Unzulässige Baunachbarklage gegen Gemeinde, VGH München, B. v. 06.12.2021

 

VGH München, B. v. 06.12.2021 -9 ZB 18.782NVwZ-RR 2022, 209

VG Würzburg, U. v. 22.02.2018 – W 5 K 16.794

Unzulässige Baunachbarklage gegen die Gemeinde

Die Kläger (K) wenden sich als gegen ein Bauvorhaben des Beigeladenen. Ihre Klage richtet sich aber nicht gegen den Freistaat als Rechtsträger der zuständigen Baubehörde (Landratsamt), sondern gegen die Gemeinde. Es gibt keine Baugenehmigung für das Bauvorhaben des Beigeladenen, dieser hat nur eine Bauvorlage im Genehmigungsfreistellungsverfahren für die Errichtung einer Halle eingereicht. Mit Schreiben vom 4. Juli teilt die Beklagte (B) dem Beigeladenen unter Bezugnahme auf Art. 58 BayBO mit, dass für sein Bauvorhaben kein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden solle. Sie mache von ihrem Prüfungsrecht keinen Gebrauch und beantrage keine Untersagung nach § 15 I 2 BauGB. Sie übersendet das Schreiben auch an die K. Das Begleitschreiben bezeichnete es als Bescheid und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Landratsamt Würzburg teilt den K mit Schreiben vom 29.Juli mit, dass das Genehmigungsfreistellungsverfahren zurzeit aus baurechtlicher Sicht nicht ausführbar sei und somit für das Baugrundstück aktuell kein Baurecht bestehe. Am 2. August erheben die Kläger Klage und beantragen, 1.) den Bescheid der B aufzuheben und 2.) die B zu verurteilen, dem Beigeladenen die Baugenehmigung für einen Neubau einer Halle (…) zu versagen. Die Klage sei aufgrund der RMB erforderlich.

VG und VGH halten beide Klageanträge für unzulässig.

Der erste Antrag sei als Anfechtungsklage nicht statthaft, es fehle an einem Verwaltungsakt. Die Erklärung der Gemeinde nach (dem jetzigen) Art. 58 II Nr. 5 BayBO sei kein VA, sondern eine schlichte Verfahrenshandlung (Realakt). Erkläre die Gemeinde, ein Baugenehmigungsverfahren nicht zu verlangen, liege darin nur eines der Tatbestandsmerkmale für eine Genehmigungsfreistellung. Der Bauherr könne nur zu einem (noch) früheren Zeitpunkt mit seinem Bauvorhaben beginnen (vgl. Art. 58 III 5 und 5 BayBO). Es werde nichts bindend festgestellt. Aus der Bezeichnung des Schreibens als Bescheid und der Rechtsbehelfsbelehrung folge nichts Anderes. Daraus könne aus Empfängersicht allenfalls abgeleitet werden, dass der Rechtsweg eröffnet sei. Eine Anfechtung der Freistellungserklärung sei aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich, weil die K auch ohne die Möglichkeit, die Mitteilung der Gemeinde vom 4. Juli 2016 anfechten zu können, gegenüber dem Vorhaben des Beigeladenen nicht rechtlos gestellt seien. Sie könnten bei der Bauaufsichtsbehörde einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten stellen und dann später dann soweit nötig Rechtsweg beschreiten.

Eine Erklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG , die nach der Rechtsprechung des BVerwG einen Verwaltungsakt darstelle, betreffe den anders gelagerten Fall, dass die zuständige Behörde feststelle, dass die geplante Änderung einer Anlage keiner förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Auch sei diese Norm gar nicht nachbarschützend.

Eine Umdeutung in ein Verpflichtungsbegehren auf bauaufsichtliches Einschreiten scheide aus, weil ein solches gegen den Träger der Bauaufsichtsbehörde zu richten wäre.

Dem 2. Klageantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die K keine Verbesserung ihrer Rechtslage erreichen könnten. Zulässigkeit unterstellt, würde sich die Klage auch gegen den falschen Beklagten richten.

Die K müssten die Kosten voll tragen. Von § 155 Abs. 4 VwGO sei nach Ausübung gerichtlichen Ermessens kein Gebrauch zu machen, obwohl eine vorprozessual erteilte falsche Rechtsbehelfsbelehrung ein Beteiligtenverschulden im Sinne dieser Vorschrift sein könne. Die K hätten allerdings das KIageverfahren auch nach entsprechenden gerichtlichen Hinweisen fortgesetzt.

Fahrerlaubnisrecht: Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund Eignungszweifel nach einer Straftat im Straßenverkehr – VGH München, B. v. 28.10.2021

VGH München, B. v. 28.10.2021 – 11 CS 21.2148NJW 2022, 413

VG Augsburg, B. v. 23.07.2021 – Au 7 S 21.1407

Fahrerlaubnisrecht: Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund Eignungszweifel nach einer Straftat im Straßenverkehr.

Erfolgloser § 80 V- VwGO Antrag gegen eine für sofortvollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Einziehung des Führerscheins. Vorangegangen war eine Aufforderung zur Abgabe eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit der Besonderheit, dass die Fahruntauglichkeit nicht aufgrund einer Krankheit oder Drogen fraglich war, sondern geklärt werden sollte ob der Antragsteller ungeachtet einer erheblichen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr nicht auch künftig wiederholt gegen straf- und verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Anlass war ein Strafbefehl gegen den Antragsteller wegen versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung (massives Drängeln mit Lichthupe und Hupen, bei der nachfolgenden Verkehrskontrolle dann Duzen der Polizeibeamten). Nach § 11 III 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 I und II FeV (Feststellung der Eignung) bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, angeordnet werden.

VG und VGH folgen der Rechtsprechung, wonach bei Ausbleiben des geforderten Gutachtens nach § 11 VIII 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden darf, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Sie sehen keine formellen Defizite der Aufforderung, obwohl dort von „Nötigung“ anstelle „versuchter Nötigung“ die Rede ist. Da der Schluss in § 11 VIII 1 FeV trotz der Formulierung kein Ermessen einräume, sondern den Eignungsmangel bei grundloser Verweigerung einer Begutachtung begründe, habe die Behörde auch richtig mitgeteilt, dass sie von einem Fehlen ausgehen „werde“. Die Gutachtensfrage sei richtig angesichts § 2 IV 1 StVG („Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“). Die Anlassstraftat sei gravierend. Die Behörde habe auf den Nötigungsversuch abgestellt, nicht auf die nachfolgende Beleidigung. Auch das Ermessen sei richtig ausgeübt, obwohl die Behörde nicht ausdrücklich etwas dazu ausgeführt hat, warum sie bereits nach einem Verkehrsverstoß und damit außerhalb des Punktesystems von der Ermächtigung des § 11 III 1 Nr. 5 FeV Gebrauch gemacht habe.

Das VG hat zudem zusätzlich eine Interessenabwägung unabhängig von der Inzidentüberprüfung vorgenommen und § 80 III VwGO geprüft.

Auslegung einer Bescheidformulierung als bestimmend und nicht als bloßer Rechtshinweis: VG Berlin, B. v. 21.10.2021

 

VG Berlin, B. v. 21.10.2021 – VG 14 L 453/21

§ 80 V-VwGO Antrag gegen eine Untersagungsverfügung des Ordnungsamtes, Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Auslegung einer Bescheidformulierung als bestimmend und nicht als bloßer Rechtshinweis; Anhörungsmangel, Bestimmtheitsgebot; Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung.

Der Antragsteller stellt in einem von der Straße aus allgemein zugänglichen Windfang Warentische zur Lebensmittelumverteilung bereit. Dorthin liefert primär ein lokaler Biomarkt aussortierte Lebensmitteln an. Deren Verteilung wird über WhatsApp- und telegram-Gruppen organisiert. Auch stellen dort weitere Personen Lebensmittel unkontrolliert und zur freien Mitnahme für jedermann hin. Das Bezirksamt untersagt nach Feststellung ungekühlter, verdorbener und unsauber aufbewahrter bzw. unverpackter Lebensmittel auf den Warentischen die weitere Lebensmittelumverteilung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Weiter formuliert es, dass die Wiederaufnahme des Inverkehrbringens nach Schaffung der hygienischen Voraussetzungen und nach vorheriger Zustimmung des Ordnungsamtes erfolge. Die hygienischen Voraussetzungen würden nicht eingehalten. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag und macht geltend, er sei kein „Lebensmittelunternehmer“ im Sinne der einschlägigen EU-VO und daher für die Lebensmittelumverteilung nicht verantwortlich.

Das VG hält den Antrag für zulässig. Doppelte Rechtshängigkeit bzw. entgegenstehende Rechtskraft bestehe nicht, weil der rechtskräftige vorangegangene Beschluss den dortigen als unzulässig abgewiesen hatte.

Es handele sich jetzt um einen § 80 V- VwGO Antrag, auch soweit es dieser Wiederaufnahme-Regelung betreffe. Darin sei ein Verwaltungsakt zu sehen (Auslegung: im Tenorteil enthalten, Formulierung von „Maßnahmen“, Schaffung eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt, welche so die EU-VO Nr. 852/2004 nicht vorsehe).

Die Verfügung ist nach Auffassung des VG formell rechtwidrig mangels vorangegangener Anhörung. Nur ausnahmsweise erscheine es angesichts der zeitlich nahen Heilungsmöglichkeit nach § 45 I Nr. 3 VwVfG noch vertretbar, nicht alleine deshalb die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

Die Untersagungsverfügung selbst sei o. K. Ermächtigungsgrundlage sei Art. 138 I b VO (EU) 2017/625. Auch der Antragsteller als altruistische Privatperson ein Unternehmer im Sinne dieser Norm, weil er eine mit dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausübe. Er verstoße fortwährend gegen Art. 6 I und II VO (EG) 852/2004 (Registrierungspflicht). Abzustellen sei insoweit auf den Zeitpunkt bis heute, weil es sich um einen Dauerverwaltungsakt handele. Auch verstoße er gegen Art. 4 II der Verordnung (Hygienevorschriften als solche), wie im Einzelnen dargestellt wird.

Auf der Rechtsfolgenseite liege ein intendiertes Ermessen hinsichtlich des Obs einer Maßnahme (Entschließungsermessen) vor. Das gewählte Mittel eines Verbots des Inverkehrbringens von Waren sei verhältnismäßig.

Es bestehe auch ein besonderes öffentliches Vollziehungsinteresse. Hinsichtlich der angenommenen weiteren Verfügung fehle es an hinreichender Bestimmtheit, § 37 I VwVfG. Zum einen sei unklar, ob neben den hygienischen Voraussetzungen wirklich konstitutiv eine Zustimmung des Amtes erforderlich sei solle. Aber auch der Begriff der „hygienischen Voraussetzungen“ sei nicht hinreichend bestimmt. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel nach § 39 I VwVfG vor. Es werde nicht klar, weshalb die Behörde von einem im Recht nicht vorgesehenen Zustimmungserfordernisses ausgehe. Da dies gleichzeitig einen Ermessensausfall bedeute, könne dieser Mangel auch nicht geheilt werden.

Erfolgreicher Antrag nach § 80 VII 2 VwGO: VG Berlin, B. v. 6.10.2021

Erfolgreicher Antrag nach § 80 VII 2 VwGO:

VG Berlin, B. v. 6.10.2021 – VG 11 L 291/21- ZUR 2022, 112

Das Bezirksamt hatte mit einer „Anhörung/Anordnung gemäß § 45 Straßenverkehrs-Ordnung“ in einer Straße in Berlin Friedrichshain die Kennzeichnung einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2) an. Ferner sollte die Fußgängerzone mit „Radverkehr frei“ ausgeschildert werden. Es wurden Zeichen 283-10 und 283-20 (Absolutes Haltverbot) angeordnet und sodann aufgestellt, zusätzlich das Zeichen 250 (Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge aller Art). Die Antragsgegner –Eigentümer bzw. Anwohner eines Hauses an der Straße legten Widerspruch gegen die Sperrung für den öffentlichen Durchgangsverkehr durch Personen- und Lastkraftwagen ein, über den noch nicht entschieden ist. Das VG ordnete rechtskräftig mit Beschluss vom 28. Juni 2021 (VG 11 L 164/21) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an und verpflichtete den Antragsteller zu Entfernung der Verkehrszeichen 250, 242.1, 283.10 und 283.20, der errichteten Poller sowie der Absperrungen (bestätigt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 9. September 2021 (OVG 1 S 97/21).

Nunmehr hat das Bezirksamt –nach vorangegangener bloßer Ankündigung- die straßenrechtliche Teileinziehung aufgrund § 4 I BerlStrG des betroffenen Straßenabschnitts und deren Vollziehbarkeit verfügt und diese Allgemeinverfügung im Amtsblatt von Berlin veröffentlicht.

Nach Auffassung des VG führt diese Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 80 VII VwGO dazu, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nunmehr überwiegt. Es bestünden nunmehr keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes.

Rechtsgrundlage sei § 45 I b 1 Nr. 3, 1. Alt., 2 StVO. Hiernach treffen die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen zur Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und ordnen die Kennzeichnung von Fußgängerbereichen im Einvernehmen mit der Gemeinde an.

Die Voraussetzungen für die Kennzeichnung eines Fußgängerbereichs lägen nunmehr vor.

Das gemeindliche Einvernehmen in diesem Sinne sei entbehrlich. Die Grundsätze zu § 36 BauGB zur Identität von Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde selbst bei unterschiedlich Organen seien übertragbar. Auf die Rechtmäßigkeit der Teileinziehung komme es angesichts deren sofortiger Vollziehbarkeit nicht an. Überdies sei eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG nicht ersichtlich, das nur über § 10 III BerlStrG (Anliegergebrauch) geschützt sei. Aus § 4 I 3 BerlStrG („Von der Möglichkeit der Teileinziehung soll insbesondere dann Gebrauch gemacht werden, wenn zur Realisierung von Maßnahmen der Verkehrslenkung und Verkehrsberuhigung bestimmte Verkehrsarten auf Dauer von dem durch die Widmung der Verkehrsfläche festgelegten verkehrsüblichen Gemeingebrauch ausgeschlossen werden sollen.“) folge kein subjektives Recht.

Zwangsvollstreckung: Durchsetzung einer bauordnungsrechtlichen Verfügung -OVG Münster, B. v. 27.09.2021

 

OVG Münster, B. v. 27.09.2021 – 2 B 1299/21-, NVwZ-RR 2022, 125:

Zwangsvollstreckung: Durchsetzung einer bauordnungsrechtlichen Verfügung; Auslegung einer Erledigungserklärung als rein prozessual:

Gegen die Antragsteller war am 31. 07.2018 eine Ordnungsverfügung ergangen, mit welcher die Nutzung einer Wohnung untersagt wurde, weil eine Baugenehmigung fehle. Gleichzeitig wurde ein Zwangsgeld angedroht. In der Sache war das Gebäude abweichend von der ursprünglichen Baugenehmigung errichtet worden. Später dann wurde auf dem Nachbargrundstück eine Abstandsflächenbaulast eingetragen und am 13.06.2019 eine Baugenehmigung mit Nebenbestimmungen erteilt. Im Klageverfahren gegen den Bescheid erklärten die Antragsteller daraufhin im August 2019 den Rechtsstreit für erledigt, die Baubehörde schloss sich dem im Oktober 2020 an. In ihrem § 80 V-VwGO-Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den nunmehr ergangenen Zwangsgeldfestsetzungsbescheid vom 18.02.2021 wenden die Antragsteller ein, die Nutzungsuntersagung hätte sich durch die Baulasteintragung und die Baugenehmigung erledigt, jedenfalls durch die übereinstimmende Erledigungserklärung. Auch hätte das Zwangsgeld nochmals angedroht werden müssen und das Zwangsgeld nicht einfach nach zweieinhalb Jahren verhängt werden dürfen. Der Antrag ist erfolglos geblieben.

Nach Auffassung des OVG war die Wohnnutzung auch nach der Baulasteintragung und der (zweiten) Baugenehmigung bereits weiterhin formell illegal, weil nach § 84 VIII NRWBauO die Aufnahme der Nutzung nicht bereits mit der Baugenehmigung erlaube, sondern erst mit der ordnungsgemäßen Fertigstellung (vgl. § 84 VIII 1 NRWBauO: „Anlagen im Sinne des Absatzes 1 dürfen erst benutzt werden, wenn sie ordnungsgemäß fertig gestellt und sicher benutzbar sind, frühestens jedoch eine Woche nach dem in der Anzeige nach Absatz 2 genannten Zeitpunkt der Fertigstellung.“). Eine der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung wiederholte dies sogar ausdrücklich. Eine weitere Nebenbestimmung mit Anforderungen an ein Treppenhaus sei zudem noch nicht erfüllt.

Der Anschluss an die klägerische Erledigungserklärung sei nach dem Erklärungsinhalt eine rein prozessuale Erklärung gewesen. Das OVG folgt der gängigen Rechtsprechung: Diese sei auch geboten gewesen, da die Behörde kein berechtigtes Interesse an der alleine noch möglichen Feststellung, dass Erledigung nicht eingetreten sei. Eine Erklärung, dass sich die Nutzungsuntersagung selbst erledigt habe, sei damit nicht verbunden gewesen.

Das Ermessen, nunmehr noch ein Zwangsgeld festzusetzen, sei rechtsfehlerfrei ausgeübt worden. Eine Verwirkung liege nicht vor: Die Verzögerung läge an wiederholten Versuchen der Antragsteller, einen formal legalen Zustand herbeizuführen. Es gebe keine Anzeichen für eine aktive Duldung der rechtswidrigen Nutzung.

OVG Münster, B. v. 27.9.2021

§ 123 VwGO-Antrag auf einstweilige Feststellung- Sonntagsfrage auch nach Briefwahl? – VGH Kassel, B. v. 22.09.2021

§ 123 VwGO-Antrag auf einstweilige Feststellung- Sonntagsfrage auch nach Briefwahl? –

VGH Kassel, B. v. 22.09.2021 -8 B 1929/21 NVwZ-RR 2022, 243

VG Wiesbaden B. v. 16.09.2021 -6 L 1174/21.WI

Die Antragstellerin A, das Meinungsforschungsunternehmen Forsa, erstellt aufgrund von Umfragen Prognosen über das Wahlverhalten. Sobald vor einer Wahl die Möglichkeit besteht, die Stimme per Briefwahl abzugeben, fragt die A die Umfrageteilnehmer zunächst, ob und gegebenenfalls wie sie bereits per Brief gewählt haben. Wer noch nicht gewählt hat, wird anschließend nach seiner voraussichtlichen Wahlentscheidung gefragt. Mit Schreiben vom 24.8.2021 und vom 6.9.2021 bat der Antragsgegner, der Bundeswahlleiter (B) u. a. die A unter Hinweis auf § 32 II BWahlG („Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig) und die gesetzlich vorgesehene Geldbuße von bis zu 50.000 €, es zu unterlassen, vor 18 Uhr des Tages der Bundestagswahl Ergebnisse von Wählerbefragungen zu veröffentlichen, denen mit Wissen der Ast. auch Daten von Befragten zugrunde liegen, die ihre Stimme zur Bundestagswahl bereits per Briefwahl abgegeben haben. § 32 Abs. 2 BWahlG verbiete ganz allgemein die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach einer Stimmabgabe vor Ablauf der Wahlzeit. Ansonsten entstünde angesichts des hohen Briefwahlanteil schon vor dem Schluss der Wahllokale ein Bericht über die tatsächliche Stimmabgabe zur bevorstehenden Bundestagswahl.

Die A beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache (bereits erhobene Feststellungsklage) festzustellen, dass es nicht gegen § 32 II BWahlG verstoße, wenn A vor dem Wahltag der Bundestagswahl Ergebnisse von Befragungen veröffentliche, denen als aggregierter (nicht gesondert ausgewiesener) Bestandteil auch die Angaben von Briefwählern über ihre bereits getroffenen Wahlentscheidungen zugrunde lägen.

B hält den Antrag für bereits unzulässig. Denn er sei ein unabhängiges Wahlorgan und stehe außerhalb der Verwaltungsorganisation des Bundes. VwGO und VwVfG fänden keine Anwendung.

Der Antrag hat Erfolg: § 40 VwGO sei einschlägig. Eine abdrängende Sonderzuweisung gebe es nicht. Die Spezialvorschrift des § 49 BWahlG finde keine Anwendung. § 49 BWG erfordere den Streit um Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezögen. Das Schreiben des B an die A sei keine solche Maßnahme, denn es betrifft das Wahlverfahren nicht unmittelbar, sondern das Verhalten Dritter im Zusammenhang mit der Wahl. § 32 II BWahlG beziehe sich auch nicht auf das Wahlverfahren selbst.

Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 49 BWahlG, Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Rahmen der Wahl und die Wahlanfechtung in Umsetzung von Art. 41 GG einem besonderen Verfahren, spreche gegen die Anwendung im vorliegenden Fall. Auch aus § 49a BWG folge, dass bestimmte Entscheidungen des B, die die Wahl nur mittelbar betreffen, wie Bußgeldverfahren gerade wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 2 BWahlG nicht der Wahlprüfung unterlägen.

Weil der B keinen Verwaltungsakt erlassen habe, sei § 80 V VwGO nicht vorrangig.

Die Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog) und ein qualifiziertes Feststellungsinteresse lägen vor: Ein nur nachträglicher Rechtsschutz sei angesichts des Bußgeldverfahrens gegeben.

Die Antragstellerin sei auch schutzwürdig. Hieran würde es fehlen, wenn sich die Antragstellerin sehenden Auges in das Risiko begeben hätte, eine Strafe für ein von ihr für rechtmäßig gehaltenes Verhalten zu erhalten, indem sie weitere Umfrageergebnisse veröffentlicht hätte.

Richtiger Antragsgegner sei der Bund (§ 78 I VwGO analog), vertreten durch den Bundeswahlleiter als besonderem Wahlorgan (

Der Antrag sei auch begründet, weil ein Anordnungsanspruch bestehe. Nach Auffassung des VGH fällt eine Briefwahl nicht unter § 32 II BWahlG, da diese nicht unter den Begriff der Stimmabgabe zu fassen sei.

Parteienrecht: Unterschied Wahlkampfveranstaltung und Fest: OVG Münster, B. v. 09.09.2021

Parteienrecht: Unterschied Wahlkampfveranstaltung und Fest: OVG Münster, B. v. 09.09.2021 -15 B 1468/21NJW 2021, 3673

In zweiter Instanz erfolgloser Antrag der AfD, ihr am 11.09 von 9 bis 22 Uhr für eine Wahlkampfveranstaltung eine Stellfläche von 600 m² im Volkspark Rheinhausen, einer öffentlichen Einrichtung, in Duisburg zur Verfügung zu stellen. OVG: Der Gleichbehandlungsanspruch aus § 5 I PartG, Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG wird nicht verletzt, obwohl die SPD Rheinhausen dort seit über 40 Jahren ihr Parkfest durchführen darf. Denn es müsse zwischen Wahlkampfveranstaltungen und Volksfesten mit primär unterhaltendem Charakter unterschieden werden.

Versammlungsrecht: Auflage, mobile Toiletten bereitzustellen: OVG Münster, B. v. 02.07.2021

Versammlungsrecht: Auflage, mobile Toiletten bereitzustellen: OVG Münster, B. v. 02.07.2021 -15 B 1134/21-:

Erfolgloser § 123 VwGO- Antrag, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten es zu unterlassen, bei der für den 3. Juli 2021 von der Antragstellerin angemeldeten und (bislang) nicht verbotenen Versammlung (wohl von sog. Querdenkern) in Bochum durch Verbot oder Auflösung aus dem Grunde zu vereiteln, dass entgegen Ziffer 4 des Bescheides nicht 18 Toiletten mit Handwaschbecken, sondern lediglich vier mobile Toiletten von der Antragstellerin gestellt werden.

VG und OVG verneinen einen Anordnungsanspruch:

Ein Verbot der Versammlung bei Nichterfüllung der Auflage, 18 solcher Toiletten bereitzustellen, sei nicht zu erwarten, weil damit nicht hinreichend sicher zu rechnen sei: Ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG sei (nur) eine vorbeugende Maßnahme. Nach Beginn der Versammlung handele es sich um eine Auflösung. Bis zum Beginn der Versammlung sei es voraussichtlich unklar, ob die Auflage nicht doch noch erfüllt werde. Möglicherweise reichten für die tatsächliche Teilnehmerzahl vier Toiletten aus.

Dasselbe gelte auch für die befürchtete Auflösung der Versammlung.

Die Auflage werde sich zwar voraussichtlich als rechtmäßig erweisen, hinreichend sicher sei eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in Form von Verstößen gegen § 3 I 2 Nr. 5 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Bochum („Jeder hat sich so zu verhalten, dass andere nicht gefährdet, geschädigt oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder gestört werden. Verboten ist insbesondere […] das Verrichten der Notdurft außerhalb der hierfür vorgesehenen Toiletteneinrichtungen […].“) zu erwarten, die sich als unzumutbare Beeinträchtigungen der Rechte Dritter erwiesen. Diese gelte, obwohl es bislang eine solche Auflage nicht gegeben habe und keine Versammlung aus diesem Grund verboten worden sei. Es sei auch nicht ein Sachverhalt glaubhaft gemacht, aus dem sich eine Unverhältnismäßigkeit der Auflage ergebe.

Eine Nichtbefolgung der Auflage führe zwar zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Polizeiführung während der Versammlung vor Ort müsse aber vor einer Versammlungsauflösung nach § 15 III VersG die Verhältnismäßigkeit prüfen. Die Auflösung sei ultima ratio, zuvor müsse die Durchsetzung der Auflage angemahnt werden. Eine Ersatzvornahme sei kein milderes Mittel. Eine Versammlungsauflösung sei nämlich kein verwaltungsvollstreckungsrechtliches Zwangsmittel zur Durchsetzung der Auflage. Der Auflagenverstoß könne auch erst zu einem Zeitpunkt festgestellt werden, an dem es fernliegend erscheine, dass die Polizei noch rechtzeitig die erforderliche Zahl an Sanitäreinrichtungen beschaffen könne. Umgekehrt könne sich die Antragstellerin rechtzeitig um eine Erfüllung kümmern, so dass sich eine Auflösung der Versammlung voraussichtlich auch nicht als unverhältnismäßig erweise, wenn die Antragstellerin trotz Mahnung eine Erfüllung verweigere und ihr auch auf Anmahnung seitens der Polizei nicht nachkomme.