanspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl (Art. 3 I, 20 III GG), weil hier die Auswahl eines privaten Marktveranstalters hoheitlich geprägt sei, weil der Marktveranstalter auch kommunale Interessen wahrnehme.

Der Bewerbungsverfahrensanspruch sei verletzt, weil das Verfahren und die Auswahlkriterien unklar seien (wird ausgeführt; die A hat wohl Fragen im auszufüllenden Fragebogen falsch verstanden). Rechtswidrig habe das Bezirksamt auch auf die Erfahrungen vor Ort abgestellt, obgleich im Straßenrecht das Kriterium „bekannt und bewährt“ anders als im Gewerberecht nicht berücksichtigt werden dürfe. Angesprochen hat das Gericht ferner u. a. die Fragen, ob es sein dürfe, dass die Beigeladene auf dem Markt einen eigenen Stand betreibe, das Verhältnis zur gewerberechtlichen Genehmigung, die die A hier fiktiv erhalten hat, §§ 6a II, 69 GewO). Der gewerberechtlichen Marktfestsetzung komme keine Konzentrationswirkung zu. Das VG hat sich ferner ohne nähere Ausführungen der im Vordringen befindlichen –m. E. richtigen- Auffassung angeschlossen, dass im Eilverfahren ein (vorläufiger) Neubescheidungsanspruch bestehen kann, wenn eine Genehmigung denkbar erscheint. Die Beschwerde der A., dass eine Genehmigung selbst hätte erteilt werden müssen, hat das OVG zurückgewiesen.

VG Frankfurt, B. v. 21.01.2022 – 5 L 148/22.F

§ 80 V-VwGO-Antrag, Versammlungsrecht:

Antragsteller wendet sich gegen einen am selben Tag ergangenen und für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der zuständigen Versammlungsbehörde (Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt/Main), mit welchem für eine ca. 10 Tage vorher für den 21.01. angemeldete Versammlung (Eine Abseilaktion über Autobahn mit dem Motto: „Spruchbänder an Autobahnbrücken sind kein Verbrechen – Autobahnen schon! Klimaschutz und Verkehrswende statt Strafverfahren gegen Aktivistis!“) u. a. die Auflagen erteilt werden, welche zum einen die Versammlung nur auf die betreffende Brücke über die BAB 648 in Frankfurt/Main räumlich und zeitlich auf die Zeit 21.01. 14.00 Uhr bis 15.00 Uhr beschränkt und zum anderen es untersagt, das Geländer der Brücke zu Übersteigen, zu überklettern oder sich am Brückengeländer abzuseilen. Das Kooperationsgespräch hatte am 19.01. stattgefunden. Der Antragsteller rügt mit seiner „Klage“ diese Auflagen und bemängelt, dass der Bescheid erst am Vortag am Nachmittag ergangen sei. Gleichzeitig hat er Widerspruch erhoben. Die Behörde trägt vor, dass die vom Antragsteller als Wohnort angegebene Adresse ein verlassenes Lager auf einem Feld bezeichne. Die Aktion sei zu (abstrakt) gefährlich, bei einer Sperrung der BAB 648 entstünden erhebliche Verkehrsprobleme und die (abstrakte) Gefahr von Unfällen.

Das VG hat dem Antrag überwiegend stattgegeben und die a. W. des Widerspruches mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Abseilaktion die Zeitspanne von 30 Minuten nicht überschreiten dürfe. Es hat dem Umstand, dass eine Klage erhoben wurde, nicht weiter problematisiert, sondern ohne Weiteres einen § 80 V-VwGO-Antrag angenommen. Die Anschrift des Antragstellers könne aus Zeitmangel nicht überprüft werden. Die Auflagen seien nicht nach Art. 8 GG i. V. m. § 15 VersammlG gerechtfertigt. Ebenfalls aus Zeitmangel sei davon auszugehen, dass hier –entgegen dem Behördenvorbringen- eine Sperrung der Autobahn nicht zu solchen Beeinträchtigungen führen werden, dass von einer konkreten Gefährdung von Verkehrsteilnehmer ausgegangen werden müsse, soweit sich die Abseilaktion auf angemessene 30 Minuten beschränke. Als obiter dictum führt das VG noch aus, alleine der Umstand, dass ein sofortvollziehbarer Bescheid erst mit einer Entscheidungsverzögerung ergangen ist, könne bei einer Interessenabwägung zur Stattgabe führen. Im konkreten Fall von Auflagen zu einer Versammlung habe die aus Sicht des Gerichts um jedenfalls einen Tag verzögerte Behördenentscheidung aber keine Konsequenzen im Hinblick auf Art. 19 IV GG gehabt, weil das Gericht noch rechtzeitig habe entscheiden können.

OVG Greifswald, B. v. 10.01.2022 -1 M 495/21 OVG- NJW 2022, 1635:

§ 80 V-VwGO-Antrag im Zusammenhang mit einer Verfügung, Hundegebell zu verhindern.

Die Antragstellerin A hält in einer dörflich geprägten Randlage mit großen Grundstücken drei Herdenschutzhunde, deren anhaltendes Bellen zu häufigen Beschwerden der Nachbarn führen. Der Antragsgegner -Amtsvorsteher- erlässt darauf unter Androhung der sofortigen Vollziehung die Verfügung: „Sie werden aufgefordert, nach Bekanntgabe dieser Ordnungsverfügung Ihre auf Ihrem Eigentum bzw. Besitz befindlichen Hunde auf Ihrem Grundstück (…) so zu halten, dass in den Ruhezeiten von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr des darauffolgenden Tages sowie an Sonn- und Feiertagen zwischen 13:00 Uhr und 15:00 Uhr das Hundegebell vollständig [unterbleibt] (…). In der Zeit zwischen 6:00 Uhr bis 13:00 Uhr und von 15:00 Uhr bis 22:00 Uhr sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Hundegebell auf ein Höchstmaß von täglich maximal 60 Minuten zu begrenzen. Das Höchstmaß bezieht sich nicht auf jegliches Hundegebell, sondern nur auf belästigendes, andauerndes oder häufiges Bellen.“

Der Widerspruch hiergegen wird vom Amt selbst beschieden, nicht vom Landkreis. Zusätzlich zur Klage erhebt die A den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und rügt u. a. diese Unzuständigkeit und in der Sache Unbestimmtheit der Regelung sowie zu strenge Anforderungen, in der Summe genug Stoff für eine Klausur.

Der Antrag hat nur zu einem Teil Erfolg.

Dass die falsche Widerspruchsbehörde entschieden hat (nach § 145 III Kommunalverfassung M-V ist Fachaufsichtsbehörde für die Amtsvorsteher der Ämter der Landrat als Kreisordnungsbehörde, § 3 I Nr. 2 SOG M-V; bei der ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehr handele es sich nicht um eine Selbstverwaltungsaufgabe, sondern um eine Landesaufgabe im übertragenen Wirkungskreis, § 1 IV SOG M-V), könnte im Hauptsacheklageverfahren nur zu einem Teilerfolg der isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides führen und ließe die Erfolgschancen der Klage gegen den Ausgangsbescheid selbst unberührt [Anmerkung: dies kann man auch gut anders sehen. Das OVG geht wohl von einem reinen Verfahrensfehler aus, der nur über einen (Hilfs-)Antrag nach § 79 I Nr. 2 VwGO Klagegenstand sein kann; ausgeblendet wird damit aber, dass nach § 79 I Nr. 1 VwGO der normale Klagegegenstand der Ausgangsbescheid in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Bei Ermessensverwaltungsakten –wie hier- kommt es also m. E. darauf an, ob auch die zuständige Widerspruchsbehörde im Rahmen ihrer vollen Ermessensüberprüfung zu keinem anderen Ergebnis kommen könnte, vgl. näher Kopp/Schenke, VwGO § 79 Rdnr 5.].

Das OVG hält die Verfügung hinsichtlich der Regelungen zum Lärm-Höchstmaß für bestimmt genug, da das Ziel der Vermeidung störenden Lärms klar sei.

Ermächtigungsgrundlage sei §§ 13, 16 I Nr. 2 SOG M-V) (Generalklausel) i. V. m. § 117 OWiG. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass Hundegebell insoweit nicht bis zu den Lärmgrenzwerten der TA Lärm erduldet werden müsse.

Unverhältnismäßig sei (nur), dass in den vorgegebenen Ruhezeiten jegliches Hundegebell untersagt werde. Die zusätzlich verfügte Zwangsgeldandrohung hat das OVG für rechtmäßig erachtet.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg B. v. 06.01.2022 – 5 S 19/21

§ 80 V-VwGO-Verfahren, Polizeirecht „Kampfhund-Fall“:

Antrag auf „Anordnung bzw. Feststellung“ der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen einen Bescheid vom 3.11, mit dem unter Zwangsmittelandrohung die Duldung der Sicherstellung, Unterbringung und Veräußerung der Hündin (ein American Staffordhire-Terrier) der Antragstellerin „S…“ angeordnet wird sowie den Bescheid vom 11.11., mit dem unmittelbarer Zwang festgesetzt wird. Vorangegangen waren drei Beißvorfälle und weitere Verletzungen des Leinen- und Maulkorbzwanges. Argumente der Antragstellerin: Eine Anhörung vorab sei nicht erfolgt und auch nicht nachgeholt, die Behörde stütze den Sofortvollzug auf § 30 XI HundeG Bln, wonach Anordnungen nach § 30 I bis VII und X HundeG sofort vollziehbar seien, nicht hingegen auf den hier angewendeten § 30 VIII HundeG. Der Bescheid vom 3.11. sei nicht begründet worden und in der Sache fehle eine Ermächtigungsgrundlage für eine Duldungspflicht (erlaubt werde „nur“ die Sicherstellung) und es sei offen, ob die Annahme, zuträfe, dass die Antragstellerin wiederholt und teilweise gröblich gegen Vorschriften des HundeG verstoßen habe. Auch die Festsetzung unmittelbaren Zwangs ohne vorangegangene Fristsetzung bei der Androhung als Fall von § 6 II VwVG (Sofortvollzug) ebenfalls rechtswidrig.

Antrag beim VG und die Beschwerde bleiben erfolglos: Es habe Gefahr im Verzug im Sinne des § 28 II VwVfG bestanden, auch sei ein Anhörungsmangel jedenfalls nach § 45 I Nr. 3, II VwVfG geheilt bzw. werde noch geheilt werden.

§ 30 VII 1 Nr. 2 HundeG sehe ausdrücklich eine Anordnung vor, also eine Regelung zu einer Sicherstellung bzw. über § 30 VIII HundeG, §§ 39f ASOG Verwahrung und Verwertung. Diese Normen schlössen es nicht aus, vorab eine Duldungspflicht auszusprechen. § 30 VIII HundeG sei nur eine Ergänzung des § 30 VII HundeG, nach dem sich die Ausgestaltung des Eilrechtsschutz richte. Der historische Gesetzgeber habe auch nur die Anordnung der Tötung (§ 30 IX HundeG) vom Sofortvollzug ausnehmen wollen.

Im Rahmen der summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin bei der Haltung der S wiederholt und teilweise gröblich gegen die Vorschriften des HundeG verstoßen habe. Als milderes Mittel sei nicht das bloße Untersagen der Haltung eines Hundes im Einzelfall in Betracht gekommen, weil der Antragstellerin generell die Eignung für das Halten und Führen eines gefährlichen Hundes fehle.

Eine Fristsetzung nach § 13 I 2 VwVG bei der Androhung sei zuletzt auch im Falle des § 6 I VwVG (gestrecktes Vollstreckungsverfahren) bei der Anordnung einer Duldung nicht erforderlich, weil einer Duldungspflicht in der Regel sofort nachgekommen werden könne.

Neuere Rechtsprechung 2021, 2. Halbjahr:

OVG Magdeburg, B. v. 21.12.2021 -3 M 177/21- KommJur 2021, 478

Polizeirecht: Zustandsverantwortlichkeit des Waldbesitzers für Maßnahmen zur Beseitigung von Gespinstnestern in von Eichenprozessionsspinnern befallenen Wäldern (vgl. § 8 I 1 SachsAnhSOG: „Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten“). Die Gesundheitsgefahren gehen nach der RS nicht nur von den herrenlosen Raupen aus, weil deren Hinterlassenschaften an den Bäumen und am Boden hafteten. Der Beschluss beschäftigt sich auch mit der bejahten Bestimmtheit der Verfügung und mit der Verhältnismäßigkeit, die letztlich bejaht wurde, weil hinter der Antragstellerin das Land steht, in dessen Eigentum der betreffende Wald steht.

OVG Lüneburg, B. v. 17.12.2021 -1 LA 91/20 –

VG Osnabrück, U. v. 28.05. 2020 -2 A 84/18-

Der Kläger ersteigert 2017 ein in unmittelbarer Nähe einer Schleuse ein1948/49 errichtetes Doppelhaus, welches mit dem Hinweis „Nutzungseinschränkung nach BauGB (vermutlich nicht zu Wohnzwecken)“ angeboten worden war. Das Haus wurde nach der Errichtung zunächst bis längstens 1988 von der Bundesrepublik als Dienstwohnung für Schleusenwärter genutzt.

Er plant, das Doppelhaus zu allgemeinen Wohnzwecken zu nutzen.

Nach Anhörung forderte ihn aber der Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2017 zum Abbruch und zur ordnungsgemäßen Beseitigung des ehemaligen Schleusenwärterhauses und der Nebengebäude bis zum 25. Februar 2018 bzw. bis zwei Monate nach Unanfechtbarkeit des Bescheids auf. Mit weiterem Bescheid vom 21. November 2017 werden zudem die sofortige Einstellung von Umbau- und Nutzungsänderungsarbeiten angeordnet. Widersprüche und Klagen hiergegen bleiben erfolglos.

Die Anlage sei formell und materiell baurechtswidrig:

Der Nachweis, dass es eine Baugenehmigung für die Nutzung des Doppelhauses zu allgemeinen Wohnzwecken gibt, sei dem Kläger nicht gelungen, auch nicht als Anscheinsbeweis aus den Umständen, die nur darauf hindeuteten, dass das Doppelhaus als Unterkunft für die Wärter der Schleuse genehmigt und errichtet worden sei (hier gälte es im Klausurfall, den Sachverhalt auszuwerten). Ein allgemeines Wohnen sei auch nicht von der Variationsbreite einer seinerzeit erteilten Genehmigung gedeckt. Das OVG führt dann ausführlich aus, dass auch nach dem zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden Baurecht, § 3 Bauregelungsverordnung (BauRegVO) der Außenbereich grundsätzlich von Bebauung freizuhalten gewesen sei, weshalb in der Regel nur solche Anlagen genehmigungsfähig gewesen sei, die wegen ihrer Zweckbestimmung an den Außenbereich gebunden seien.

Eine allgemeine Wohnnutzung sei auch materiell illegal. Als sonstiges Vorhaben

i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB widerspreche es den Darstellungen des Flächennutzungsplans und lasse die Entstehung bzw. Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten.

Dem Kläger helfe auch nicht der Privilegierungstatbestand des § 35 IV 1 Nr. 4 BauGB, denn es handele sich nicht um ein Gebäude, das das Bild der Kulturlandschaft präge (nach Auswertung diverser Unterlagen). Der Erlass der Beseitigungsverfügung sei auch ermessensfehlerfrei. Insbesondere sei keine willkürliche oder planlose Ermessensbetätigung. Die Sachverhalte anderer Fälle lägen teilweise anders, ansonsten habe sie die Behörde den vorliegenden Fall ermessensfehlerfrei als Musterprozess herausgreifen dürfen.

Anmerkung: Die Verordnung über die Regelung der Bebauung (Bauregelungsverordnung, vom 15.02.1936) galt bis zum Inkrafttreten des Vorläufergesetzes des heutigen BauGB, des Bundesbaugesetzes v. 23. 6. 1960 (BGBl. I S. 341), also bis zum 29. 6. 1961.

§ 3 Bauregelungsverordnung [Außenbereich]

(1) Für bauliche Anlagen, die außerhalb von Baugebieten oder, soweit solche nicht ausgewiesen sind, außerhalb eines im Zusammenhang gebauten Ortsteiles ausgeführt werden sollen, soll die baupolizeiliche Genehmigung versagt werden, wenn ihre Ausführung der geordneten Entwicklung des Gemeindegebietes oder einer ordnungsgemäßen Bebauung zuwiderlaufen würde.

(2) Dies gilt namentlich für bauliche Anlagen, deren Ausführung unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen und andere Verkehrseinrichtungen, Versorgungsleitungen, Entwässerungsanlagen, Schulversorgung, Polizei- und Feuerschutz oder sonstige öffentliche Aufgaben erfordern oder deren Benutzung besondere wirtschaftliche Schwierigkeiten für die Bewohner ergeben würde.

VGH München B. v. 06.12.2021 -9 ZB 18.782NVwZ-RR 2022, 209

VG Würzburg, U. v. 22.02.2018 – W 5 K 16.794

Unzulässige Baunachbarklage gegen die Gemeinde

Die Kläger (K) wenden sich als gegen ein Bauvorhaben des Beigeladenen. Ihre Klage richtet sich aber nicht gegen den Freistaat als Rechtsträger der zuständigen Baubehörde (Landratsamt), sondern gegen die Gemeinde. Es gibt keine Baugenehmigung für das Bauvorhaben des Beigeladenen, dieser hat nur eine Bauvorlage im Genehmigungsfreistellungsverfahren für die Errichtung einer Halle eingereicht. Mit Schreiben vom 4. Juli teilt die Beklagte (B) dem Beigeladenen unter Bezugnahme auf Art. 58 BayBO mit, dass für sein Bauvorhaben kein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden solle. Sie mache von ihrem Prüfungsrecht keinen Gebrauch und beantrage keine Untersagung nach § 15 I 2 BauGB. Sie übersendet das Schreiben auch an die K. Das Begleitschreiben bezeichnete es als Bescheid und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Landratsamt Würzburg teilt den K mit Schreiben vom 29.Juli mit, dass das Genehmigungsfreistellungsverfahren zurzeit aus baurechtlicher Sicht nicht ausführbar sei und somit für das Baugrundstück aktuell kein Baurecht bestehe. Am 2. August erheben die Kläger Klage und beantragen, 1.) den Bescheid der B aufzuheben und 2.) die B zu verurteilen, dem Beigeladenen die Baugenehmigung für einen Neubau einer Halle (…) zu versagen. Die Klage sei aufgrund der RMB erforderlich.

VG und VGH halten beide Klageanträge für unzulässig.

Der erste Antrag sei als Anfechtungsklage nicht statthaft, es fehle an einem Verwaltungsakt. Die Erklärung der Gemeinde nach (dem jetzigen) Art. 58 II Nr. 5 BayBO sei kein VA, sondern eine schlichte Verfahrenshandlung (Realakt). Erkläre die Gemeinde, ein Baugenehmigungsverfahren nicht zu verlangen, liege darin nur eines der Tatbestandsmerkmale für eine Genehmigungsfreistellung. Der Bauherr könne nur zu einem (noch) früheren Zeitpunkt mit seinem Bauvorhaben beginnen (vgl. Art. 58 III 5 und 5 BayBO). Es werde nichts bindend festgestellt. Aus der Bezeichnung des Schreibens als Bescheid und der Rechtsbehelfsbelehrung folge nichts Anderes. Daraus könne aus Empfängersicht allenfalls abgeleitet werden, dass der Rechtsweg eröffnet sei. Eine Anfechtung der Freistellungserklärung sei aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich, weil die K auch ohne die Möglichkeit, die Mitteilung der Gemeinde vom 4. Juli 2016 anfechten zu können, gegenüber dem Vorhaben des Beigeladenen nicht rechtlos gestellt seien. Sie könnten bei der Bauaufsichtsbehörde einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten stellen und dann später dann soweit nötig Rechtsweg beschreiten.

Eine Erklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG , die nach der Rechtsprechung des BVerwG einen Verwaltungsakt darstelle, betreffe den anders gelagerten Fall, dass die zuständige Behörde feststelle, dass die geplante Änderung einer Anlage keiner förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Auch sei diese Norm gar nicht nachbarschützend.

Eine Umdeutung in ein Verpflichtungsbegehren auf bauaufsichtliches Einschreiten scheide aus, weil ein solches gegen den Träger der Bauaufsichtsbehörde zu richten wäre.

Dem 2. Klageantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die K keine Verbesserung ihrer Rechtslage erreichen könnten. Zulässigkeit unterstellt, würde sich die Klage auch gegen den falschen Beklagten richten.

Die K müssten die Kosten voll tragen. Von § 155 Abs. 4 VwGO sei nach Ausübung gerichtlichen Ermessens kein Gebrauch zu machen, obwohl eine vorprozessual erteilte falsche Rechtsbehelfsbelehrung ein Beteiligtenverschulden im Sinne dieser Vorschrift sein könne. Die K hätten allerdings das KIageverfahren auch nach entsprechenden gerichtlichen Hinweisen fortgesetzt.

OVG Hamburg, U. v. 08.11.2021 – 2 Bf 448/18 –:

Nichtigkeitsfeststellungklage; teilweise übereinstimmende Erledigungserklärung, Eintragung einer Baulast als Verwaltungsakt; Bestimmtheitsgebot; Haupt- und Hilfsantrag. Nichtigkeitsgründe nach § 44 VwVfG.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die auf seinem Grundstück ruhenden Baulasten unwirksam sind, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, diese Baulasten zu löschen.

VG und OVG halten den Haupt- und den Hilfsantrag jeweils für zulässig, aber unbegründet: Die Eintragung einer Baulast in das Baulastenverzeichnis gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 HamBauO sei ein mitwirkungsbedürftiger (dinglicher) Verwaltungsakt, der mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 43 VwGO angegriffen werden könne. Damit sie vollstreckt werden könne, müsse eine Baulastenerklärung dem Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG genügen. Im konkreten Fall (massenweise Baulasten für PKW-Stellplätze auf einem mit einem Parkhaus bebauten Grundstück in Hamburg-Mümmelmannsberg für die umgebenden Grundstücke) hat das OVG eine mangelnde Bestimmtheit verneint. Selbst wenn Unbestimmtheit angenommen werde und deshalb eine Vollstreckbarkeit ausscheide, läge mangels schwerwiegendem Fehler keine Nichtigkeit nach § 44 II VwVfG vor.

VGH München, B. v. 28.10.2021 – 11 CS 21.2148NJW 2022, 413

VG Augsburg, B. v. 23.07.2021 – Au 7 S 21.1407

Fahrerlaubnisrecht: Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund Eignungszweifel nach einer Straftat im Straßenverkehr.

Erfolgloser § 80 V- VwGO Antrag gegen eine für sofortvollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Einziehung des Führerscheins. Vorangegangen war eine Aufforderung zur Abgabe eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit der Besonderheit, dass die Fahruntauglichkeit nicht aufgrund einer Krankheit oder Drogen fraglich war, sondern geklärt werden sollte ob der Antragsteller ungeachtet einer erheblichen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr nicht auch künftig wiederholt gegen straf- und verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Anlass war ein Strafbefehl gegen den Antragsteller wegen versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung (massives Drängeln mit Lichthupe und Hupen, bei der nachfolgenden Verkehrskontrolle dann Duzen der Polizeibeamten). Nach § 11 III 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 I und II FeV (Feststellung der Eignung) bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, angeordnet werden.

VG und VGH folgen der Rechtsprechung, wonach bei Ausbleiben des geforderten Gutachtens nach § 11 VIII 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden darf, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Sie sehen keine formellen Defizite der Aufforderung, obwohl dort von „Nötigung“ anstelle „versuchter Nötigung“ die Rede ist. Da der Schluss in § 11 VIII 1 FeV trotz der Formulierung kein Ermessen einräume, sondern den Eignungsmangel bei grundloser Verweigerung einer Begutachtung begründe, habe die Behörde auch richtig mitgeteilt, dass sie von einem Fehlen ausgehen „werde“. Die Gutachtensfrage sei richtig angesichts § 2 IV 1 StVG („Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“). Die Anlassstraftat sei gravierend. Die Behörde habe auf den Nötigungsversuch abgestellt, nicht auf die nachfolgende Beleidigung. Auch das Ermessen sei richtig ausgeübt, obwohl die Behörde nicht ausdrücklich etwas dazu ausgeführt hat, warum sie bereits nach einem Verkehrsverstoß und damit außerhalb des Punktesystems von der Ermächtigung des § 11 III 1 Nr. 5 FeV Gebrauch gemacht habe.

Das VG hat zudem zusätzlich eine Interessenabwägung unabhängig von der Inzidentüberprüfung vorgenommen und § 80 III VwGO geprüft.

VG Berlin, B. v. 21.10.2021 – VG 14 L 453/21

§ 80 V-VwGO Antrag gegen eine Untersagungsverfügung des Ordnungsamtes, Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Auslegung einer Bescheidformulierung als bestimmend und nicht als bloßer Rechtshinweis; Anhörungsmangel, Bestimmtheitsgebot; Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung.

Der Antragsteller stellt in einem von der Straße aus allgemein zugänglichen Windfang Warentische zur Lebensmittelumverteilung bereit. Dorthin liefert primär ein lokaler Biomarkt aussortierte Lebensmitteln an. Deren Verteilung wird über WhatsApp- und telegram-Gruppen organisiert. Auch stellen dort weitere Personen Lebensmittel unkontrolliert und zur freien Mitnahme für jedermann hin. Das Bezirksamt untersagt nach Feststellung ungekühlter, verdorbener und unsauber aufbewahrter bzw. unverpackter Lebensmittel auf den Warentischen die weitere Lebensmittelumverteilung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Weiter formuliert es, dass die Wiederaufnahme des Inverkehrbringens nach Schaffung der hygienischen Voraussetzungen und nach vorheriger Zustimmung des Ordnungsamtes erfolge. Die hygienischen Voraussetzungen würden nicht eingehalten. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag und macht geltend, er sei kein „Lebensmittelunternehmer“ im Sinne der einschlägigen EU-VO und daher für die Lebensmittelumverteilung nicht verantwortlich.

Das VG hält den Antrag für zulässig. Doppelte Rechtshängigkeit bzw. entgegenstehende Rechtskraft bestehe nicht, weil der rechtskräftige vorangegangene Beschluss den dortigen als unzulässig abgewiesen hatte.

Es handele sich jetzt um einen § 80 V- VwGO Antrag, auch soweit es dieser Wiederaufnahme-Regelung betreffe. Darin sei ein Verwaltungsakt zu sehen (Auslegung: im Tenortenorteil enthalten, Formulierung von „Maßnahmen“, Schaffung eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt, welche so die EU-VO Nr. 852/2004 nicht vorsehe).

Die Verfügung ist nach Auffassung des VG formell rechtwidrig mangels vorangegangener Anhörung. Nur ausnahmsweise erscheine es angesichts der zeitlich nahen Heilungsmöglichkeit nach § 45 I Nr. 3 VwVfG noch vertretbar, nicht alleine deshalb die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

Die Untersagungsverfügung selbst sei o. K. Ermächtigungsgrundlage sei Art. 138 I b VO (EU) 2017/625. Auch der Antragsteller als altruistische Privatperson ein Unternehmer im Sinne dieser Norm, weil er eine mit dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausübe. Er verstoße fortwährend gegen Art. 6 I und II VO (EG) 852/2004 (Registrierungspflicht). Abzustellen sei insoweit auf den Zeitpunkt bis heute, weil es sich um einen Dauerverwaltungsakt handele. Auch verstoße er gegen Art. 4 II der Verordnung (Hygienevorschriften als solche), wie im Einzelnen dargestellt wird.

Auf der Rechtsfolgenseite liege ein intendiertes Ermessen hinsichtlich des Obs einer Maßnahme (Entschließungsermessen) vor. Das gewählte Mittel eines Verbots des Inverkehrbringens von Waren sei verhältnismäßig.

Es bestehe auch ein besonderes öffentliches Vollziehungsinteresse.

Hinsichtlich der angenommenen weiteren Verfügung fehle es an hinreichender Bestimmtheit, § 37 I VwVfG. Zum einen sei unklar, ob neben den hygienischen Voraussetzungen wirklich konstitutiv eine Zustimmung des Amtes erforderlich sei solle. Aber auch der Begriff der „hygienischen Voraussetzungen“ sei nicht hinreichend bestimmt. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel nach § 39 I VwVfG vor. Es werde nicht klar, weshalb die Behörde von einem im Recht nicht vorgesehenen Zustimmungserfordernisses ausgehe. Da dies gleichzeitig einen Ermessensausfall bedeute, könne dieser Mangel auch nicht geheilt werden.

VG Berlin, B. v. 6.10.2021 – VG 11 L 291/21- ZUR 2022, 112

Erfolgreicher Antrag nach § 80 VII 2 VwGO.

Das Bezirksamt hatte mit einer „Anhörung/Anordnung gemäß § 45 Straßenverkehrs-Ordnung“ in einer Straße in Berlin Friedrichshain die Kennzeichnung einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2) an. Ferner sollte die Fußgängerzone mit „Radverkehr frei“ ausgeschildert werden. Es wurden Zeichen 283-10 und 283-20 (Absolutes Haltverbot) angeordnet und sodann aufgestellt, zusätzlich das Zeichen 250 (Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge aller Art). Die Antragsgegner –Eigentümer bzw. Anwohner eines Hauses an der Straße legten Widerspruch gegen die Sperrung für den öffentlichen Durchgangsverkehr durch Personen- und Lastkraftwagen ein, über den noch nicht entschieden ist. Das VG ordnete rechtskräftig mit Beschluss vom 28. Juni 2021 (VG 11 L 164/21) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an und verpflichtete den Antragsteller zu Entfernung der Verkehrszeichen 250, 242.1, 283.10 und 283.20, der errichteten Poller sowie der Absperrungen (bestätigt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 9. September 2021 (OVG 1 S 97/21).

Nunmehr hat das Bezirksamt –nach vorangegangener bloßer Ankündigung- die straßenrechtliche Teileinziehung aufgrund § 4 I BerlStrG des betroffenen Straßenabschnitts und deren Vollziehbarkeit verfügt und diese Allgemeinverfügung im Amtsblatt von Berlin veröffentlicht.

Nach Auffassung des VG führt diese Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 80 VII VwGO dazu, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nunmehr überwiegt. Es bestünden nunmehr keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes.

Rechtsgrundlage sei § 45 I b 1 Nr. 3, 1. Alt., 2 StVO. Hiernach treffen die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen zur Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und ordnen die Kennzeichnung von Fußgängerbereichen im Einvernehmen mit der Gemeinde an.

Die Voraussetzungen für die Kennzeichnung eines Fußgängerbereichs lägen nunmehr vor.

Das gemeindliche Einvernehmen in diesem Sinne sei entbehrlich. Die Grundsätze zu § 36 BauGB zur Identität von Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde selbst bei unterschiedlich Organen seien übertragbar. Auf die Rechtmäßigkeit der Teileinziehung komme es angesichts deren sofortiger Vollziehbarkeit nicht an. Überdies sei eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG nicht ersichtlich, das nur durch § 10 III BerlStrG (Anliegergebrauch) geschützt sei. Aus § 4 I 3 BerlStrG („Von der Möglichkeit der Teileinziehung soll insbesondere dann Gebrauch gemacht werden, wenn zur Realisierung von Maßnahmen der Verkehrslenkung und Verkehrsberuhigung bestimmte Verkehrsarten auf Dauer von dem durch die Widmung der Verkehrsfläche festgelegten verkehrsüblichen Gemeingebrauch ausgeschlossen werden sollen.“) folge kein subjektives Recht.

OVG Münster, B. v. 27.9.2021 – 2 B 1299/21-,NVwZ-RR 2022, 125:

Zwangsvollstreckung: Durchsetzung einer bauordnungsrechtlichen Verfügung; Auslegung einer Erledigungserklärung als rein prozessual:

Gegen die Antragsteller war am 31. 07.2018 eine Ordnungsverfügung ergangen, mit welcher die Nutzung einer Wohnung untersagt wurde, weil eine Baugenehmigung fehle. Gleichzeitig wurde ein Zwangsgeld angedroht. In der Sache war das Gebäude abweichend von der ursprünglichen Baugenehmigung errichtet worden. Später dann wurde auf dem Nachbargrundstück eine Abstandsflächenbaulast eingetragen und am 13.06.2019 eine Baugenehmigung mit Nebenbestimmungen erteilt. Im Klageverfahren gegen den Bescheid erklärten die Antragsteller daraufhin im August 2019 den Rechtsstreit für erledigt, die Baubehörde schloss sich dem im Oktober 2020 an. In ihrem § 80 V-VwGO-Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den nunmehr ergangenen Zwangsgeldfestsetzungsbescheid vom 18.02.2021 wenden die Antragsteller ein, die Nutzungsuntersagung hätte sich durch die Baulasteintragung und die Baugenehmigung erledigt, jedenfalls durch die übereinstimmende Erledigungserklärung. Auch hätte das Zwangsgeld nochmals angedroht werden müssen und das Zwangsgeld nicht einfach nach zweieinhalb Jahren verhängt werden dürfen. Der Antrag ist erfolglos geblieben.

Nach Auffassung des OVG war die Wohnnutzung auch nach der Baulasteintragung und der (zweiten) Baugenehmigung bereits weiterhin formell illegal, weil nach § 84 VIII NRWBauO die Aufnahme der Nutzung nicht bereits mit der Baugenehmigung erlaube, sondern erst mit der ordnungsgemäßen Fertigstellung (vgl. § 84 VIII 1 NRWBauO: „Anlagen im Sinne des Absatzes 1 dürfen erst benutzt werden, wenn sie ordnungsgemäß fertig gestellt und sicher benutzbar sind, frühestens jedoch eine Woche nach dem in der Anzeige nach Absatz 2 genannten Zeitpunkt der Fertigstellung.“). Eine der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung wiederholte dies sogar ausdrücklich. Eine weitere Nebenbestimmung mit Anforderungen an ein Treppenhaus sei zudem noch nicht erfüllt.

Der Anschluss an die klägerische Erledigungserklärung sei nach dem Erklärungsinhalt eine rein prozessuale Erklärung gewesen. Das OVG folgt der gängigen Rechtsprechung: Diese sei auch geboten gewesen, da die Behörde kein berechtigtes Interesse an der alleine noch möglichen Feststellung, dass Erledigung nicht eingetreten sei. Eine Erklärung, dass sich die Nutzungsuntersagung selbst erledigt habe, sei damit nicht verbunden gewesen.

Das Ermessen, nunmehr noch ein Zwangsgeld festzusetzen, sei rechtsfehlerfrei ausgeübt worden. Eine Verwirkung liege nicht vor: Die Verzögerung läge an wiederholten Versuchen der Antragsteller, einen formal legalen Zustand herbeizuführen. Es gebe keine Anzeichen für eine aktive Duldung der rechtswidrigen Nutzung.

VGH Kassel, B. v. 22.09.2021 -8 B 1929/21 NVwZ-RR 2022, 243

VG Wiesbaden B. v. 16.09.2021 -6 L 1174/21.WI

Sonntagsfrage auch nach Briefwahl?

Die Antragstellerin A, das Meinungsforschungsunternehmen Forsa, erstellt aufgrund von Umfragen Prognosen über das Wahlverhalten. Sobald vor einer Wahl die Möglichkeit besteht, die Stimme per Briefwahl abzugeben, fragt die A die Umfrageteilnehmer zunächst, ob und gegebenenfalls wie sie bereits per Brief gewählt haben. Wer noch nicht gewählt hat, wird anschließend nach seiner voraussichtlichen Wahlentscheidung gefragt. Mit Schreiben vom 24.8.2021 und vom 6.9.2021 bat der Antragsgegner, der Bundeswahlleiter (B) u. a. die A unter Hinweis auf § 32 II BWahlG („Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig) und die gesetzlich vorgesehene Geldbuße von bis zu 50.000 €, es zu unterlassen, vor 18 Uhr des Tages der Bundestagswahl Ergebnisse von Wählerbefragungen zu veröffentlichen, denen mit Wissen der Ast. auch Daten von Befragten zugrunde liegen, die ihre Stimme zur Bundestagswahl bereits per Briefwahl abgegeben haben. § 32 Abs. 2 BWahlG verbiete ganz allgemein die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach einer Stimmabgabe vor Ablauf der Wahlzeit. Ansonsten entstünde angesichts des hohen Briefwahlanteil schon vor dem Schluss der Wahllokale ein Bericht über die tatsächliche Stimmabgabe zur bevorstehenden Bundestagswahl.

Die A beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache (bereits erhobene Feststellungsklage) festzustellen, dass es nicht gegen § 32 II BWahlG verstoße, wenn A vor dem Wahltag der Bundestagswahl Ergebnisse von Befragungen veröffentliche, denen als aggregierter (nicht gesondert ausgewiesener) Bestandteil auch die Angaben von Briefwählern über ihre bereits getroffenen Wahlentscheidungen zugrunde lägen.

B hält den Antrag für bereits unzulässig. Denn er sei ein unabhängiges Wahlorgan und stehe außerhalb der Verwaltungsorganisation des Bundes. VwGO und VwVfG fänden keine Anwendung.

Der Antrag hat Erfolg: § 40 VwGO sei einschlägig. Eine abdrängende Sonderzuweisung gebe es nicht. Die Spezialvorschrift des § 49 BWahlG finde keine Anwendung. § 49 BWG erfordere den Streit um Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezögen. Das Schreiben des B an die A sei keine solche Maßnahme, denn es betrifft das Wahlverfahren nicht unmittelbar, sondern das Verhalten Dritter im Zusammenhang mit der Wahl. § 32 II BWahlG beziehe sich auch nicht auf das Wahlverfahren selbst.

Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 49 BWahlG, Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Rahmen der Wahl und die Wahlanfechtung in Umsetzung von Art. 41 GG einem besonderen Verfahren, spreche gegen die Anwendung im vorliegenden Fall. Auch aus § 49a BWG folge, dass bestimmte Entscheidungen des B, die die Wahl nur mittelbar betreffen, wie Bußgeldverfahren gerade wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 2 BWahlG nicht der Wahlprüfung unterlägen.

Weil der B keinen Verwaltungsakt erlassen habe, sei § 80 V VwGO nicht vorrangig.

Die Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog) und ein qualifiziertes Feststellungsinteresse lägen vor: Ein nur nachträglicher Rechtsschutz sei angesichts des Bußgeldverfahrens gegeben.

Die Antragstellerin sei auch schutzwürdig. Hieran würde es fehlen, wenn sich die Antragstellerin sehenden Auges in das Risiko begeben hätte, eine Strafe für ein von ihr für rechtmäßig gehaltenes Verhalten zu erhalten, indem sie weitere Umfrageergebnisse veröffentlicht hätte.

Richtiger Antragsgegner sei der Bund (§ 78 I VwGO analog), vertreten durch den Bundeswahlleiter als besonderem Wahlorgan (

Der Antrag sei auch begründet, weil ein Anordnungsanspruch bestehe. Nach Auffassung des VGH fällt eine Briefwahl nicht unter § 32 II BWahlG, da diese nicht unter den Begriff der Stimmabgabe zu fassen sei.

OVG Münster, B. v. 09.09.2021 -15 B 1468/21NJW 2021, 3673

In zweiter Instanz erfolgloser Antrag der AfD, ihr am 11.09 von 9 bis 22 Uhr für eine Wahlkampfveranstaltung eine Stellfläche von 600 m² im Volkspark Rheinhausen, einer öffentlichen Einrichtung, in Duisburg zur Verfügung zu stellen. OVG: Der Gleichbehandlungsanspruch aus § 5 I PartG, Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG wird nicht verletzt, obwohl die SPD Rheinhausen dort seit über 40 Jahren ihr Parkfest durchführen darf. Denn es müsse zwischen Wahlkampfveranstaltungen und Volksfesten mit primär unterhaltendem Charakter unterschieden werden.

VG Freiburg, U. v. 29.07.2021 – 10 K 4722/19 MMR 2021, 1013

Erfolgreiche Feststellungklage, dass die Bildobservation einer Friday-for future Versammlung in Freiburg mit einer Drohne durch die Polizei rechtswidrig gewesen ist.

Ausführungen in der Zulässigkeit zum Bestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 I VwGO (ja: in Frage steht, ob eine Duldungspflicht besteht), zum berechtigten Feststellungsinteresse (konkrete Wiederholungsgefahr und Interesse bei tiefgreifendem erledigtem Grundrechtseingriff bejaht). In der Sache ist das Urteil nicht überraschend: Die Beobachtung ist ein Eingriff in die (innere) Versammlungsfreiheit. §§ 19a, 12a VersammlG (das mangels Landesrecht einschlägig ist) scheiden zur Rechtfertigung aus (wird ausführlich dargestellt). Anderer Ermächtigungsgrundlagen gibt es nicht. Anmerkung: Das Urteil enthält entgegen § 167 VwGO keinen Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit.

OVG Berlin-Brandenburg, B. v.16.07.2021 -OVG 1 N 32/21NVwZ-RR 2021, 1011 u. NJ 2021, 421, VG Berlin, U. v. 15.03.2021 -VG 4 K 313.19

Erfolglose Anfechtungsklage gegen den Entzug eines Standplatzes auf dem Winterfeldtplatz (=Widerruf der Zulassung). Ermächtigungsgrundlage jedenfalls § § 49 II 1 Nr. 1 VwVfG aufgrund Verstößen gegen die Teilnahmebedingungen (zu späte Verkaufsbereitschaft, Missachtung der Anweisungen des Markmeisters), die bestimmt genug seien. § 69 Abs. 2 GewO verpflichtet die Festsetzung eines Wochenmarktes den Veranstalter zur Durchführung der Veranstaltung. Diese Verpflichtung des Marktveranstalters zur Marktdurchführung berechtigt ihn seinerseits, innerhalb der festgesetzten Öffnungszeiten von den Markthändlern die Verkaufsbereitschaft zu verlangen. Die Konkretisierung dieser Pflicht gegenüber dem einzelnen Händler kann auf die generalklauselartige Formulierung in Ziffer 2.1 der Teilnahmebestimmungen gestützt werden („[Der Marktmeister] trifft die erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen für den Marktverkehr. Seine Anordnungen sind sofort zu befolgen,….“). Ermessensfehler lägen nicht vor.

VGH München, B. v. 08.07.2021 -15 CS 21.1642- NVwZ-RR 2021, 1047

VG Regensburg, B. v. 19.05.2021 -RN 6 S 20.3192-

Erfolgloser § 80 V-VwGO-Antrag gegen die Feststellung eines (weiteren) Zwangsgeld über 5.000,– € wegen der Nichtbefolgung eines bestandskräftigen Baueinstellungsbescheids. Mittlerweile gibt es auch eine Abrissverfügung, die nicht sofort vollziehbar erklärt wurde. Nach Auffassung der Gerichte hat sich die Baueinstellungsverfügung entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht nach Art. 43 II BayVwVfG auf andere Weise erledigt. Dies wäre erst nach Fertigstellung bzw. nach Beseitigung des Baues der Fall. Die Behörde hat auch noch aktuell ein Vollstreckungsinteresse, damit die spätere Vollstreckung der Abrissverfügung (auf deren Kosten der Staat möglicherweise sitzen bleiben wird) möglichst einfach bzw. kostengünstig erfolgen kann. Die Beschlüsse enthalten darüber hinaus auch Ausführungen zur Frage der Notwendigkeit einer Fristeinräumung und –inzident- zur materiellen Baurechtslage: Die ursprüngliche für die Sanierung des Wohnanwesens im Außenbereich erteilt Baugenehmigung stand unter der auflösenden Bedingung, dass sich der Bauherr an das Sanierungskonzept hält. Sie ist nach Auffassung der Baubehörde erloschen, weil dagegen verstoßen wurde. Es handele sich nicht mehr um eine (durch den einfachen Bestandsschutz der ursprünglichen Baugenehmigung gedeckte) Sanierung, sondern um einen Neubau.

OVG Münster, B. v. 02.07.2021 -15 B 1134/21

Erfolgloser § 123 VwGO- Antrag, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten es zu unterlassen, bei der für den 3. Juli 2021 von der Antragstellerin angemeldeten und (bislang) nicht verbotenen Versammlung (wohl von sog. Querdenkern) in Bochum durch Verbot oder Auflösung aus dem Grunde zu vereiteln, dass entgegen Ziffer 4 des Bescheides nicht 18 Toiletten mit Handwaschbecken, sondern lediglich vier mobile Toiletten von der Antragstellerin gestellt werden.

VG und OVG verneinen einen Anordnungsanspruch:

Ein Verbot der Versammlung bei Nichterfüllung der Auflage, 18 solcher Toiletten bereitzustellen, sei nicht zu erwarten, weil damit nicht hinreichend sicher zu rechnen sei: Ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG sei (nur) eine vorbeugende Maßnahme. Nach Beginn der Versammlung handele es sich um eine Auflösung. Bis zum Beginn der Versammlung sei es voraussichtlich unklar, ob die Auflage nicht doch noch erfüllt werde. Möglicherweise reichten für die tatsächliche Teilnehmerzahl vier Toiletten aus.

Dasselbe gelte auch für die befürchtete Auflösung der Versammlung.

Die Auflage werde sich zwar voraussichtlich als rechtmäßig erweisen, hinreichend sicher eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in Form von Verstößen gegen § 3 I 2 Nr. 5 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Bochum („Jeder hat sich so zu verhalten, dass andere nicht gefährdet, geschädigt oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder gestört werden. Verboten ist insbesondere […] das Verrichten der Notdurft außerhalb der hierfür vorgesehenen Toiletteneinrichtungen […].“) zu erwarten seien, die sich als unzumutbare Beeinträchtigungen der Rechte Dritter erwiesen. Diese gelte, obwohl es bislang eine solche Auflage nicht gegeben habe und keine Versammlung aus diesem Grund verboten worden sei. Es sei auch nicht ein Sachverhalt glaubhaft gemacht, aus dem sich eine Unverhältnismäßigkeit der Auflage ergebe.

Eine Nichtbefolgung der Auflage führe zwar zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Polizeiführung währen der Versammlung vor Ort müsse aber vor einer Versammlungsauflösung nach § 15 III VersG die Verhältnismäßigkeit prüfen. Die Auflösung sei ultima ratio, zuvor müsse die Durchsetzung der Auflage anmahnt werden. Eine Ersatzvornahme sei kein milderes Mittel. Eine Versammlungsauflösung sei nämlich kein verwaltungsvollstreckungsrechtliches Zwangsmittel zur Durchsetzung der Auflage. Der Auflagenverstoß könne auch erst zu einem Zeitpunkt festgestellt werden, an dem es fernliegend erscheine, dass die Polizei noch rechtzeitig die erforderliche Zahl an Sanitäreinrichtungen beschaffen könne. Umgekehrt könne sich die Antragstellerin rechtzeitig um eine Erfüllung kümmern, so dass sich eine Auflösung der Versammlung voraussichtlich auch nicht als unverhältnismäßig erweise, wenn die Antragstellerin trotz Mahnung eine Erfüllung verweigere und ihr auch auf Anmahnung seitens der Polizei nicht nachkommt.

Neuere Rechtsprechung 2021, 1. Halbjahr:

OVG Lüneburg, B. v. 19.05.2021 -1 ME 55/21- NVwZ-RR 2021, 713

§ 80 V-VwGO-Antrag gegen eine denkmalrechtliche Anordnung gegenüber dem Eigentümer einer denkmalgeschützten ehemaligen Dorfschule, u. a., unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Zwangsgeldandrohung, (a) den Pilzbefall bzw. Hausschwamm fachmännisch begutachten zu lassen, um anschließend die Beseitigung vorzunehmen, sowie (b) im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht die Straße im westlichen Bereich vor eventuell herabfallenden Dach- und Wandelementen durch einen Bauzaun zu sichern.

Der Antrag hat (insoweit, in erster Instanz hat der Antragsteller andere Anordnungen mit Erfolg angegriffen) keinen Erfolg.

Nach dem Beschluss des OVG können Anordnungen wie die zu (a) zur Feststellung des bestehenden Zustands und des Instandsetzungsbedarfs eines Denkmals sowie der erforderlichen Maßnahmen auf § 23 I („Die Denkmalschutzbehörden treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die Anordnungen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der §§ 6 bis 17, 25, 27 und 28 sicherzustellen.“) i. V. mit § 6 I 1 NdsDSchG („Kulturdenkmale sind instand zu halten, zu pflegen, vor Gefährdung zu schützen und, wenn nötig, instandzusetzen.“) gestützt werden, wenn der Behörde belastbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Schädigung eines Denkmals vorliegen und der Eigentümer nicht von sich aus die notwendigen Maßnahmen ergreift. Das OVG verneint auch einen Ermessensausfall und hält die Anordnung für verhältnismäßig.

Die Anordnung zu (b) könne zwar nicht auf §§ 23 I, 6 I 1 NdsDSchG gestützt werden, weil sich diese Erhaltungspflicht nur auf Gefahren bezöge, die dem Denkmal selbst drohten. Einschlägig für Gefahren für die Umgebung des Denkmals sei das allgemeine Bauordnungsrecht, hier konkret § 79 I („Widersprechen bauliche Anlagen, (….) dem öffentlichen Baurecht oder ist dies zu besorgen, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. Sie kann namentlich 1. die Einstellung rechtswidriger und die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen, (…).“) i. V. m. 16 II NdsBauO („Die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs darf durch bauliche Anlagen oder deren Nutzung nicht gefährdet werden.“)

Eine Umdeutung nach § 47 VwVfG sei möglich, angesichts der notwendigen Gefahrenabwehr gelte dies u. a. auch für die Ermessensausübung ungeachtet der unterschiedlichen Schutzwirkung der Normen.

VG Potsdam, B. v. 14.05.2021 -3 L 327/21-, LKV 2021, 335

Teilweise erfolgreicher Eilantrag, die Vollziehung des Bescheids über die Veräußerung von 26 beschlagnahmte Hunde auszusetzen.

Die Veterinärbehörde erlässt aufgrund tierschutzwidriger Zustände einen Bescheid über die Fortnahme von 22 Hunden und kündigt deren Veräußerung an.

Das VG legt das Begehen dahingehend aus, dass begehrt werde, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO vorläufig zu untersagen, die in seinem Bescheid bezeichneten 22 Hunde zu veräußern (Die Differenz 26 Hunde zu 22 Hunde wird nicht erläutert).

Es bejaht einen Anordnungsgrund, weil nach Aktenlage die Behörde geäußert habe, die Tiere nur noch eine Woche mit der Veräußerung zu warten und diese weiter unterzubringen, weil beständig Kosten aufliefen.

Ein Anordnungsanspruch bestehe, weil die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Veräußerung nach § 16a I 2 Nr. 2 TierSchG derzeit (noch) nicht vorlägen. Die Norm setze, weil sie nur zum Erlass eines VA und nicht selbst zum Handeln im Wege unmittelbarer Ausführung ermächtige (Bezugnahme auf BVerwG, U. v. 12.01.2012 -7 C 5/11-), eine Veräußerungsanordnung voraus. Die Ankündigung im Bescheid sei kein solcher VA. Eine Veräußerung im Wege des Sofortvollzuges nach § 27 I 2 VwVGBBg scheide mangels gegenwärtiger Gefahr aus: Die Behörde habe selbst zunächst eine Rückgabe der Tiere in Aussicht gestellt und hätte die Veräußerungsanordnung samt Sofortvollzugsanordnung bereits erlassen können.

Das VG hat konsequenterweise die Untersagung im Tenor eingeschränkt: Die Anordnung endet, sobald der Antragsgegner dem Antragsteller eine die 22 Hunde betreffende Veräußerungsanordnung bekanntgegeben hat und diese vollziehbar ist.

§ 16a I TierSchG: „Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann insbesondere (…) 2. ein Tier, das nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich unterbringen, bis eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Haltung des Tieres durch den Halter sichergestellt ist; ist eine anderweitige Unterbringung des Tieres nicht möglich oder ist nach Fristsetzung durch die zuständige Behörde eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Haltung durch den Halter nicht sicherzustellen, kann die Behörde das Tier veräußern; die Behörde kann das Tier auf Kosten des Halters unter Vermeidung von Schmerzen töten lassen, wenn die Veräußerung des Tieres aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist oder das Tier nach dem Urteil des beamteten Tierarztes nur unter nicht behebbaren erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden weiterleben kann, (…).

OVG Münster, B. v. 26.4.2021 – 14 A 2062/17-, NVwZ-RR 2021, 684,

VG Köln, U. v. 28.06.2017 -24 K 7563/16-:

Anfechtungsklage der Betreiberin einer großen Onlineplattform für die Vermittlung von Ferienwohnung und Übernachtungen in Privatwohnungen gegen einen Bescheid der beklagten Stadt Köln, mit welcher diese Auskünfte verlangt:

Die Stadt Köln erhebt auf der Grundlage einer „Satzung zur Erhebung einer Kulturförderabgabe im Gebiet der Stadt Köln“ eine Kulturförderabgabe als Aufwandsteuer (sogenannte „Bettensteuer“). Abgabenschuldner ist der Beherbergungsgast. Abgabenentrichtungspflichtiger ist der Betreiber des Beherbergungsbetriebes. Er hat die Kulturförderabgabe für Rechnung des Beherbergungsgastes von diesem einzuziehen, an das Kassen- und Steueramt der Stadt Köln zu entrichten und vierteljährlich eine Abgabenerklärung einzureichen.

Nach § 12 I der Satzung (Mitwirkungspflichten) sind Hotel- und Zimmervermittlungsagenturen sowie Dienstleistungsunternehmen ähnlicher Art verpflichtet, dem genannten Amt die Beherbergungsbetriebe mitzuteilen, an die entgeltliche Beherbergungsleistungen vermittelt werden. Hat der Abgabenentrichtungspflichtige seine Verpflichtung zur Einreichung der Abgabenerklärung sowie zur Einreichung von Unterlagen nicht erfüllt oder ist er Abgabenentrichtungspflichtige nicht zu ermitteln, sind diese Agenturen über die Verpflichtung nach Abs. 1 hinaus auf Verlangen zudem zur Mitteilung über die Person des Abgabenpflichtigen und alle zur Abgabenerhebung erforderlichen Tatsachen verpflichtet.

Im konkreten Fall gab die Beklagte auf, von allen Beherbergungsbetrieben (Hotel, Gasthof, Pension, Privatzimmer, Jugendherberge, Ferienwohnung, Motel, Campingplatz, Schiff) im Stadtgebiet der Beklagten, welche die Klägerin vermittele, Name und Anschrift des Beherbergungsbetriebes, den jeweiligen Zeitpunkt, seit dem die Beherbergungen angeboten werden anzugeben und neu hinzukommende Beherbergungsbetriebe regelmäßig nachzumelden.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte den Bescheid hinsichtlich der Verpflichtung, regelmäßig neu hinzukommende Beherbergungsbetriebe zu melden und den jeweiligen Zeitpunkt mitzuteilen, seit dem die Beherbergungen angeboten werden, aufgehoben. Beide Seiten haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Das VG hat die Klage im Übrigen abgewiesen und die Kosten zu 2/3 der Klägerin und zu 1/3 der Beklagten auferlegt. Das OVG hat die Berufung nicht zugelassen.

Das VG hat bezweifelt, ob § 12 Abs. 1 der Satzung zu dem Auskunftsbegehren ermächtige. Hieran bestünden erhebliche Zweifel, weil der in § 93 Abs. 1 Satz 2 AO (damalige Fassung) festgelegte Grundsatz der Subsidiarität, wonach andere Personen als die Beteiligten nur dann zur Auskunft herangezogen werden sollen, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führe oder keinen Erfolg verspreche, nicht in die Satzung übernommen wurde. Fraglich sei, ob dieser Grundsatz der Subsidiarität in § 12 der Satzung hineingelesen werden könne bzw. lediglich eine den § 93 AO konkretisierende Vorschrift sei.

Das VG hat dies dahinstehen lassen: Falls § 12 I der Satzung unwirksam sei, würde dies nur zu einer Teilnichtigkeit der Satzung führen, weil die Satzung auch ohne die die Vorschrift sinnvoll bliebe und mit Sicherheit anzunehmen sei, dass sie auch ohne die Regelung des § 12 I erlassen worden wäre.

Rechtsgrundlage des Auskunftsbegehrens sei jedenfalls in § 92 S. 2 Nr. 1 i. V. m. § 93 I AO (damaliger Fassung), die über § 12 I Kommunalabgabengesetz NRW auf Kommunalabgaben entsprechend anzuwenden seien.

Ein Austausch der Rechtsgrundlage in der Begründung sei möglich, weil sich der VA dadurch nicht seinem Wesen nach ändere (Bezugnahme u. a. auf BVerwG, U. v. 31.03.2010 – 8 C 12/09 –Rdnr. 16).

Weitere erörterte Fragen: formelle RM: Fehlende Anhörung (hier nach AO) ist im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden.

Hinreichende Bestimmtheit: Eine nachträgliche „Präzisierung“ in der mündlichen Verhandlung sei möglich (Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 21.06.2006 – 4 B 32/06 –, Rdnr. 1).

Materielle RM (u. a.): Vorliegen der Voraussetzungen des § 93 I 1 AO damaliger Fassung („Andere Personen als die Beteiligten sollen erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht.“). Eine Ausnahme von der Soll-Regelung, die Auskünfte von den Beteiligten zu verlangen, liege u. a vor, wenn . -wie hier- die Beteiligten unbekannt seien. Das Auskunftsersuchen sei auch ist notwendig und erforderlich, weil eigene Recherchen wie manuelle Einzelabfragen zu aufwändig seien und nur unvollständige Ergebnisse brächten. Es sei auch zumutbar: Der Aufwand der Klägerin, um die von der Beklagten angeforderten Daten zu erheben, stehe nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Angelegenheit für die Allgemeinheit durch den zu erwartenden fiskalischen Ertrag (Zweck-Mittel-Verhältnis).

Der Eingriff durch das Offenbaren-Müssen von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sei gerechtfertigt.

OVG Weimar, B. v. 4.03.2021 -3 EO 763/20- LKV 2021, 334

Erfolgloser § 80 V-VwGO-Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage eines Bezirksschornsteinfegers gegen einen Bescheid, mit dem unter anderem die Bestellung als bevollmächtigter Bezirksschornsteinfeger aufgehoben wurde nach § 12 I Nr. 2 des Gesetzes über das Berufsrecht und die Versorgung im Schornsteinfegerhandwerk (Schornsteinfeger-Handwerksgesetz – SchfHwG; vgl.

§ 12 SchfHwG Aufhebung der Bestellung

(1) Unbeschadet der Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder über Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsakts ist die Bestellung aufzuheben

(…), 2. wenn Tatsachen nachweislich belegen, dass der bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger die erforderliche persönliche oder fachliche Zuverlässigkeit für die Ausübung des Amtes nicht besitzt,(…). (…)

(3) Widerspruch und Anfechtungsklage haben im Fall des Absatzes 1 Nummer 2 und 3 keine aufschiebende Wirkung. (…..)).

Behörde und Gerichte haben die Prognose der persönlichen Unzuverlässigkeit aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung wegen Vortäuschen einer Straftat sowie eines Betruges bejaht, weil er nicht mehr die Gewähr dafür biete, dass er Grundrechte der Eigentümer und Besitzer von Grundstücken und Räumen, denen er in Ausübung seines Berufes gegenübertritt, jederzeit verlässlich achte.

VG Berlin, B. v. 01.02.2021 – 4 L 25/21 NJOZ 2021, 924.

§ 123-VwGO-Antrag eines Vermittlungsunternehmens, das Blumensträuße und Blumen überörtlich vermittelt auf Feststellung, am Sonntag den14.02.2021, dem Valentinstag, in ihrer Telefonzentrale im Servicecenter in Berlin 50 Mitarbeiter beschäftigen zu dürfen.

Ein Antrag auf eine Ausnahmebewilligung nach § 13 III Nr. 2 lit. b Arbeitszeitgesetz (ArbZG); „Die Aufsichtsbehörde kann [….] abweichend von § 9 bewilligen, Arbeitnehmer zu beschäftigen [….] an bis zu fünf Sonn- und Feiertagen im Jahr, wenn besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens dies erfordern“) war im September 2020 gestellt und im Oktober 2020 abgelehnt worden: Die Antragstellerin könne wie sonst auch an Sonntagen verfahren, an denen Bestellungen bis Samstag 11.Uhr aufzugeben seien. Das Widerspruchsverfahren läuft.

Am 22.01. beantragt das Unternehmen, festzustellen, für diese Sonn- und Feiertagsarbeit keiner Ausnahmebewilligung zu bedürfen, weil sie bereits nach der Berliner Bedürfnisgewerbeverordnung (BedGewV BE) erlaubt sei. Für den Fall, dass dies zu verneinen sei, müsse die Behörde jedenfalls eine Ausnahmebewilligung nach dem Arbeitszeitgesetz erteilen, da besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens dies erforderten (Konkurrenz biete Zustellung am Valentinstag an, Valentinstag umfasse alleine 4% des Jahresumsatzes; Anträge wurde in der Vergangenheit stattgegeben).

§ 9 I ArbZG lautet: „Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden.“

Antragsauslegung: Das VG hat angenommen, dass primär begehrt werde, im Wege einer e. A. nach § 123 I 2 VwGO festzustellen, dass die Sonn- und Feiertagsarbeit für 50 Mitarbeiter im Servicecenter am 14. Februar 2021 in der Zeit von 7:00 – 16:00 Uhr zulässig sei und hilfsweise, den Antragsgegner nach § 123 I 2 VwGO zu verpflichten, ihr eine Ausnahmegenehmigung nach § 13 III Nr. 2 lit. ArbZG für (…) zu erteilen.

Der Hauptantrag ist nach Auffassung des VG zulässig, weil Verstöße bußgeldbewehrt seien und es unzumutbar sei, ein solches Verfahren abzuwarten Er sei aber unbegründet. Es fehle an einem Anordnungsanspruch.

§ 1 I Nr. 7 BedGewV BE

(„Soweit die Arbeiten nicht an Werktagen durchgeführt werden können, dürfen abweichend von § 9 Arbeitszeitgesetz Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen in den folgenden Bereichen beschäftigt werden: 7. [….]im Dienstleistungsbereich mit der Betreuung von Kunden mittels Telefon oder Datenübertragung, […])

sei bereits nicht von der verfassungskonform auszulegenden Ermächtigungsgrundlage des § 13 I Nr. 2 lit. a und II 1 ArbZG gedeckt.

Das VG nimmt Bezug auf BVerwGE 150, 327 zur hessischen Parallelnorm. Das BVerwG vermisse die erforderliche Beschränkung der Dienstleistungen auf Notfälle.

Eine Analogie zu § 1 I Nr. 1 lit. a BedGewV BE (Abweichung für Blumengeschäfte, Gärtnereien) scheide aus, weil diese Gestattung bereits aus dem Berliner Ladenöffnungsgesetz folge.

Der Hilfsantrag habe Erfolg, weil glaubhaft gemacht sei, dass aufgrund besondere Verhältnisse –Valentinstag fällt auf einen Sonntag- zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens der Erlaubnistatbestand des § 13 III Nr. 2 lit. b ArbZG erfüllt sei und darüber hinaus das Ermessen auf eine Erteilung reduziert sei.

OVG Münster, B. v. 07.01.2021-8 B 548/20

Erfolgreicher § 80 V-VwGO Antrag eines Betreibers einer Bäckerei mit Café in einem Gewerbegebiet gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Bauschuttrecyclinganlage (Anlage nach Nr.8.15.2 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV).

Zulässigkeit: Der Antragsteller ist als Erbbauberechtigter mit eigentumsähnlichen dinglichen Rechten an einem Grundstück antragsbefugt.

Begründetheit-Inzidentüberprüfung: Die Anlage sei gewerbegebietsunverträglich und gehöre in ein Industriegebiet gehöre (vgl. § 8 und 9 BauNVO), obwohl das Vorhaben nach § 19 BImSchG dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zugeordnet sei. Ein Nachbar im Baugebiet könne sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden, wenn er selbst durch sie nicht unzumutbar beeinträchtigt werde Gebietsgewährleistungs- oder Gebietserhaltungsanspruch).

* In der Sache sei die Genehmigung in sich widersprüchlich, weil einerseits das Lärmgutachten davon ausgehe, dass die Sieb- und Brechanlage bei geschlossener Halle betrieben werde, andererseits eine entsprechende Nebenbestimmung fehle und erlaubt werde, dass ein Tor für Transporte offenstehe.

* Gebiet als Gewerbegebiet sei nicht funktionslos, weil es schon jetzt industriegebietstypische Anlagen gebe (klausurtypische Sachverhaltsauswertung)..

Bauschuttrecyclinganlagen weisen im Hinblick auf den verursachten Lärm, Staub und Erschütterungen regelmäßig ein hohes Störpotential auf, das gegen ihre bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in Gewerbegebieten spricht.

* Keine Zulassung im Gewerbegebiet, weil der Bebauungsplan eine Gliederung nach der Art der Betriebe und Anlagen (§ 1 IV S. 1 Nr. 2 BauNVO) vornehme, weil dann die Anlage sowohl der allgemeinen, hier nach § 8 BauNVO zu beurteilenden Zweckbestimmung eines Baugebiets als auch den speziellen Festsetzungen eines solchen gegliederten Baugebiets genügen müsse. Andernfalls würde die Pflicht des § 1 III 1 BauNVO verletzt, im Bebauungsplan ein in § 1 Abs. 2 BauNVO bezeichnetes Baugebiet festzusetzen (Bezugnahme u. a. auf BVerwG, Urt. v. 23. April 2009 – 4 CN 5.07 -). Ließe man in dem festgesetzten Gewerbegebiet gleichwohl industriegebietstypische Vorhaben zu, schüfe dies der Sache nach einen gesetzlich nicht vorgesehen neuen Gebietstyp.

Die speziellen Vorgaben der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans (konkret Nr. 788 der Stadt Krefeld) zu den möglichen Ausnahmen seien nicht erfüllt (Sachverhaltsauswertung).

Neuere Rechtsprechung 2020:

OVG Hamburg, B. v. 2. Dezember 2020 -2 Bs 207/20- NordÖR 2021, 176

Schöne Darlegungen zum Vorliegen eines Sofortvollzugsinteresses:

Die Behörde erlässt (vereinfacht) eine für sofort für sofort vollziehbar erklärte Anordnung zur Verringerung der Höhe ihres Zauns (statt 1,8 m nur 1,5 m) auf einer Länge von 10 M. Die Höhe verstoße gegen die BauO, eine Abweichung komme nicht in Betracht. Der Sofortvollzug rechtfertige sich aus dem Gesichtspunkt der Durchsetzung der Autorität der bauaufsichtlichen Vorschriften und der negativen Vorbildwirkung. Der § 80 V-VwGO-Antrag hat vor dem OVG Erfolg, anders noch das VG. Die Durchsetzung der Autorität der bauaufsichtlichen Vorschriften ist nach dem OVG –richtig- non vornherein nicht zur Begründung des Sofortvollzuges geeignet, weil insoweit besondere Gründe über die, welche den Verwaltungsakt selbst decken, vorliegen müssen. Die Beseitigungsanordnung nach der BauO diene bereits der Herstellung rechtmäßiger Zustände.

Die Gefahr eines Nachahmens (also Generalprävention) könne hingegen den Sofortvollzug rechtfertigen, wenn die Gefahr hinreichend konkret ist und die zu befürchtenden Verstöße ausreichend gewichtig sind, abhängig von Art und Ausmaß der zu erwartenden Verstöße. Diese sind –so das OVG m. E. überzeugend- von einem ausreichenden Gewicht, wenn ihre Hinnahme über den Zeitraum vom Erlass einer Beseitigungsanordnung bis zum Eintritt ihrer Bestandskraft mit dem Sinn und Zweck der verletzten Vorschrift nicht mehr zu vereinbaren ist.

Im konkreten Fall hat das OVG allerdings die Gefahr einer Nachahmung, weil in der Umgebung alle Anwesen bereits Zäune hätten und nicht zu erwarten sei, dass die Anwohner diese durch höhere ersetzten. Auch sei der Verstoß nicht besonders gravierend, weil Einfriedungen bis 2 m verfahrensfrei seien.

OVG Hamburg, B. v. 1. Dezember 2020 -4 Bs 84/20NordÖR 2021, 135

VG Hamburg, B. v. 28.04.2020 -15 E 3147/19.

§ 80 V-VwGO-Antrag im Zusammenhang einer Fahrtenbuchauflage gegen eine große Autovermietung. Examensklausurgeeigneter Fall aufgrund der angeschnittenen allgemeinen polizeirechtlichen Fragen und sowie der zum Sofortvollzugsinteresse.

Die Autovermietung ist Halterin (und damit Adressatin der Verpflichtung nach § 31a I 1 StVZO), obgleich über sie nur die Reservierung der Mietwagen läuft, das eigentliche Vermietungsgeschäft aber durch Handelsvertreter (Mietstationen) erfolgt. Sie behalte nämlich –so das OVG- eine mittelbare tatsächliche Verfügungsgewalt.

Keine Ungeeignetheit, weil die Mieter der Fahrzeuge ständig wechselten und auf diese nicht erzieherisch eingewirkt werden könne. Die Fahrtenbuchauflage dienten nämlich in erster Linie der Gefahrenprävention, nach künftigen Verkehrsverstößen die Fahrer rasch festzustellen.

Die Auferlegung einer Fahrtenbuchauflage zwinge nicht zu einem Verstoß gegen die DSGVO, weil die Datenerhebung im öffentlichen Interesse sei und damit rechtmäßig nach Art. 6 I lit. e DSGVO.

Erfolg hatte der Antrag (bereits vor dem VG), soweit auch aufgegeben wurde, das Fahrtenbuch an drei genau bezeichneten Wochen in Hamburg bei der Behörde vorzulegen. Dies sei unverhältnismäßig, weil das Spontanvermietungsgeschäft zu sehr beeinträchtigt würde und ein Vorlage auch bei ortsnahen Ordnungsämtern einfacher wäre.

OVG Münster, B. v. 20.11.2020 -11 B 1459/20- NJW 2020, 3797

§ 80 V-VwGO Antrag eines Mietfahrradverleihers auf Wiederherstellung/Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Ordnungsverfügung 1. die komplette Leihfahrradflotte aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen und 2. die weitere, widerrechtliche Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums zu unterlassen“ sowie jeweils Zwangsgeldandrohungen.

Diese Anträge haben (anders als vor dem VG) keinen Erfolg:

Der zu Grunde liegende Bescheid sei wohl rechtmäßig:

Rechtsgrundlage für den VA zu 1.) und den zu 2) ist jeweils § 22 S. 1 NRWStrG („

Wird eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt oder kommt der Erlaubnisnehmer seinen Verpflichtungen nicht nach, so kann die für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung oder zur Erfüllung der Auflagen anordnen.“)

Das Abstellen (zum Vermieten) ist nach Auffassung des OVG eine Sondernutzung. Es gelten die gleichen Abgrenzungskriterien zum Gemeingebrauch wie für das Parken/Aufstellen von KfZ. Da die Leihfahrräder primär zum Abschließen von Mietverträgen auf den Gehwegen stehen, überwiege nicht das bloße Abstellen zum Zwecke späterer Wiederinbetriebnahme, sondern die gewerbliche Geschäftsanbahnung, wie als ob dort noch ein realer Mitarbeiter die Geschäfte betreiben würde. Keine Ermessensfehler: Der Fomalverstoß, keine Sondernutzungserlaubnis eingeholt zu haben, reiche. § 18 II 2 NRWStrG („Die Sondernutzung bedarf der Erlaubnis der Straßenbaubehörde.“) enthalte ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.

Die Anordnung Nr.2 sei bestimmt genug.

Es überwiege das öffentliche Interesse auch für die Zeit bis zur Bestandskraft, damit die Verfügungen nicht entwertet werden und aus spezialpräventiven Gründen.

Zeitlich nachfolgende Entscheidungen finden sich hier (im internen Bereich).