Grundrechte neue Entwicklungen

Art. 19 III GG,

Informationelle Selbstbestimmung, Allgemeine Handlungsfreiheit,

Art. 3 GG Willkürformel und Neue Formel, Art. 3 III GG

Art. 4 GG, Art. 5 GG, Art. 8 GG, Art. 14 GG

Grundrechte: neuere Entwicklungen

Art. 19 III GG ist erweiternd aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 II AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV) auf juristische Personen aus Mitgliedsstaaten der EU anzuwenden (BVerfG, B. v. 19.07.2011 -1 BvR 1916/09; Besprechung JA 2012, 156

Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG allgemeines Persönlichkeitsrecht:

Informationelle Selbstbestimmung

Eingriff -konkret in Form einer Videoüberwachung eines öffentlichen Raumes mit entsprechendem Schild- kann nicht nur die allgemeine Ermächtigungen in Datenschutzgesetzen (Behörde kann zur Erfüllung ihrer Aufgaben …) herangezogen werden (BVerfG, B. v. 23.2.07 -1 BvR 2368/06- NVwZ 2007, 688), sondern bedarf einer Spezifischen.

Ein Eingriff liegt bei automatisierter Erfassung bereits dann immer vor, wenn die Daten zunächst gespeichert werden, auch wenn diese dann automatisch gleich wieder gelöscht werden, wenn der Abgleich keinen Treffer ergibt (ausdrückliche Änderung der RS)

BVerfG., B. v. 18.12.2008 -1 BvR 142/15 – NJW 2019, 827, Bespr. JuS 2019, 504

Art. 2 I GG allgemeine Handlungsfreiheit

BVerwG, Urt. v. 13.9.2017 – 10 C 7/16 – NVwZ 2018, 73

Art. 2 I GG schützt das Recht des Einzelnen auf freien Zugang zum Strand zum Spazierengehen, Baden und Wattwandern als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit. § 59 I BNatSchG beschränkt das Zugangsrecht verfassungskonform auf das Betreten über den Strand führender, auch privater Straßen und Wege und das Betreten tatsächlich ungenutzter Teilflächen des Strandes.

Das Berufungsurteil geht jedoch zu Unrecht davon aus, der geltend gemachte Einwirkungsanspruch sei unbegründet, weil den Kl. kein Recht auf unentgeltlichen Zugang zum Strand oder zu Teilen davon zustehe. Diese Annahme beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des Art. 2 I GG iVm § 59 I BNatSchG. Die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Auffassung, ein Recht der Kl. auf freien Strandzugang bedürfe einer einfach-rechtlichen Anspruchsgrundlage, ist revisionsrechtlich fehlerhaft. Sie beruht auf der unrichtigen Annahme, die Kl. verlangten eine Leistung und keine Störungsbeseitigung.

Neuland Klimaschutz BVerfG, B. v. 24.03.2021 -1 BvR 2656/18 u. a.- NJW 2021, 1723, Bespr. JuS 2021, 708: Die Zulassung von CO2-Emissionen heute bis 2030 durch die Regelungen des Klimaschutzgesetz sind künftig drohende Eingriffe („eingriffsähnliche Vorwirkung“) in die Freiheitsrecht und bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. „Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgt, durch die Regelungen des, dass nicht einer Generation zugestanden werden darf, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine – von den Beschwerdeführenden als „Vollbremsung“ bezeichnete – radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben schwerwiegenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Zwar können selbst gravierende Freiheitseinbußen künftig zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und gerechtfertigt sein; gerade aus dieser künftigen Rechtfertigbarkeit droht ja die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen (…)“ (Rdnr. 192).

Art. 3 I GG :

BVerfG B. v. 11.7.2006 -1BvR 293/05- NVwZ 436, Rezension Sachs JuS 2007, 572

Willkürformel: unterschiedliche Behandlung willkürlich

Neue Formel: personenbezogene Differenzierungen und solchen, die Auswirkung auf sonstige Grundrechte haben: müssen angemessen sein: keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können

Beispiel für zu differenzierende Gruppen: Speisegaststättenwirt gegenüber Schankgaststättenwirt BVerfG B. v. 24.01.2012 -1 BvL 21/11- NVwZ 2012, 257 mit Besprechung JuS 2013, 184

Art. 3 III 1 GG

Racial Profiling, also Polizeikontrolle nach Hautfarbe ist eine grundsätzlich verbotene Differenzierung.

OVG Münster, Urt. v. 07.08.2018 – 5 A 294/16 NVwZ 2018, 1497 mit Besprechung JuS 2020, 95) : Eine Rechtfertigung geht ausnahmesweise nur bei kollidierendem Verfassungsrecht (Gefahr für Leib, Leben, Eigentum), aber nur bei belastbaren Anhaltspunkten durch konkrete Erkenntnisse (konkret: Behauptung reinschlägiger Delikte männlicher Nordafrikaner am Bahnhof als Anhaltspunkte für Personenidentitäsfeststellung nach § 23 I Nr. 1 BpolG durch Bundespolizei nicht ausreichend .

Art. 3 III 2 GG

Legaldefinition für Behinderung in § 2 SGB IX, wonach Menschen behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Zum Unterschied Leistungsfähigkeit an sich zur Beeinträchtigung der Leistungsnachweisfähigkeit bei Prüfungen: OVG Weimar, Beschluss vom 17. 5. 2010 – 1 EO 854/10 LKV 2010, 427

Objektiv-rechtliche Funktion des Gleichbehandlungsgebotes:

Willkürverstoß bei Nichtbeachtung einer Richtlinie: BVerwG, U. v. 23.04.2003 -BVerwG 3 C 25.02- Weicht eine Behörde zugunsten eines einzelnen Subventionsbewerbers von einer ansonsten geübten Vergabepraxis ab, ohne aus sachgerechten Gründen ihre Praxis insgesamt zu ändern, so ist ihre Entscheidung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots rechtswidrig.

Art. 4 GG

Grundlegend für Teilnahmepflicht am (Schwimm-) Unterricht

VGH Kassel, Urt. v. 28. 9. 2012 – 7 A 1590/12 NVwZ 2013, 159

1. Das durch Art. 4 I und II GG gewährleistete Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt weder in der Gesellschaft noch in der zum staatlichen Bereich zählenden Schule, die auf ein Leben in der Gesellschaft in Deutschland vorbereitet, einen umfassenden Konfrontationsschutz.

2. Ein Glaubensgebot, wonach Mädchen im Alter von elf Jahren im Schwimmunterricht, der ihnen gemeinsam mit Jungen gleichen Alters erteilt wird, ihren Körper weitgehend verhüllen müssen, begründet keinen Anspruch eines muslimischen Mädchens auf Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht, wenn das Mädchen am Schwimmunterricht in einer muslimischen Bekleidungsvorschriften gerecht werdenden Schwimmbekleidung (Burkini/Haschema) teilnehmen kann und ihr – abhängig von den Umständen des Einzelfalles – das Tragen einer solchen Schwimmbekleidung zumutbar ist.

3. Ein Glaubensgebot, wonach sich Mädchen im Alter von elf Jahren nicht dem Anblick Anderer in Badebekleidung, die nicht den muslimischen Bekleidungsvorschriften entspricht, aussetzen dürfen und körperliche Berührungen mit Jungen zu vermeiden haben, begründet keinen Anspruch eines muslimischen Mädchens auf Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht, da der in der Pflicht zur Teilnahme an diesem Unterricht liegende Eingriff in die Glaubensfreiheit durch den Integrationsauftrag des Grundgesetzes gerechtfertigt ist.

4. Der Integrationsauftrag des Grundgesetzes gebietet es, Schülerinnen und Schüler auf ein Dasein in der säkularen und pluralistischen Gesellschaft in Deutschland vorzubereiten, in der sie einer Vielzahl von Wertvorstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen begegnen werden, die sie für sich selbst ablehnen.

Art. 5 GG

Art. 5 III 1 GG als objektiver Grundsatznorm kann verfassungsimmanente Schranke für die Wissenschaftsfreiheit als sein

(so BVerwG, U. v. 31.07.2013 -6 C 9/12 NVwZ 2013, 1614 mit Besprechung JuS 2014, 567 für die Entziehung eines Doktorgrads im Rahmen der Prüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Unwürdigkeit“.

Art. 8 GG:

BVerfG B. v. 22.12.2006 1 BvQ 41/06 NVwZ 2007, 574: Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist ein Minderheitenschutzrecht, deshalb kann ein Verbot nicht auf die Erwägung gestützt werden, die Anzahl der erwarteten Teilnehmer einer Demonstration stehe in keinem Verhältnis zu den Einwohnern der Gemeinde, die in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Grundsatz vertrauensvoller Kooperation ist keine Rechtspflicht zur Kooperation.

Art. 14 GG:

Auf die Eigentumsgarantie kann sich nicht berufen, wer das Eigentum nur erworben hat, um die Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die nach dem Rechtsschutzsystem der VwGO einem Eigentümer vorbehalten ist. (keine Klagebefugnis, weil Rechtsmissbrauch, wenn Grundstück nur als Sperrgrundstück erworben wurde, BVerwG, Urteil vom 25.1.2012 -9 A 6.10- NVwZ 2012 S. 567.

Art. 33 II GG:

Anspruch auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung (Art. 33 II GG), allgemein Bewerbungsverfahrensanspruch. Glaubhaftmachung im Eilrechtsschutz darf aus Art. 19 IV GG iVm 33 II GG nicht überspannt werden. Eine Auswahl des Antragsstellers muss (bloß) möglich sein, vgl. z.B. BVerfG B. v. 1.8.06 -2 BvR 2364/03- NVwZ 2006, 1401- mit Rez. Hufen JuS 2007, 578)