§ 123 VwGO-Antrag eines Bäckereiunternehmens auf Untersagung einer Information im Internet, dass an schwerzugänglichen Stellen Mäusekot gefunden wurde

 

OVG Münster B. v. 31.03.2022 -9 B 159/22- NJW 2022, 1897,

VG Düsseldorf B. v. 24.01.2022 -16 L 53/22 :

§ 123 VwGO Eilantrag eines Bäckereiunternehmens, der Antragsgegnerin im Wege einer e. A. zu untersagen, auf der Internetseite „lebensmitteltransparenz.nrw.de“ den sich aus dem Anhörungsschreiben (…) ergebenden Inhalt zu veröffentlichen,

insbesondere den Vermerk: „An schwerzugänglichen Stellen wurde Mäusekot vorgefunden“, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Inhalt nur gemeinsam mit (der …) übermittelten Stellungnahme zu veröffentlichen. Das VG hat den Antrag abgelehnt, die Beschwerde hat Erfolg. Ein Anordnungsgrund liege angesichts der (noch) geplanten Veröffentlichung und deren irreparablen Folgen vor. Nach Auffassung des OVG besteht auch ein Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin können ihren öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruches auf Art.12 Abs. 1 GG stützen, weil ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit drohe. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für die staatliche Information nach § 40 Ia 1 Nr. 3 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) lägen nämlich wohl nicht vor („Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels [….] sowie unter Nennung des Lebensmittel[…]-unternehmens […], wenn der durch Tatsachen […] hinreichend begründete Verdacht besteht, dass […] 3. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist oder eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten ist und deswegen gemäß § 41 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.“).

Das OVG fordert klassisch eine verfassungskonforme Anwendung der Norm bereits auf Tatbestandsebene: Der Verdacht müsse durch Tatsachen belegt sein, der Verstoß von nicht nur unerheblichem Ausmaß und zusätzlich müsse ein Bußgeld/strafrechtliche Sanktionierung zu erwarten und deswegen eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt sein. Nach dem konkreten Sachverhalt, der in einer Klausur umfassend ausgewertet werden müsste, sind für das OVG diese Voraussetzungen nicht hinreichend gegeben. Das VG hatte den Sachverhalt noch anders interpretiert.

Neuere Rechtsprechung


Neuere Rechtsprechung: aktuelle examensrelevante Entscheidungen

Neuere Rechtsprechung: aktuelle examensrelevante Entscheidungen zum Öffentlichen Recht mit klausurrelevanten aktuellen Rechtsfragen, typischen Prozesssituationen und/oder klausurgeeigneten Sachverhalten.

Neuere Rechtsprechung 2024, 1. Halbjahr:

OVG Bautzen, B. vom 08.02.2024 -1 B 242/23

Klassisches Baurecht: Asylbewerberunterkunft in allgemeinem Wohngebiet

Die Antragsgegnerin, die Stadt Dresden (S), erteilt sich selbst für ein ihr gehörendes Grundstück –bisher eine Grünfläche- eine Baugenehmigung zur „Errichtung mobiler Raumeinheiten zur Unterbringung von Asylbewerbern, Errichtung von Fahrradabstellplätzen und einer Einfriedung – befristet für fünf Jahre, Antrag auf Abweichung von den Vorschriften der SächsBO“. Die geplante Anlage umfasst 48 Plätze für Asylbewerber. Die Freifläche wird südlich durch eine Hauptstraße des betreffenden Stadtteiles begrenzt. Auf der anderen Straßenseite befindet sich ein im Eigentum der Antragstellerin E stehender Hotel-, Gaststätten- und Spabetrieb, dessen Betreiberin B weitere Antragstellerin ist. Die Antragstellerinnen begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die (aufgrund § 212a I BauGB kraft Gesetzes sofort vollziehbare) Baugenehmigung (§§ 80a I1 Nr. 2, III, 80 V VwGO).

Gegen den zurückweisenden Beschluss des VG Dresden hat nur noch die E Beschwerde erhoben, die keinen Erfolg hatte.

Der Antrag der B sei unzulässig (offenbar, weil ihr als nur obligatorisch und nicht dinglich berechtigter Pächterin von vornherein aufgrund der Grundstücksbezogenheit des Baurechts kein subjektives öffentliches Recht zustehen kann). Auch die E könne bei summarischer Prüfung keine Verletzung nachbarschützender Rechte geltend machen.

Soweit die E der Auffassung sei, bei einer Identität von Bauherr und Genehmigungsbehörde müsse über die Verletzung in eigenen nachbarschützenden Rechten hinaus auch die objektive Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung geprüft werden, sei dies verfehlt. E könne sich dazu nicht auf Art. 19 IV GG berufen, weil diese Norm zu schützende Rechte voraussetze und nicht selbst begründe.

Die Zuständigkeit der S als untere Bauaufsichtsbehörde ergebe sich aus § 57 I 2, 1 Nr. 1 SächsBO, so dass dahingestellt bleiben könne, ob § 57 SächsBO Drittschutz vermitteln könne.

§ 20 VwVfG (Ausgeschlossene Personen) regele nur einen persönlich-individuellen Anwendungsbereich, nicht hingegen die sog. institutionelle Befangenheit. Die Entscheidung einer Behörde im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit sei auch in eigenen Angelegenheiten nicht zu beanstanden.

Das Beteiligungsrecht als Nachbarin aus § 70 SächsBO sei nicht verletzt, weil Nachbarn nur vor Erteilung von Abweichungen und Befreiungen angehört werden müssten, wenn zu erwarten sei, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden. Abweichungen seien hier nur von den nicht nachbarschützenden Vorschriften nach § 50 SächsBO (Barrierefreiheit) und von § 7 Abs. 3 und 4 Sächsische Stellplatz-, Garagen- und Fahrradabstellsatzung (Eingrünung von Stellplätzen) erteilt worden.

Die Baugenehmigung leider auch nicht an einem Begründungsdefizit. § 72 II 2 SächsBO sei dabei die spezieller Vorschrift zu § 39 VwVfG. Danach sei die Baugenehmigung nur insoweit zu begründen, als Abweichungen oder Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften zugelassen werden und der Nachbar nicht nach § 70 II SächsBO zugestimmt habe. Die Begründungspflicht entfalle damit, soweit die Bauaufsichtsbehörde einem Antrag entspreche oder einer Erklärung folge und die Genehmigung nicht in Rechte eines anderen eingreife und demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt sei oder der von ihm betroffen werde, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits kenne oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar sei.

In materieller Hinsicht scheide eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs aus, unabhängig davon, ob es sich um Außenbereich oder um unbeplanten Innenbereich handele und das Gebiet der näheren Umgebung als allgemeines Wohngebiet, Mischgebiet oder als Gemengelage einzustufen sei. Auch in einem allgemeinen Wohngebiet seien Asylbewerberheime jedenfalls als Anlagen für soziale Zwecke nach § 4 II Nr. 3 BauNVO anzusehen.

Auch ein Verstoß des in §15 I 2 BauNVO enthaltenen Gebots der Rücksichtnahme vor unzumutbaren Belästigungen und Störungen liege (bei unterstelltem faktischen allgemeinen Wohngebiet) nicht vor.

Die Zusammensetzung der Bewohner oder Nutzer einer Unterkunft nach ihrer Herkunft, Abstammung und ihrem Familienstand sei kein städtebaulich relevantes Kriterium. Bach der Zahl der unterzubringenden 48 Asylbewerbern sei das Vorhaben nicht generell geeignet, den Charakter eines allgemeinen Wohngebiets zu stören.

Soweit die E unzumutbare Belästigungen oder Störungen befürchte, die „typischerweise“ von einer Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbewerber ausgingen und Hotelmitarbeiterinnen zur Kündigung veranlassen oder Gäste von einer Hotelbuchung abhalten könnten, sei bereits im Hinblick auf die Größe der Unterkunft, nicht ersichtlich, dass sich die abstrakte Gefahr von Straftaten durch den Betrieb der Unterkunft hinreichend konkretisiere. Auch gebe es keinen Anhalt dafür, dass von Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünften typischerweise eine konkrete Gefahr für die Bewohner der näheren Umgebung aufgrund des von der E befürchteten straffälligen Verhaltens einzelner Asylbewerber angesichts von Presseberichten über eine statistische Überrepräsentation männlicher Flüchtlinge bei den Tatverdächtigen.

Nichts anderes gelte in Bezug auf in der näheren Umgebung arbeitende oder sich sonst temporär dort aufhaltenden Personen. Eine mehr als unspezifische Besorgnis eines „trading down“ bestehe nicht.

Das Vertrauen auf eine auch künftig unbeeinträchtigte Aussicht auf die gegenüberliegenden Grünflächen sei nachbarrechtlich nicht geschützt.

Neuere Rechtsprechung 2023, 2. Halbjahr:

VGH München, B. v. 21.09. 2023 – 20 CS 23.1432 –

VG München, B. v. 01.08.2023 – M 26a S 23.2699

Kombination aus prozessualen Fragen, einer Verfassungsmäßigkeitsprüfung und Sachverhaltsauswertung: § 80 V-VwGO-Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Anordnung zur Vorlage von Nachweisen zum Masernschutz.

Die Antragsgegnerin (Ag) forderte die Antragsteller (A 1 und A 2), Eltern eines Grundschülers, wiederholt auf, einen Nachweis nach § 20 IX IfSG vorzulegen und hörte zum beabsichtigten Erlass einer zwangsgeldbewehrten und gebührenpflichtigen Anordnung nach § 20 XII 1 IfSG an. Die A 1 bat daraufhin um einen persönlichen Termin. Sie vermute eine Impfunverträglichkeit ihres Sohnes, die aber derzeit nicht ärztlich bestätigt sei. Sie selbst leide seit ihrem siebten Lebensjahr nach einer Impfung an schweren, teilweise unerträglichen Kopfschmerzen. Dies wolle sie ihrem Sohn nicht zumuten. Eine Impfung sei mindestens fünf mal gefährlicher sei als die Masernerkrankung. Bei der späteren Vorsprache gaben die A an, ein schriftlicher Nachweis zur Impfunfähigkeit oder zu Kontraindikationen liege nicht vor, da der Kinderarzt keine ausführliche Anamnese durchführe und daher auch keinen Nachweis ausstelle. Der andere Sohn der A sei an einem Tumor verstorben.

Die Ag forderte mit Bescheid vom 3.05.2023 die A auf bis zum 02.06. 2023 entweder eine Impfdokumentation nach § 22 I, II IfSG oder ein ärztliches Zeugnis als Nachweis darüber, dass insgesamt zwei Masern-Schutzimpfungen durchgeführt wurden oder ein ärztliches Zeugnis über eine (labordiagnostizierte) Immunität gegen Masern oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass aus medizinischen Gründen nicht oder erst später geimpft werden kann (Kontraindikation mit Angabe der Dauer) oder eine Bestätigung einer staatlichen Stelle oder der Leitung einer zuvor besuchten, nach § 20 VIII IfSG betroffenen Einrichtung darüber, dass ein entsprechender Nachweis dort bereits vorgelegt wurde (Nr. 1). Diese Anordnung sei kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Nr. 2). Für den Fall, dass die Antragsteller der Anordnung aus Ziffer 1 nicht spätestens bis 2.06.2023 nachkommen, wurde ein Zwangsgeld von 400,00 € angedroht (Nr. 3).

Das VG hat den Antrag zur Gänze als unbegründet abgewiesen. Vor dem VGH hatte er bezüglich der der Zwangsgeldandrohung Erfolg.

Das VG und VGH legen den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellte Antrag schulmäßig als einen solchen auf (erstmalige) Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage aus, weil die Anordnung Nr. 1 ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt sei, § 80 V1, II 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 20 XII 7 IfSG, Art. 21a VwZVG). Bei der Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides vom 3. Mai 2023 handele es sich jedenfalls seit der Neufassung des § 20 XII 7 IfSG ab dem 17.09.2022 um einen vollstreckbaren Verwaltungsakt, weil die dort eingeführte sofortige Vollziehbarkeit nur dann Sinn mache, wenn es sich bei der Nachweisanforderung um einen Verwaltungsakt handele.

Auch § 44a VwGO stehe der Zulässigkeit nicht entgegen. Die Anordnung sei ein eigenständiger vollstreckbarer Verwaltungsakt im Sinne des § 44a S. 2 VwGO und nicht nur eine (Zwischen-) Verfahrenshandlung. Eine abschließende Sachentscheidung in Form eines Betretensverbotes (§ 20 XII 4 IfSG) scheide bei schulpflichtigen Kindern nämlich nach § 20 XII 5 IfSG aus. Die Bezeichnung als „Aufforderung“ oder „Anforderung“ sei unschädlich und bedeute keinen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.

In der Sache lägen die Voraussetzungen für den Erlass eines die Nachweisvorlagepflicht begründenden Verwaltungsaktes gegen die A als Sorgeberechtigten (vgl. § 20 XIII 1IfSG) vor. Das VG subsumiert ausführlich unter die Tatbestandsvoraussetzungen. Der VGH führt ergänzend aus, die Ag müsse nicht von Amts wegen prüfen, ob eine Kontraindikation gegen eine Masernimpfung vorliege. Dies obliege den A, § 20 IX 1 Nr. 2 Alt. 2, XII 1 Nr. 1, XIII 1 i. V. m. § 33 Nr.3 IfSG . Die Verfassungsmäßigkeit des § 20 VIII IfSG habe das BVerfG (B. v. 21.07.2022 -BvR 469/20 u. a.-, BVerfGE 162, 378-454) nicht durchgreifend in Frage gestellt (wird näher dargelegt).

Das Argument, die Nachweispflicht verschlechtere die psychische Gesamtsituation des A 2, -die A hatten u. a. vorgetragen, dass der A 2 kürzlich einen Nervenzusammenbruch und Panikattacken erlitten habe- komme nach der gesetzlichen Konzeption keine Bedeutung zu. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Masern in Deutschland zwischenzeitlich ausgerottet seien (wird näher ausgeführt).

Die Zwangsgeldandrohung sei –so das VG- hinreichend bestimmt, obwohl nur ein einheitliches Zwangsgeld über 400,00 € angedroht worden sei. Es sei nicht ersichtlich, dass die Ag das Zwangsgeld zweimal fordern wolle, sondern nur einmal gesamtschuldnerisch. Es gehe bei der Grundverfügung um eine von den Eltern rechtlich nur gemeinschaftlich ausübbare und in diesem Sinne gesamthandsähnliche Pflicht als Folge des gemeinsamen Sorgerechts nach § 1629 I 2 BGB.

Die Androhung ist allerdings nach Auffassung des VGH nach summarischer Prüfung ermessensfehlerhaft, da die Ag ausweislich der Begründung des Bescheids von einer gebundenen Entscheidung ausgehe und ihr Entschließungsermessen nicht ausgeübt habe. Auch sei die Begründung des Auswahlermessens floskelhaft.

Ergänzend ist erwähnenswert, dass der VGH in Anwendung des § 155 I 3 VwGO die Kosten voll den A auferlegt hat.

Neuere Rechtsprechung 2023, 1. Halbjahr:

OVG Saarlouis, B. v. 07.06.2023 -1 B 51/23-, NJW 2023, 2795

VG Saarlouis, B. v. 06.04.2023 –5 L 339/23-

Immer wieder aktuell: § 80 V-VwGO-Antrag gegen eine Fahrtenbuchauflage.

Mit einem Firmenfahrzeug der Antragstellerin A wurde am 2.7. die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 64 km/h überschritten, ein Verstoß der regelmäßig zu zwei Punkten und zwei Monaten Fahrverbot führt. Ein Mitarbeiter M der A füllte den am 14.7. übersandten Anhörungsbogen am 20.7. aus und benannte sich selbst als Fahrer. Die Bußgeldbehörde verglich das „Blitzer“-Messbild mit dem Passfoto des M und schickte diesem daraufhin den Anhörungsbogen. Dieser füllte den Bogen als Betroffener am 9.8.2021 aus und kreuzte an, den Verkehrsverstoß begangen zu haben. Am 6.10. –kurz nach Ablauf der Verfolgungsverjährung- teilte sein Rechtsanwalt dann allerdings mit, der M habe das Fahrzeug nicht geführt. Am 12.10. erließ die Behörde gegen M einen Bußgeldbescheid. Dieser erhob Einspruch: Da er Anfang Juli einen Geschwindigkeitsverstoß begangen habe, habe er zunächst geglaubt, es gehe um diesen. Das Fahrzeug gehöre aber seinem Freund, der es ihm zeitweise überlassen habe. Auf dem Messfoto sei der ihm sehr ähnliche Freund abgebildet, was ihm nunmehr aufgefallen sei. Das Amtsgericht stellte das Bußgeldverfahren ein, weil es nicht überzeugt war, dass der M und nicht der Freund gefahren sei. Nach Anhörung verfügte der Antragsgegner am 15.2. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, dass die A ab Zustellung der Verfügung 15 Monate lang für das Tatfahrzeug ein Fahrtenbuch zu führen habe. Die A legte Widerspruch ein: Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage sei nicht gerechtfertigt, zumindest aber unverhältnismäßig. Sie habe von Anfang an mitgewirkt und angegeben, wem das Fahrzeug überlassen gewesen sei. Wenn tatsächlich diese Person, an die das Fahrzeug berechtigterweise überlassen gewesen sei, das Fahrzeug in ihrer Besitzzeit einer weiteren Person kurzfristig überlassen habe, sei dies ihr –der A- nicht anzulasten.

Der zusätzliche Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte vor dem VG Erfolg. Das OVG hat diese Entscheidung wieder kassiert.

Beide Gerichte waren –im Einklang mit der wohl einhelligen Rechtsprechung- der Auffassung, dass auf Tatbestandsebene die Feststellung des verantwortlichen Fahrers im Sinne des § 31a I 1 StVZO dann unmöglich ist, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage gewesen sei, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Es komme nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers zu vertreten habe. Entscheidend sei insoweit der präventive Charakter einer Fahrtenbuchauflage. Sie diene der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs und damit der Gefahrenabwehr. Kraftfahrer, die Verkehrsverstöße begingen, sollten erfasst werden, damit sie nicht den für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs notwendigen Maßnahmen, insbesondere den Verwaltungsmaßnahmen über Fahrverbot, Verkehrsunterricht oder Entziehung der Fahrerlaubnis, entgingen und nicht durch ihr weiteres verkehrswidriges Verhalten eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer bildeten.

Das VG hat dann aber weiter argumentiert, dass eine Fahrtenbuchauflage nicht gerechtfertigt sei, wenn der Fahrzeughalter das ihm Zumutbare und Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen habe. Dem hat das OVG widersprochen.

Abzugrenzen sei nur von der Konstellation, bei der der Fahrer zwar rechtzeitig genannt worden sei, die Verfolgung dann aber (z. B.) daran scheitere, dass sich der mutmaßliche Täter im Ausland aufhalte. Aus Sicht der OVG seien Ermessensfehler vielmehr nicht ersichtlich. Dass die A vorliegend durchaus mitgewirkt hat, stehe insbesondere nicht entgegen: Falls die erste Auskunft richtig sei, hätte der von A zum Ausfüllen des Halterfragebogens befugte M die Aufklärung durch spätere falsche Angaben im Ordnungswidrigkeitenverfahren vereitelt. Wäre die erste Auskunft falsch, zeigte dies einen sorglosen Umgang mit der Aufklärungsobliegenheit. Denn die Auskunft wäre ohne genauen Blick auf das Messfoto und ohne Berücksichtigung des Umstands, dass das Fahrzeug üblicherweise nicht vom M gefahren werde, erteilt worden. Die Ermessensausübung sei auch im Hinblick auf die Dauer der verfügten Auflage angesichts des gravierenden Verkehrsverstoßes in Ordnung.

Neben der eigentlichen Fahrtenbuchauflage enthielt die Verfügung auch eine Ersatzfahrzeugbestimmung (vgl. § 31a I 2 StVZO), die Verpflichtung zu vier Vorlagen des Fahrtenbuches sowie eine Zwangsgeldandrohung nach §§ 19, 20 Saarländisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz, insgesamt ausreichend Stoff für eine Klausur.

OVG Münster, B. v. 01.06.2023 -19 B 541/23- NJW 2023, 2897

VG Düsseldorf, B. v. 23.05.2023 -L 1296/23-

Skurriler Fall: Die anwaltlich vertretenen Antragsteller (A) beantragen, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine zwangsweise Abholung, Bestattung und Kremation des Körpers ihres am 27.04 verstorbenen Sohnes S nicht vor dem (1.) Juli 2023 zu veranlassen und durchführen zu lassen und darüber hinaus zu dulden, dass der Körper des Sohnes noch bis dahin gekühlt bei einem Bestattungsunternehmen E aufbewahrt werden darf.

Zur Begründung bringen sie vor, sie hielten es nach Einschaltung eines mit chinesischer Medizin vertrauten Heilpraktikers, der den Leichnam am 9. Mai 2023 begutachtet und akupunktiert habe, „für möglich, jedenfalls nicht absolut ausgeschlossen“, dass ihr Sohn noch nicht verstorben sei, sondern sich möglicherweise im Zustand einer „Anabiose, auch Kryptobiose genannt“ befinde. Zudem habe die A ihren Sohn beim Bestattungsunternehmern besucht und jedes Mal einen Puls am Handgelenk und auf der Halsschlagader gespürt. Sie seien gläubige Christen und glaubten wie ihr Sohn daran, dass Jesus Christus nach seiner Auferstehung bereits (scheinbar) Verstorbenen zum Wiederaufleben verholfen habe.

VG und OVG haben -wenig verwunderlich- den Eilantrag zurückgewiesen.

Nach Aktenlage sei die Behörde berechtigt, die ordnungsbehördliche Einäscherung im Weg des Sofortvollzugs nach § 55 II VwVG NRW zu veranlassen („Der Verwaltungszwang kann ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt“). Dies sei aus hygienischen Gründen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig, weil sich die bestattungspflichtigen Hinterbliebenen weigerten, eine Erdbestattung oder Einäscherung des Leichnams innerhalb der zehntägigen Frist nach § 13 III 1 BestG NRW zu veranlassen. Soweit die Hinterbliebenen ihrer Verpflichtung nicht nachkämen, habe nach § 8 I 2 BestG NRW die örtliche Ordnungsbehörde die Bestattung zu veranlassen. Zweifel am objektiven Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr gebe es angesichts der ärztlichen Todesbescheinigung, des Beerdigungsschein der Staatsanwaltschaft und der standesamtlichen Sterbeurkunde nicht selbst wenn unterstellt werde, die A habe noch einen Puls gefühlt, und es die A es für möglich hielten, dass ihr Sohn noch nicht verstorben sei.

Das angeführte Recht aus Art. 2 II 1 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit habe mit dem Tod geendet. Soweit das Recht der A auf Totenfürsorge (geschützt durch Art. 2 I GG), ihre Glaubensfreiheit aus Art. 4 I, II GG und der aus Art. 1 I GG folgende postmortale Achtungsanspruch des Verstorbenen betroffen sein sollten, sei ein Eingriff jedenfalls durch den überragend wichtigen Gemeinwohlbelang des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt (wird recht ausführlich und zur Wiederholung gut geeignet näher dargelegt).

VG Düsseldorf, B. v. 07.03.2023 -16 K 591/23-

Kostenauferlegung bei unnötiger Hauptsachenklage.

VG Düsseldorf, B. v. 25.01.2023 -16 L 110/23- LMuR 2023, 195

Vorangegangener erfolgreicher § 80 V-VwGO-Antrag gegen eine nur mündlich erteilte (Gaststätten-)Schließungsverfügung.

Am 10.01. haben Bedienstete der Antragsgegnerin (AG) gegenüber der Antragstellerin (AS) mündlich angeordnet, dass deren Imbissbetrieb mit sofortiger Wirkung zu schließen sei und dass diese Anordnung für sofort vollziehbar erklärt werde. In der Sache bemängelt die AG ein fehlendes Handwaschbecken.

Den wörtlichen Antrag der AS „die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs/der Klage gegen die mündliche Verfügung des Antragsgegners vom 10.01.2023 wird hergestellt“ hat das VG ausgelegt als Begehren, die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage der Antragstellerin (AS) gegen die von der Antragsgegnerin (AG) am 10. Januar 2023 mündlich gegenüber der AS unter sinngemäßer Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochene Anordnung der Schließung des von der Antragstellerin unter der Anschrift T(….) betriebenen Imbissbetriebes wiederherzustellen.

Es fehle bereits an der erforderlichen schriftlichen Begründung nach § 80 III 1 VwGO. Als Notstandsmaßnahme nach § 80 III 2 VwGO sei die Anordnung nicht bezeichnet worden. Eine Notstandsmaßnahme liege auch nicht vor, weil das Fehlen des Handwaschbeckens erst nach drei Jahren moniert worden sei.

Die noch zu erhebende Klage werde voraussichtlich Erfolg haben. Rechtsgrundlage für die angeordnete Betriebsschließung sei § 39 Abs. 1 LFGB i. V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 1 b) VO (EU) Nr. 2017/625 über amtliche Kontrollen (Kontroll-VO).

Es sei bereits zweifelhaft, ob überhaupt ein Verstoß gegen die Hygienevorschrift des Art. 4 II i. V. m. Anh. II Kap. I Nr. 4 VO (EG) Nr. 852/2004 vorliege, wonach an geeigneten Standorten genügend Handwaschbecken vorhanden sein müssten.

Bei den Begriffen „genügend“ und „geeignet“ handele es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Konkretisierung im Einzelfall bedürfen und deren Anwendung auf den jeweiligen Sachverhalt der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliege.

Das VG erörtert dann breit unter Auswertung des Vorbringens, weshalb das unstreitig im Zubereitungsraum der Imbissgaststätte vorhandene Waschbecken ausreichen könnte und es deshalb keines im Hauptraum mit dem Bedientresen bedürfe.

Selbst bei einem unterstellen Verstoß habe die AG aber ermessensfehlerhaft gehandelt. Art. 138 I 1 b) Kontroll-VO eröffne ein Auswahlermessen, das die Behörde nicht erkannt habe. Art. 138 1 2 Kontroll-VO bestimme eine spezifische Ermessensdirektive für die zu treffende Auswahl. Hiernach berücksichtigten die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften. Als milderes Mittel dränge sich hier eine Ordnungsverfügung mit Zwangsmittelandrohung auf.

Besonders klausurgeeignet ist der Fall, weil zum einen das VG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO abgelehnt hat, weil die AS den ihr obliegenden Darlegungs- und Nachweispflicht hinsichtlich der wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe aus § 117 II ZPO nicht nachgekommen sei. Sie habe die ihr vorgelegte „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe“ nicht vollständig ausgefüllt und keine Belege beigefügt.

Zum anderen haben die Bevollmächtigten an dem Tag, an dem ihnen der Beschluss des VG zugegangen ist, in der Hauptsache die Klage erhoben, obgleich ihnen die Behörde zuvor bereits telefonisch angekündigt hatte, noch am selben Tag den Bescheid aufzuheben. Durch Beschluss vom 07.03.2023 hat das VG nach übereinstimmender Erledigungserklärung aus Anlass der tatsächlich erfolgten Aufhebung der Klägerin die Kosten nach § 161 II VwGO auferlegt, weil die Klageerhebung in dieser Situation mutwillig gewesen sei. Deren Bevollmächtigte irrten in der Annahme, nach Ergehen des Beschlusses habe es der Klageerhebung bedurft, um diesem zur Wirksamkeit zu verhelfen. Das Gegenteil sei der Fall, wie sich aus § 80 V 2 VwGO ergebe, was auch in den Beschlussgründen ausdrücklich erwähnt worden sei.

OVG Münster, B. v. 01.03.2023 -5 B 167/23 NVwZ-RR 2023, 952

VG Arnsberg, B. v. 14.02.2023 – 6 L 159/23

Klassisches Polizeirecht: Gefahr für die Öffentliche Ordnung durch Hissen der Reichsflagge?, Ermessensausfall

Die Stadt Hilchenbach (S, Antragsgegnerin) erlässt am 07.02.23 eine Ordnungsverfügung samt Sofortvollzugsanordnung und Ersatzvornahme-Androhung, mit der dem Antragsteller (A), einem Vertreter der Partei „Dritter Weg“, die Entfernung der Reichsflagge von dem Gebäude aufgegeben wird, in dem sich ein Parteibüro befindet.

Das VG Arnsberg lehnte den § 80 V-VwGO-Antrag ab. Das OVG hob den Beschluss auf und gab statt:

Das VG hat das formelle Begründungserfordernis des § 80 III 1 VwGO für eingehalten erachtet.

In der Sache hat es die Erfolgschancen der Klage gegen die Verfügung als offen anzusehen. Rechtsgrundlage sei die polizeiliche Generalklausel in § 14 I OBG NRW („Die Ordnungsbehörden können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung [Gefahr] abzuwehren“). Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung liege vor. Fraglich sei aber, ob die S das ihr eingeräumte Ermessen ausgeübt habe. Auch sei es nicht möglich, die Verhältnismäßigkeit zu überprüfen, insbesondere, inwieweit die durch die Verfügung geschützten Rechtsgüter einen Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG rechtfertigten. Bei derzeit offenen Erfolgsaussichten der Klage gehe die erfolgsunabhängige Interessenabwägung zu Lasten des A aus, weil dieser nichts dafür vorgetragen habe, weshalb gerade das Zeigen der Reichsflagge zusätzlich zu den sonstigen ohnehin an dem Gebäude zur Schau gestellten Fahnen, Bannern und Plakaten gerade aktuell eine besondere Bedeutung und Dringlichkeit habe.

Das OVG hat es im Ergebnis offen gelassen, ob eine Gefahr für die öffentliche Ordnung vorliege, ob also die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit verletzt wird, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet werde. Bei der Beurteilung konkreten Verhaltens könnten dabei Wertungen des Gesetzgebers aus einschlägigen Normen herangezogen werden. Das Zeigen der Reichsflagge reiche danach für sich genommen nicht. Nach der Rechtsprechung könne sich eine Gefahr jedoch aus dem Gesamtkontext der Verwendung der Flagge ergeben, wenn diese so verstanden werden kann, dass zu Einschüchterung, Diskriminierung und Gewalt gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern aufgerufen werde. Die entsprechenden Umstände müssten wohl deutlicher hervortreten als beim Zeigen der Reichskriegsflagge, wo u. U. bereits von einer Verwirklichung einer Straftat nach § 130 I Nr. 1 StGB (und damit einem Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit) ausgegangen werden könne.

Im Gegensatz zum VG geht das OVG von einem Ermessensfehler durch Ermessensnichtgebrauch auch. Denn der Ermessensspielraum sei nicht auf Null reduziert gewesen. Auch sei die S nicht einer tatsächlich zwingenden Vorgabe einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift gefolgt. Es fehlten vielmehr ermessenbegründende Ausführungen. Eine Ermessensausübung liege auch nicht – wie vom VG angenommen – in der Bezugnahme auf den einschlägigen Erlass des Innenministeriums. Dieser sehe in, dass die Ordnungsbehörden bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Ordnung „gehalten“ seien, „im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens bezogen auf den jeweiligen Einzelfall das Zeigen oder Verwenden der Reichs(kriegs)flaggen in der Öffentlichkeit auf der Grundlage der hierfür einschlägigen gesetzlichen Regelungen zu unterbinden“. Trotz der missverständlichen Formulierung („gehalten“) solle eine Ermessensentscheidung im Einzelfall erfolgen. Dies führt das OVG näher aus. Eine strikte Bindung ohne Möglichkeit der Berücksichtigung der etwaigen Besonderheiten des Einzelfalls sei wohl u. a. auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG nicht rechtmäßig.

Angesprochen werden vom VG auch die fehlende Anhörung (jedenfalls geheilt) und der Einwand, die S hätte zivilrechtlich gegen die A vorgehen müssen, weil ein Miet- oder Nutzungsrechtsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Die S wolle allerdings nicht mittels VA zivilrechtliche Ansprüche durchsetzen, sondern eine Gefahr nach § 14 I OBG NRW abwenden. Die Ersatzvornahmen-Androhung sei in Ordnung, insbesondere habe die S das richtige Zwangsmittel ausgewählt und hätte nicht ein Zwangsgeld androhen müssen, weil der A deutlich gemacht habe, die Flagge weiter zu hissen.

OVG Münster, B. v. 22.02.2023 -19 E 843/22-

VG Münster, B. v. 10. November 2022 – 1 L 819/22

Vergeblicher Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag, die Behörde im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin (A) einen Personalausweis mit einem Lichtbild von ihr mit Kopfbedeckung auszustellen. – Wiederholung der bekannten Problematik zu Art. 4 GG in anderem rechtlichen Zusammenhang als für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, Sportunterricht und Schwimmbadbesuch.

Sowohl das VG wie das OVG verneinen die nach § 166 I 1 VwGO i. V. m. § 114 I 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Erfolgschancen seien nur gering ohne dass dabei eine Beweisaufnahme vorweggenommen werde oder schwierige Rechtsfragen verfehlt schon im PKH-Verfahren durchentschieden würden.

Der Antrag in der Sache sei zwar als Regelungsanspruch nach § 123 I 2 VwGO zulässig. Es fehle aber an einem Anordnungsgrund. Es sei nicht überwiegend wahrschein, dass die A einen Anspruch auf Ausstellung eines Personalausweises mit einem Bild mit Kopfbedeckung habe.

Das VG stellt dabei zunächst die mögliche Anspruchsgrundlage aus einfachgesetzlichem Recht, § 9 I 1 („auf Antrag werden [….] Personalausweise ausgestellt“) i. V. m. § 1 PAuswG, dar und die Anforderungen an den Personalausweis nach § 5 PAuswG sowie nach § 7 PAuswV. Nach § 7 III 1 PAuswV muss das Lichtbild die Person in einer Frontalaufnahme, ohne Kopfbedeckung und ohne Bedeckung der Augen zeigen. Neben Ausnahmen nach § 7 III 3 PAuswV aus medizinischen Gründen können vom Verbot der Kopfbedeckung aus religiösen Gründen Ausnahmen zulassen werden, § 7 III 4 PAuswV. Ob eine Verhaltensweise (hier Anfertigen eines Ausweises mit Foto ohne Kopftuch und Vorzeigen des Ausweises mit diesem Bild) dem Schutzbereich des Art. 4 GG falle, hänge dabei in einem ersten Schritt vom Selbstverständnis der Betroffenen ab. Dieses sei dann in einem zweiten Schritt einer von der Behörde und den Gerichten, vorzunehmenden Ernsthaftigkeits- bzw. Plausibiliätsprüfung zu unterziehen. Es sei dabei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass diejenige, die unter Berufung auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht begehre, die Darlegungslast dafür treffe, dass sie durch verbindliche Ge- oder Verbote ihres Glaubens gehindert sei, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und dass sie in einen Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn sie entgegen den Ge- oder Verboten ihres Glaubens die gesetzliche Pflicht erfüllen müsste.

Hier habe die A solches weder konkret noch substantiiert dargelegt. Die pauschale Angabe, muslimischen Glaubens zu sein, genüge nicht, auch wenn damit konkludent behauptet sein sollte, das eigene Selbstverständnis decke sich mit jenem der Religionsgemeinschaft. Dies widerspräche der subjektiven Herangehensweise. Auch sei ein allgemeingültiges und eindeutiges Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft bezogen auf einzelne Verhaltensweisen nicht feststellbar. Das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft werde erst im Rahmen des zweiten Teils der Prüfung (Ernsthaftigkeits- bzw. Plausibiliätsprüfung) herangezogen.

Die Behörde habe Näheres auch nicht von A erfragen müssen.

Ein Anspruch daneben direkt aus Art. 4 GG scheide aus.

Die A könne sich auch nicht auf Art. 3 I GG aufgrund der Verwaltungspraxis der Behörde (Selbstbindung der Verwaltung) berufen. Die Behörde wende zwar auch für Personalausweise die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des

Passgesetzes (Passverwaltungsvorschrift – PassVwV) an. Aus dieser könne die A hier aber nichts herleiten (was näher ausgeführt wird).

Neuere Rechtsprechung 2022, 2. Halbjahr:

OVG Münster, U. v. 28.11.2022 -5 A 2808/19-, NJW 2023, 1146

VG Düsseldorf, U. v. 06.06.2019 -18 K 16606/17-

Erfolgreiche Feststellungsklage gegen eine Twittermitteilung der Polizei Duisburg:

Am 24.02.2017 fand in Duisburg ein als Risikospiel eingestuftes Spiel der Dritten Fußballbundesliege zwischen dem MSV Duisburg und dem 1. FC Magdeburg statt.

Die den Polizeieinsatz begleitende Einheit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei veröffentlichte um 17.44 Uhr über den offiziellen Twitter-Account der Polizei Duisburg (@polizei_nrw_du) den mittlerweile wieder gelöschten Tweet „#MSVFCM Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen, um die Durchsuchung zu verhindern.“ Beigefügt war ein Bild, auf dem im Wesentlichen eine größere Personengruppe zu sehen ist, unter anderem mit Cape die spätere Klägerin K.

Diese erhob eine Feststellungsklage und trug u. a. vor, sie habe das Cape nicht angezogen, um eine Durchsuchung zu verhindern. Der Beklagte B argumentierte u. a., die K sei auf dem Bild gar nicht erkennbar.

Die Klage mit dem Antrag festzustellen, dass dies Maßnahme des Absetzens dieses Tweets mit diesem Lichtbild rechtswidrig war, hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Beide Gerichte bejahen die Zulässigkeit und gehen insbesondere von einem besonderen Feststellungsinteresse in Form eines Rehabilitationsinteresses aus (das VG allerdings mit Zweifeln). Es gebe eine bis in die Gegenwart andauernde Stigmatisierung, die Außenwirkung habe: Das Anziehen des Regencaps werde durch die Verknüpfung mit der Absicht der Verhinderung einer Durchsuchung missbilligt und durch das Bild verstärkt. Eine Erkennbarkeit der K sei (in Auswertung des Parteivortrages im Abgleich von Bildern der K aus dieser Zeit) jedenfalls möglich.

Auf Begründetheitsebene hat das VG einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Kern verneint, weil die K auf dem Bild nicht erkennbar gewesen sei. Das OVG ist der Auffassung, dies sei unklar. Die Nichterweislichkeit der Tatsache gehe in diesem Fall ausnahmsweise nach Treu und Glauben zu Lasten des B, weil die Polizei das Bild gelöscht habe. Es ist weiter der Auffassung, dass sich die Absicht der Durchsuchungsverhinderung auf alle abgebildeten Personen beziehe.

In der Sache sei der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der K aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt. Für das Absetzen des Tweets samt Bild seien die Grundsätze maßgeblich, welche für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit gälten. Hier liege ein Verstoß gegen das Richtigkeitsgebot vor, was ausführlich dargestellt wird.

OVG Münster, U. v. 21.11.2022 -11 A 996/21- NVwZ-RR 2023, 369

Erfolgreiche Fortsetzungsfeststellungsklage gegen eine Anordnung, eine Hecke zurückzuschneiden: Unspektakulärer Fall, der aber mit dem Klassiker eine Fortsetzungsfeststellungsklage, einem Austausch der Ermächtigungsgrundlage, einem Gefahrentatbestand, für den der Sachverhalt ausgewertet werden muss, und dem Umgang mit einer Richtlinie genügend Material für eine Klausur bildet:

Die Beklagte gab dem Kläger, der Eigentümer eines Eckgrundstückes ist, mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid auf, seine rund 2 m hohe Hainbuchenhecke auf 80cm zurückzuschneiden, weil diese eine erhebliche Sichtbehinderung und damit eine Verkehrsgefährdung darstelle. Für die Beurteilung der Verkehrssicherheit in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen seien innerorts die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen, Ausgabe 2006 (RASt 06) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Straßenentwurf, heranzuziehen, nach denen hier (vereinfacht) der Sichtbereich frei bleiben müsse. Der Zustand verstoße gegen § 30 II StrWG NRW, wonach Anpflanzungen die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigen dürften. Es liege eine Verkehrsgefährdung und deshalb eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 14 I OBG NRW (Generalklausel) vor. Angesichts der Gefährdung von Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern durch die Sichtbehinderung sei der Ermessensspielraum.

Wenige Tage später ließ der Kläger habe die Hecke zurückschneiden und erhob dann Klage (auf Feststellung, „dass der Bescheid rechtswidrig gewesen sei“), die Erfolg hatte.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO analog zulässig. Da die Hecke wieder wachse, bestehe klassisch eine Wiederholungsgefahr.

Rechtsgrundlage für die Anordnung des Rückschnitts der Hecke sei § 30 IV 1 StrWG NRW („Werden Anpflanzungen oder Einrichtungen entgegen Absatz 2 Satz 1 angelegt, so sind sie auf schriftliches oder elektronisches Verlangen der Straßenbaubehörde von den nach Absatz 1 Verpflichteten binnen angemessener Frist zu beseitigen“). Dass die Beklagte die Anordnung auf § 14 I OBG NRW gestützt habe, sei unschädlich, weil der Verwaltungsakt durch den Austausch der Rechtsgrundlage nicht in seinem Wesen verändert werde. Es bleibe bei einer Maßnahme der Gefahrenabwehr, die im Ermessen stehe. Die Hecke des Klägers sei keine entgegen § 30 II 1 StrWG NRW („Anpflanzungen sowie [….] dürfen nicht angelegt werden, wenn sie die Verkehrssicherheit beeinträchtigen“) angelegte Anpflanzung gewesen, weil sie die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt habe. Eine solche Beeinträchtigung setze – mit Blick auf Art. 14 I GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – eine konkrete Gefahr voraus. Hier bedeute dies, dass durch die Anpflanzung mit ihren Folgewirkungen das Schutzgut Verkehrssicherheit nachteilig beeinflusst werden könne. Davon sei nicht auszugehen (unter Auswertung des vorgetragenen Sachverhaltes und einer durchgeführten Verkehrserhebung zu Beinah-Unfällen sowie des Eindrucks vom Ortstermin und gefertigter Bilder). Für die Beurteilung, ob eine konkrete Gefahr vorliege, könnten die RAST 06 allenfalls gewisse Anhaltspunkte bieten. Die RAST 06 enthalte keine verbindlichen Rechtsnormen. Sie lieferten lediglich Anhaltspunkte zur Ermittlung und Bewertung der Belange des Verkehrs Hinzukommen müsse ferner, dass diese Gefahr nicht hinreichend durch andere Mittel wie zum Beispiel das Aufstellen von Verkehrsspiegeln abgewendet werden könne. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt gewesen.

Das OVG führt dann noch aus, dass die im Bescheid auch enthaltene Ersatzvornahmeandrohung rechtswidrig gewesen sei und den Kläger in seinen Rechten verletzt habe. Es habe an einem rechtmäßigen Grundverwaltungsakt gefehlt habe. Dies halte ich nicht für richtig. Zum Zeitpunkt der Erledigung war der Grundverwaltungsakt zwar rechtswidrig, aber vollziehbar, was für die Vollstreckbarkeit ausreicht.

OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 26.10.2022 -OVG 1 S 56/22- ZUR 2023, 175,

VG Berlin, B. v. 01.08.2022 -1 L 193/22-

Das stationsungebundene Carsharing ist Gemeingebrauch an dem zum Kraftfahrzeugverkehr gewidmeten Straßen.

Erfolgreicher § 123 VwGO-Antrag auf vorläufige Feststellung.

Die Antragstellerinnen (A) bieten in Berlin stationsungebundenes Carsharing („Free Floating Carsharing“) mit Pkw ohne feste Stationen mit Abwicklung per App an.

Seit 01.09.2022 gilt in Berlin § 11a BerlStrG, nach dessen Abs. 1 der § 11 BerlStrG (Sondernutzung öffentlicher Straßen) für das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen, die selbstständig reserviert und genutzt werden können, und von Carsharingfahrzeugen nach Maßgabe der weiteren Absätze des § 11a BerlStrG. Auch der Ordnungswidrigkeitenkatalog des § 28 BerlStrG ist entsprechend ergänzt worden.

Die Antragstellerinnen haben im Mai 2022 einen gerichtlichen Eilantrag gestellt und mittlerweile auch Klage erhoben.

Ihr Antrag festzustellen, dass ihr jeweiliges Carsharing-Angebot vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht dem Anwendungsbereich des § 11a BerlStrG i. V. m. § 11 BerlStrG unterfalle, hatte Erfolg.

Die Eilanträge auf vorläufige Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens

eines Rechtsverhältnisses nach § 43 Abs. 1 VwGO seien hier zulässig, weil in der Hauptsache eine Feststellungsklage statthaft sei. Es lägen jeweils konkrete Rechtsverhältnisse vor. Die A begehrten –entgegen dem Vortrag des Antragsgegners- keine abstrakte Überprüfung des neuen § 11a BerlStrG, sondern wollten geklärt wissen, ob sie ab September 2022 für ihre Angebote Sondernutzungserlaubnisse benötigen. Art. 19 IV GG habe es (aus Sicht des VG noch im August) geboten, vorbeugenden Rechtsschutz schon vor Inkrafttreten des § 11a BerlStrG zu gewähren, weil es den A nicht zumutbar gewesen sei, Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen sich in Kauf zu nehmen.

Ein Anordnungsanspruch läge vor: Das stationsungebundene Carsharing auf öffentlichem Straßenland sei vom Gemeingebrauch gedeckt und keine Sondernutzung nach § 11a BerlStrG i. V. m. § 11 BerlStrG. Das Parken von Kraftfahrzeugen nach § 12 Abs. 2 StVO sei ein als verkehrsüblicher und gemeinverträglicher Vorgang des ruhenden Verkehrs. Ob sich ein Fahrzeug vorrangig zu Verkehrszwecken oder verkehrsfremd im öffentlichen Straßenraum befinde sei aus einer Gesamtschau aus der Perspektive eines objektiven Betrachters vorzunehmen. Die Carsharing-PKW würden nicht zu einem anderen Zweck als dem der späteren Inbetriebnahme abgestellt. Die Autos würden nicht verkehrsfremd zu Werbezwecken abgestellt. Dass dies im Rahmen gewerblichen Vermietens erfolge, vermöge diesen Verkehrszweck selbst nicht zu verdrängen wie bei normalen Mietwagen (Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1982 – BVerwG 7 C 73.79). Auch komme der Mietvertrag regelmäßig über die Handy-App zu Stande und nicht auf der Straße. Es werde keine Gewerbefläche für den Mietvertragsschluss räumlich auf Flächen des öffentlichen Straßenraums verlagert. Dem parkenden Fahrzeug selbst komme auch kein eigener rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu. Anders sei die Situation bei Mietfahrrädern auf Gehwegen, weil dort für die Anmietung das im öffentlichen Straßenraum abgestellte Fahrrad unentbehrlich ist für den Vertragsabschluss sei (Bezugnahme auf OVG Münster, Beschluss vom 20. November 2020 – 11 B 1459/20). Auch unterschieden sich die Mietfahrräder rein äußerlich von normalen, anders als die Carsharing-Autos hier. Auch gehe von den auf dem Gehweg abgestellten Mietfahrrädern ein größeres Risiko für Fußgänger aus.

Auch ein Anordnungsgrund sei glaubhaft gemacht angesichts der Rechtslage ab dem 1. September 2022. Insoweit sei auch eine Hauptsachenvorwegnahme kein Hinderungsgrund.

VG Frankfurt (Oder) B. v. 05.10.2022 -5 L 270/22- ZUR 2023, 118

§ -123 VwGO-Antrag auf Einschreiten der Ordnungsbehörde gegen Hahnkrähen

In ca. 20 m Abstand zum Haus der Antragstellerin (As) in der Stadt Müncheberg werden in einem nichtisolierten Stall als Hobby Hühner und ein Hahn gehalten. Der Hahn kräht je nach Sonnenaufgang ab 3 Uhr morgens. Die As leidet unter Schlafstörungen und begehrt von der Antragsgegnerin (Ag, Ordnungsbehörde) immissionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung zum Schutz der Nachtruhe. Diese solle dem jeweiligen Tierhalter gegenüber eine Ordnungsverfügung erlassen, den auf dem näher bezeichneten Nachbargrundstück gehaltenen Hahn in der Zeit zwischen 19.00 Uhr bis 8.00 Uhr in einem vollständig geschlossenen, möglichst abgedunkelten und schallisolierten Stall sowie in angemessener Entfernung zu ihrem Grundstück unterzubringen.

Zur Begründung hat sie sich auf ein von ihr erstelltes Lärmprotokoll bezogen.

Die Ag verweist auf die Ortsüblichkeit der Kleintierhaltung. Die Allgemeinheit sei nicht betroffen sei. Sonst beschwere sich niemand.

Der Antrag hat bezogen auf die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr Erfolg:

Das VG führt aus, § 40 I VwGO sei gegeben, weil § 21 I 2 Landesimmissionsschutzgesetz – (LImschG) die örtlichen Ordnungsbehörden zur Überwachung des § 10 I LImSchG (Nachtruhe; „von 22 Uhr bis 6 Uhr sind Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind.“) verpflichte. Dass die As auch beim Zivilgericht eine eV nach § 935 ZPO gegen den Nachbar erheben könne, sei unmaßgeblich. Der Antrag sei als Regelungsanordnung statthaft. Neben Art. 2 II 1 GG direkt und § 10 LImschG könne sich die As zur Antragsbefugnis auch auf § 3 II 1 LImschG als drittschützende Vorschrift für Anwohner berufen, wonach Tiere so zu halten seien, dass niemand durch die Immissionen, die durch sie hervorgerufen würden, mehr als nur geringfügig belästigt werde. Da die Ag das Ansinnen außergerichtlich sinngemäß abgelehnt habe, gebe es auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Antrag sei –soweit tenoriert- begründet. Die As habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Das Ermessen der Behörde sei auf Null reduziert. Die Hauptsachenvorwegnahme sei angesichts der vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Kauf zu nehmen, ein Abwarten der Hauptsachenentscheidung sei für As unzumutbar und mit irreparablen Nachteilen verbunden.

Die Behörde müsse einschreiten: Was die Nachbarschaft an Lärm durch Tierhaltung hinzunehmen habe, bestimme sich nach § 3 II LImschG, der mit § 117 OWiG korrespondiere. Das Hahnenkrähen zu unregelmäßigen Zeiten sei –was näher erläutert wird- schon wegen der Unregelmäßigkeit eine wesentliche Beeinträchtigung nach § 906 I BGB und mehr als nur geringfügig i. S. d. § 3 II LImschG, auch wenn die As sich als einzige beschwert habe. Das Krähen sei auch nicht als ortsüblich anzusehen, da die Gegend kein Dorfgebiet sei.

Das VG geht bei dieser Lösung wohl davon aus, dass die As nicht nur die Verpflichtung der Behörde zu einer vorläufigen Regelung begehre, sondern die Verpflichtung gleich zu einem Verwaltungsakt als Ordnungsbehörde wie in der Hauptsache. Dies halte ich für problematisch, ebenso wie der Umstand, dass der betroffene Hühnerhalter wohl nicht beigeladen worden ist und sich deshalb gegen die ergehende Verfügung wehren kann.

Das VG hat übrigens das Passivrubrum „im Hinblick auf § 8 Abs. 2 des brandenburgischen Verwaltungsgerichtsgesetzes (in entsprechender Anwendung) von Amts wegen berichtigt“. Antragsgegnerin ist damit wohl die Bürgermeisterin, Ordnungsbehörde, der Stadt und nicht die Stadt selbst. Das ist keinesfalls zwingend, weil § 8 II BbgVwGG nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gilt. Es hat die Kosten der Ag nach § 155 I 3 VwGO voll auferlegt und den Streitwert -konsequent- auf den vollen Regelstreitwert (5.000,00 €) festgesetzt, weil die Hauptsache vorweggenommen werde.

OVG Münster, U. v. 22.09.2022 – 22 D 263/21.AK-, NVwZ 2022, 1923

Unbestimmtheit des Klageantrages, Fehler in Rechtsmittelbelehrung bei erstinstanzlicher Zuständigkeit des OVG, unverhältnismäßige Nebenbestimmung.

Der Beklagte erteilte der Klägerin die Genehmigung zum Bau einer Windenergieanlage und versah diese unter „Inhalts- und Nebenbestimmungen“ mit ca. 100 Regelungen. Nach der Rechtsmittelbelehrung kann dagegen Klage „schriftlich beim Oberverwaltungsgericht Münster […] oder mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Oberverwaltungsgerichts Münster […]“ erhoben werden. Einen Monat nach Zustellung geht beim OVG ein Schriftsatz der Klägerin K ein, sie erhebe Klage gegen „einzelne Nebenbestimmungen“ des Genehmigungsbescheides. In einer noch nachzureichenden Begründung werde sie darlegen, gegen welche Nebenbestimmungen sich die Klage im Einzelnen richten solle. Später erklärt die K, dass sich ihre Klage gegen 13 jetzt genau bezeichnete Nebenbestimmungen richte. Im laufenden Verfahren nahm sie die Klage dann hinsichtlich von vier Nebenbestimmungen zurück, bezüglich weiterer 8 Nebenbestimmungen haben die Beteiligten übereinstimmend Erledigung erklärt, so dass das OVG nur noch über die in III E „Auflagen“ des Bescheides enthaltene Nebenbestimmung, „den direkt lesenden Zugriff mittels Fernüberwachungssoftware auf die [an anderer Stelle genannten] emissionsrelevanten Daten zu gewähren“, entscheiden musste.

Insoweit hat das OVG die Klage für zulässig und begründet angesehen.

Dessen erstinstanzliche Zuständigkeit ergibt sich offenbar aus § 48 I 1 Nr. 3a VwGO (Windenergieanlage an Land mit Gesamthöhe von über 50 m).

Schulbuchmäßig stellt das OVG zunächst fest, dass die isolierte Anfechtungsklage statthaft sei, weil die unter „Auflagen“ aufgeführte Nebenbestimmung keine Inhaltsbestimmung sei. Sie stelle eine von der Hauptregelung (Legalisierung der Anlage) zu unterscheidende zusätzliche, selbständig durchsetzbare Regelung dar, die nur der Überwachung (§ 52 BImschG) diene.

Der ursprüngliche Schriftsatz habe die Klagefrist wohl nicht gewahrt (das OVG lässt dies offen), da der Klagegegenstand im Sinne des § 82 I 1 VwGO nicht bezeichnet gewesen sei. Der Bescheid enthalte über 100 Nebenbestimmungen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen, insbesondere Immissionsschutz, Baurecht, Brandschutz, Natur-, Landschafts- und Arbeitsschutz sowie Flugsicherheit. Die K habe von vornherein nur gegen einzelne Nebenbestimmungen geklagt (und nicht erst mal gegen alle oder habe gar insgesamt Klage erhoben), der Klagegegenstand sei aber unklar gewesen. Die nachträgliche Einschränkung im nachfolgenden Schriftsatz sei keine noch -wie sich aus § 82 II VwGO ergebe- nach Ablauf der Klagefrist mögliche Ergänzung, Berichtigung, Ergänzung, Klarstellung oder Verdeutlichung. Anderenfalls könnte der Streitgegenstand noch nachträglich erweitert werden. Auch wäre der Umfang aufschiebende Wirkung nach § 80 I VwGO unklar.

Allerdings sei die RMB fehlerhaft, so dass die Jahresfrist des § 58 II VwGO gegolten habe. Eine Klageerhebung mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle könne nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 81 I 2 VwGO nur „bei dem Verwaltungsgericht“ erfolgen. Eine direkte oder analoge Anwendung bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem OVG scheide aufgrund des dortigen Vertretungszwang (§ 67 IV VwGO) aus, der ausdrücklich auch für die Einleitung des Verfahrens gelte.

In der Sache sei die Nebenbestimmung nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 12 I BImSchG gedeckt. Unter Bedingungen“ und „Auflagen in diesem Sinne fielen zwar auch Regelungen zu sogenannten Hilfspflichten, mit denen die Einhaltung der materiellen Anforderungen kontrolliert werden solle. Die konkrete Auflage sei auch noch von § 52 BImSchG gedeckt, aber unverhältnismäßig. Die Argumentation hierzu erschließt sich gut auch ohne Kenntnisse des spezifischen Fachrechts.

Die Kostenentscheidung (70% zu 30%) trifft das OVG klassisch als einheitliche aus §§ 154 I, 155 II und 161 II 1 VwGO.

Insgesamt eignet sich der Fall gut für eine Klausur.

VG Neustadt a. d. Weinstraße U. v. 08.9.2022 -4 K 1122/21.NW- NVwZ-RR 2023, 398

Klassisches Baurecht: Erfolgreiche Nachbarklage aufgrund Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme.

Die Klägerin K ist Eigentümerin eines Wohnhauses im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der den Bereich als reines Wohngebiet ausweist. In der Nähe befindet sich im Außenbereich ein im Eigentum der Gemeinde Lingenfeld stehendes 78.000 m² großes Grundstück, auf dem in der Vergangenheit zahlreiche sportliche Anlagen und Vereinsheime errichtet wurden. Ein solches Vereinsheim möchte der Lingenfelder Dorfmusikantenverein e.V. (Beigeladener, B) nun auch errichten. Geplant ist ein eingeschossiger Bau mit einem Probenraum, Saal, Küche, Lager und Sanitärräumen. Der Verein ließ im Baugenehmigungsverfahren ein Lärmschutzgutachten erstellen, das zu dem Ergebnis kam, dass die für ein reines bzw. allgemeines Wohngebiet geltenden Lärmgrenzwerte beim Probenbetrieb des Orchesters eingehalten werden könnten, wenn während der Probe die Fenster und Türen des Vereinsheims geschlossen bleiben. Die Baugenehmigung wurde unter einer Vielzahl von Auflagen zur erlaubten Nutzung erteilt, u. a. zur Einhaltung von Lärmgrenzwerten.

Der Widerspruch der K blieb erfolgreich. Die Kreisrechtsausschuss fügte allerdings weitere Nebenbestimmungen hinzu. Insbesondere wurde bestimmt, dass die zulässigen Musikproben nur innerhalb des Vereinsheims stattfinden. Die Fenster und Türen müssen während der Musikproben vollständig geschlossen werden und geschlossen bleiben.

Die Klage hatte Erfolg. Nach Ansicht des VG sei die Baugenehmigung rechtswidrig.

Verletzt sei das Die Rechtsverletzung der K folge hier aus einem Verstoß gegen das in § 1 LVwVfG i. V. m. § 37 I VwVfG verankerte Bestimmtheitsgebot in seiner nachbarlichen Ausprägung. Denn die ein „Vereinsheim mit Proberaum“ des Beigeladenen betreffende Baugenehmigung vom 04. März 2020 stelle nicht hinreichend sicher, dass das Bauvorhaben des B nicht gegen das drittschützende bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße:

Eine besondere Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme in Bezug auf Immissionen von Vorhaben, die – wie hier – im Außenbereich verwirklicht werden sollen, stelle § 35 III 1 Nr. 3 BauGB dar, wonach eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere dann vorliege, wenn u.a. ein Vorhaben „schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann“. In Anwendung des § 3 I BImSchG seien schädliche Umwelteinwirkungen in diesem Sinne solche Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet seien, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Die Grenze dessen, was Nachbarn an Einwirkungen zugemutet werde, decke sich mit den Anforderungen, die das BImSchG für nicht genehmigungspflichtige Anlagen festgelegt habe. Wann „schädliche Umwelteinwirkungen“ im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG unzumutbar sind, werde daher regelmäßig mit Hilfe von technischen Regelwerken wie der Freizeitlärm-Richtlinie bestimmt.

Hier seien nicht die Werte für ein reines Wohngebiet nach der TA-Lärm bzw. nach der Freizeitlärm-Richtlinie maßgeblich (wovon das Schallschutzgutachten ausgegangen sei), denn das Vorhaben soll im Außenbereich gebaut werden. Dort seien allenfalls die Immissionsrichtwerte einzuhalten, die nach der TA Lärm für Misch- oder Dorfgebiete gälten. Es sei ein Zwischenwert zu bilden, der jedoch hier nicht eingehalten werde: Individuelle immissionsrelevante Nebenbestimmungen wie hier führten nur dann zu einer hinreichenden Bestimmtheit in nachbarrechtlicher Hinsicht bzw. tatsächlichen bauplanerischen Konfliktbewältigung, wenn sie auf effektive Umsetzung angelegt seien, so dass bei realistischer Betrachtungsweise mit ihrer Beachtung gerechnet werden könne. Es sei hier aber nicht sichergestellt sei, dass die Nachbarn durch das Vereinsheim keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt würden. Denn es sei nicht damit zu rechnen, dass die Fenster und Türen während der Proben geschlossen gehalten würden. Es sei den Mitgliedern des B schlicht nicht zumutbar, im Sommer bei Außentemperaturen von über 30°C mit bis zu 52 Personen in einem ca. 99 m² großen Raum ohne Sauerstoffversorgung Blasinstrumente zu bespielen. Auch sei die Auflage für wirksamen Lärmschutz ungeeignet, weil das Verhalten der Vereinsmitglieder kaum beeinflussbar sei. Der Probenbetrieb finde hauptsächlich abends und am Wochenende stand. Zu diesen Zeiten sei beim Beklagten niemand und die Polizei habe erfahrungsgemäß nur wenig Kapazitäten, die Einhaltung von Auflagen einer Baugenehmigung ständig zu kontrollieren.

Darüber hinaus verstoße die Baugenehmigung auch unter dem Blickwinkel des sog. Etikettenschwindels, bei dem das zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben nur vorgeschoben sei, um der eigentlich beabsichtigten – unzulässigen – Nutzung einen genehmigungsfähigen Anschein zu verleihen, gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Bereits den Bauvorlagen sei hier zu entnehmen ist, dass die genehmigte Nutzung in Wahrheit gar nicht beabsichtigt sei, sondern lediglich deklariert werde, um das Vorhaben genehmigungsfähig erscheinen zu lassen.

Die Baugenehmigung sei nicht dahingehend zu verstehen, dass lediglich ein Proberaum genehmigt worden sei, in dem auch die Jahreshauptversammlung und Verwaltungssitzungen durchgeführt würden. Es sei vielmehr ein „Vereinsheim“ genehmigt. Ein solche genehmigte Nutzung lasse für den Musikverein eine Vielzahl von immissionsträchtigen Nutzungsmöglichkeiten offen. Eine Baugenehmigung für ein Vereinsheim umfasse bei der im Baurecht anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise auch eine Nutzung etwa zu Feier- und geselligen Veranstaltungen. Dass das Vereinsheim gerade auch zu geselligen Zusammenkünften genutzt werden solle, ergebe sich zudem aus dem Umstand, dass auch eine Küche vorgesehen sei sowie die geplante nach Süden hin ausgerichtete, überdachte Terrasse.

VG Hamburg, B. v. 08.09.2022 – 5 E 3639/22 –

Der Antragsteller (A) wendet sich im Wege vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen drohenden Ausschluss von einer Klassenfahrt.

Kurz vor den Sommerferien am 04.07.2022 entfernte sich der A ohne dass das dafür notwendige schriftliche Einverständnis der Mutter vorlag, am Ende eines Schulausfluges ohne Erlaubnis des Lehrers vom Klassenverband. Der Lehrer hatte dem A gegenüber darauf bestanden, dass ein Einverständnis der Mutter per WhatsApp nicht ausreiche.

Nach den Sommerferien beschloss die Klassenkonferenz als am 06.09.2022, den A von der Teilnahme an der Klassenfahrt (8. Klasse) vom 12. bis 16. September auszuschließen. Der Leiter teilte dies der Mutter des Antragstellers mit E-Mail vom 07.09 um 17:33 Uhr vorab mit. Ein Brief folge.

Der Antragsteller hat -vertreten durch seine Mutter- am 08.09.2022 um 9:28 Uhr einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Klassenfahrten seien wichtiger Bestandteil der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schulen. Die Schule habe nach den Sommerferien dreieinhalb Wochen gebraucht, um eine Klassenkonferenz einzuberufen.

Das VG hat am selben Tag die Akte (den „Schülerbogen“) beigezogen, dort ist ein Bescheid mit Datum 07.09 enthalten sowie eine unter dem 08.09 erstellte Anordnung der sofortigen Vollziehung. Ob der Bescheid vom 07.09 oder die Anordnung vom 08.09. der Mutter bereits zugegangen sind und ob nach Zugang des Bescheids Widerspruch eingelegt wurde, hat das VG zum Entscheidungszeitpunkt nicht gewusst.

Das VG hat den Antrag als zulässig, aber unbegründet angesehen.

Wegen Gefahr in Verzug nach § 1629 I 3 BGB werde der A ausnahmsweise wirksam durch seine Mutter alleine vertreten.

Statthaft sei ausnahmsweise ein Antrag nach § 123 I VwGO mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den A an der Klassenfahrt teilnehmen zu lassen.

Ein eA-Antrag sei zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG geboten. Der an sich vorrangige Antrag nach § 80 V 1 Alt. 2 VwGO setze nämlich einen bereits erhobenen Widerspruch auf den bereits bekanntgegebenen VA und eine zugegangene Sofortvollzugsanordnung voraus. Dem A sei es angesichts der der zeitlichen Knappheit ausnahmsweise nicht zumutbar, zunächst den Zugang von VA und Sofortvollzugsanordnung abzuwarten.

Es fehle allerding an einem Anordnungsanspruch. Ein Anspruch auf Teilnahme an der Klassenfahrt sei nicht als wahrscheinlich glaubhaft gemacht. Der (aus Sicht des VG) noch ergehende VA könne auf § 49 IV Nr. 2 HmbSG (Erziehungsmaßnahmen und Ordnungsmaßnahmen) gestützt werden.

Die Formalien seien wohl beachtet: Es gebe einen Beschluss der Klassenkonferenz (§ 49 VI 1 HmbSG), der A und seine Sorgeberechtigten seien nach § 49 V 1 HmbSG angehört worden.

Das nach § 49 I 3 HmbSG erforderliche Fehlverhalten liege vor: Der Vorfall vom 4. Juli 2022, bei dem der A eine Regel gebrochen habe.

Ermessensfehler bei der nach § 49 IV HmbSG zu treffenden Ermessensentscheidung lägen nicht vor. Die Klassenkonferenz habe ausweislich des Protokolls ihr Entschließungs- und auch ihr Auswahlermessen erkannt und ausgeübt.

Auch ein Ermessensfehlgebrauch zeige sich nicht. Die Erziehungsmaßnahmen sowie und die förmlichen Ordnungsmaßnahmen dienten nach § 49 I 1 HmbSG dem Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule und können nach § 49 I 2 HmbSG auch dem Schutz beteiligter Personen dienen. Die Klassenkonferenz habe ihr Ermessen an dem legitimen Zweck der störungsfreien Durchführung der Klassenfahrt und des Schutzes anderer Schülerinnen und Schüler ausgerichtet.

Die Maßnahme sei geeignet, obwohl sich der Vorfall vor den Sommerferien ereignet habe und auch danach noch drei Wochen verstrichen seien.

Auch von der Erforderlichkeit habe ausgegangen werden dürfen.

Die Belastung sei auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Bei der Verhängung förmlicher Ordnungsmaßnahmen handele es sich um pädagogische Wertungen, die sich einer Überprüfung am Maßstab der Rechtmäßigkeit weitgehend entzögen. Von den Gerichten könnten nur unsachliche und offensichtlich übermäßige Reaktionen auf das Verhalten des Schülers beanstandet werden. Der Beurteilungsspielraum der Klassenkonferenz, das gezeigte Fehlverhalten im Ergebnis als so gewichtig anzusehen, sei nicht überschritten.

Der Rechtsstreit enthält ein ganzes Bündel an prozessualen und materiellen Fragen und eignet sich deshalb gut als Klausur.

Gut vertretbar wäre m. E. auch die Auffassung, der Ausschluss als VA wäre angesichts der Mitteilung per E-Mail bereits ergangen. Dann hätte das VG vor einer Ablehnung des Antrages als solcher nach § 80 V-VwGO die Einlegung eines Widerspruches anregen müssen.

VG Düsseldorf, B. v. 05.07.2022 -23 L 849/22

Erfolgloser § 80 V-VwGO-Antrag gegen ein tierschutzrechtlichliches (Tier-)Halteverbot und gegen eine Bestätigung der Sicherstellung.

Die Antragstellerin A war dem Veterinäramt der Antragsgegnerin AG bereits bekannt. Als die A sich im Krankenhaus befand, alarmierte ihre Nachbarin, die den Wohnungsschlüssel von der A erhalten hatte, am selben Tag die Polizei. Diese veranlasste die Unterbringung der unter erbärmlichen Zuständen permanent in der Wohnung bzw. in Käfigen eingesperrten Tiere (ein Hund, zwei Katzen, fünf Nymphensittiche). Am nächsten Tag begutachtete die Amtstierärztin den Hund und die Katzen und ordnete die Sicherstellung der Tiere an. Nach vorangegangener Anhörung bestätigte die AG mit „Ordnungsverfügung“ die „Sicherstellung“ (Ziffer 1) und untersagte der A das Halten und Betreuen von Tieren (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung beider Ziffern wurde angeordnet, weil massiv tierschutzwidrige Haltungsbedingungen vorlägen und nicht auszuschließen sei, dass sich eine vergleichbare Situation mit den damit einhergehenden Schmerzen, Leiden und Schäden für Tiere wiederhole. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 3 wird unmittelbarer Zwang angedroht (Ziffer 3). Dagegen erhob die A Klage und beantragte ferner, die aufschiebende Wirkung der Klage anzufordern.

Das VG prüft klassisch in der Zulässigkeit die statthafte Antragsart und legt den Antrag hinsichtlich der Haltungsuntersagung als Antrag auf Wiederherstellung d. a. W aus. Gleiches gelte auch für die Bestätigung der Sicherstellung. Diese sei ein VA, wie sich aus dem Wortlaut Ordnungsverfügung und der Platzierung als Ziffer 1 des Tenors ergebe.

Auch § 80 III VwGO wird recht ausführlich geprüft. Die Ausführungen seien o. k., obwohl sie sich an sich nur auf das Halteverbot bezögen, weil eine Herausgabepflicht dann immanent bestünde.

Die Inzidentkontrolle bestätigt die beiden Verwaltungsakte: Die Sicherstellung sei ein in Abwesenheit des Adressaten im Wege des Sofortvollzuges durchgesetzter Realakt. Die Bestätigung der Sicherstellung sei ein VA, der auch in die Zukunft wirke. Die VA-Kompetenz folge aus § 16a I 2 Nr. 2 TierSchutzG. Es liege auch im Interesse des Adressaten, sich gegen einen VA wehren und vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 V VwGO erwirken zu können anstelle eines Eilantrages nach § 123 VwGO.

Das VG prüft und bejaht dann die Voraussetzungen des Sofortvollzuges nach § 55 II VwVG NRW: Die A habe ihre Tiere erheblich vernachlässigt und gegen § 2 TierSchG verstoßen, was ausführlich dargelegt wird unter Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Vortrag der A, wonach die Nachbarin T hinter allem stecke. Auch die Ziffer 2 der Verfügung sei rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig.

Insgesamt enthält der Fall genügend Material für eine Klausur mit Rechtfragen und Sachverhaltsauswertung.

Neue Rechtsprechung 2022, 1. Halbjahr:

OVG Münster, B. v. 16.05.2022 -1 A 2698/20–,

Rücknahmebescheid: Fehlender Vertrauensschutz, grobe Fahrlässigkeit bei einer Beamtin.

Der Fall spielt zwar im Beamtenrecht, einschlägige Rechtskenntnisse wären bei einer Verwendung in der Prüfung aber nicht vonnöten.

Die Klägerin ist Beamtin. Sie hat für die Eigenleistung in Höhe von 2.528 € welche ihr gesetzlich krankenversicherter Ehemann für Hörgeräte durch die Krankenkasse selbst aufbringen musste, als Beihilfeleistung 1.013,97 € bewilligt bekommen. Mit Teilrücknahmebescheid vom 20. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2018 nahm die Behörde die Bewilligung zurück und forderte die Betrag zurück. Denn nach § 3 III BVO NRW (Beihilfeverordnung) erhalten in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte berücksichtigungsfähige Personen Sach- oder Dienstleistungen (ärztliche und zahnärztliche Versorgung, ambulante und stationäre Krankenhausbehandlung, Heilmittel und so weiter) hierzu keine Beihilfen. Hörgeräte sind in diesem Sinne eine Sachleistung der Krankenkasse.

Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz nach § 48 II 1 VwVfG berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit nur aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt habe. Grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt gemessen an seinen individuellen Fähigkeiten in besonders schwerem Maße verletzt habe, sich ihm also nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre hätten aufdrängen müssen, die Leistung zu Unrecht zu erhalten. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn er einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt habe, erkannten Unklarheiten oder sich aufdrängenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Verwaltungsaktes nicht nachgegangen sei oder wenn sich für ihn Zweifel nur deswegen nicht ergeben hätten, weil er grob pflichtwidrig eine kritische Prüfung des Bescheides unterlassen habe. Denn der Bescheid habe selbst auf § 3 III BVO NRW hingewiesen. Auch im vorab übersandten Merkblatt mit Fettdruck u. a. auf die vorliegende Konstellation hingewiesen worden. Dort werde erläutert, dass die Vorschrift auch Hilfsmittel (wozu Hörgeräte gehören) betrifft und der Unterschied zwischen Sachleistungen und Zuschüssen erläutert. Dass eine erhaltene telefonische Auskunft nicht den gesamten Komplex habe erfassen können, hätte sie erkennen können (in einer Klausur wäre hierzu der gesamte gelieferte Sachvortrag auszuwerten).

Mangels Vertrauensschutz sei das Ermessen in Richtung einer Rücknahme intendiert gewesen (vgl. dazu näher hier).

Das OVG hat noch ausgeführt, dass es unschädlich sei, dass das VG als Ermächtigungsgrundlage für die Rückforderung den § 49a VwVfG angesehen, anstelle der von der Behörde richtig herangezogenen spezielleren Vorschrift des § 79 III LBG NRW i. V. m. § 15 II LBesG NRW.

VG Weimar, U. v. 03.05.2022 -7 K 1050/20 WE– NVwZ-RR 2022, 808:

Klage einer Gemeinde gegen den ihren Ablehnungsbescheid aufhebenden Widerspruchsbescheid. Vorliegen einer Gefahr

Die später Beigeladenen B beantragten eine Fällgenehmigung für eine auf ihrem Grundstück in Erfurt wachsende Schwarznuss. Dies lehnte die Stadt Erfurt mit Bescheid vom 25.10.2018 ab, weil kein Fällgrund bestehe, also keiner der Ausnahmen nach § 6 ihrer Baumschutzsatzung (BaumSchG) vom Fällverbot des § 5 BaumSchG vorliege. Auf den Widerspruch eines der B hin hob der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2020 die Ablehnung auf und verpflichtete die Stadt, die Fällgenehmigung zu erteilen, weil der Baum aufgrund einer nahen Gasleitung eine abstrakte Gefahr für Personen und Sachen von bedeutendem Wert sei. Die Klage der Stadt isoliert gegen den Widerspruchsbescheid hat Erfolg:

Sie sei als isolierte Anfechtungsklage i. S. d. § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft. Die Aufhebung des Ausgangsbescheides und die Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung der Fällgenehmigung stelle eine erstmalige Beschwer dar.

Grundsätzlich sei eine Kommune als Erstbehörde nicht klagebefugt, wenn die Widerspruchsbehörde diesen aufhebe, nämlich immer dann, wenn die Kommune eine staatliche Aufgabe wahrnehme. Anderes gelte nur bei der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides als letzter Behördenentscheidung seien die Ausführung und der Vollzug der Baumschutzsatzungen sind Aufgaben im eigenen Wirkungskreis der Kommunen, § 14 Abs. 1 ThürNatG.

In der Sache liege der einzig in Betracht kommende Ausnahme Fall des § 6 Abs. 1 Nr. 3 BaumSchS nicht vor. Danach kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden, wenn von dem Baum eine Gefahr für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgeht und die Gefahr nicht auf andere Weise mit zumutbaren Aufwand beseitigt werden kann. Dafür sei nämlich eine „echte“ Gefahr nötig, das heißt konkrete Anhaltspunkte für einen Schaden und nicht nur eine abstrakte (dies wird ausgeführt).

OVG Lüneburg B. v. 03.05.2022 -1 ME 31/22

Verknüpfung von Sachenrecht und Polizeirecht: Inanspruchnahme als Zustandsstörer trotz Aufgabe des Eigentums an einem Grundstück

§ 80 V-VwGO-Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Bescheid, ein Fachwerkhaus zurückzubauen samt Ersatzvornahmeandrohung (voraussichtliche Kosten: 30.000 €). Die Antragsteller (A) hatten das Anwesen noch minderjährig in einem bereits maroden Zustand geerbt. Dem Nachlassinsolvenzverwalter ist ein Verkauf des Grundstücks nicht gelungen. Nach Abschluss des Nachlassinsolvenzverfahrens 2014 erklärten die Antragsteller gegenüber dem Grundbuchamt die Eigentumsaufgabe. Sie meinen, sie könnten nicht als Zustandsstörer verantwortlich sein, da sie bereits nie Eigentümer geworden seien und jedenfalls wirksam das Eigentum aufgegeben hätten.

Der Antrag ist erfolglos geblieben. Als Ermächtigungsgrundlage hat das VG §§ 79 III 1, 56 NBauO gesehen. Die A seien als Eigentümer Verantwortliche im Sinne des § 56 NBauO. Ihre Eigentumsaufgabe sei sittenwidrig und deshalb nichtig, § 138 I BGB. Der erhebliche Sanierungsbedarf sei nämlich bereits damals bekannt gewesen. Das OVG hat die Entscheidung bestätigt: Die A könnten sich nicht auf § 873 I BGB berufen, da im Erbfall das Eigentum kraft Gesetzes übergehe, § 1922 I BGB. Die Zustandshaftung sei auch keine Nachlassverbindlichkeit, sondern entspreche eher einer nach dem Erbfall entstandene Nachlasserbenschuld.

Die Behörde habe die Verfügung zudem auf § 56 S. 4 NBauO i. V. m. § 7 III NPOG („Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen diejenige Person gerichtet werden, die das Eigentum an der Sache aufgegeben hat“) stützen können. Dass die Verweisnorm § 56 S. 4 NBauO erst 2019 und damit nach der Eigentumsaufgabe eingeführt worden sei, sei rechtlich unbeachtlich. Es handele sich um eine unechte Rückwirkung. Es sei nämlich seit langem anerkannt, dass die zivilrechtliche Haftung als Störer gemäß § 1004 BGB auch nach Eigentumsverzicht bestehe.

OVG Münster B. v. 31.03.2022 -9 B 159/22- NJW 2022, 1897,

VG Düsseldorf B. v. 24.01.2022 -16 L 53/22 :

§ 123 VwGO Eilantrag eines Bäckereiunternehmens, der Antragsgegnerin im Wege einer e. A. zu untersagen, auf der Internetseite „lebensmitteltransparenz.nrw.de“ den sich aus dem Anhörungsschreiben (…) ergebenden Inhalt zu veröffentlichen,

insbesondere den Vermerk: „An schwerzugänglichen Stellen wurde Mäusekot vorgefunden“, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Inhalt nur gemeinsam mit (der …) übermittelten Stellungnahme zu veröffentlichen. Das VG hat den Antrag abgelehnt, die Beschwerde hat Erfolg. Ein Anordnungsgrund liege angesichts der (noch) geplanten Veröffentlichung und deren irreparablen Folgen vor. Nach Auffassung des OVG besteht auch ein Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin können ihren öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruches auf Art.12 Abs. 1 GG stützen, weil ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit drohe. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für die staatliche Information nach § 40 Ia 1 Nr. 3 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) lägen nämlich wohl nicht vor („Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels [….] sowie unter Nennung des Lebensmittel[…]-unternehmens […], wenn der durch Tatsachen […] hinreichend begründete Verdacht besteht, dass […] 3. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist oder eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten ist und deswegen gemäß § 41 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.“).

Das OVG fordert klassisch eine verfassungskonforme Anwendung der Norm bereits auf Tatbestandsebene: Der Verdacht müsse durch Tatsachen belegt sein, der Verstoß von nicht nur unerheblichem Ausmaß und zusätzlich müsse ein Bußgeld/strafrechtliche Sanktionierung zu erwarten und deswegen eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt sein. Nach dem konkreten Sachverhalt, der in einer Klausur umfassend ausgewertet werden müsste, sind für das OVG diese Voraussetzungen nicht hinreichend gegeben. Das VG hatte den Sachverhalt noch anders interpretiert.

VGH Mannheim, U. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911

Kosten für Abschleppen eines Fahrzeugs wegen einer Anscheinsgefahr einer Trunkenheitsfahrt – Polizeirecht „vom Feinsten“.

Die Polizei hält am Sonntagmorgen um ca. 5 Uhr ein Fahrzeug an der mehrspurigen B 27 in Stuttgart an. Die Polizisten bemerken –so der Sachverhalt nach Beweiserhebung- deutlichen Alkoholgeruch im Fahrzeug, beim später klagenden Fahrer K glasige Augen, zittrige Finger und einen leicht schwankenden Gang. Einen Atemalkoholtest lehnt der K ab. Die Polizei untersagte die Weiterfahrt und ordnet eine Blutalkoholentnahme an. Das Fahrzeug steht verkehrsunsicher auf dem Fahrstreifen. Der Beifahrer, der Bruder des K, weigert sich, es wegzufahren. Auch jemand anderes wollen die Brüder nicht beauftragen. Die Polizei ordnet das Abschleppen an. Die Blutentnahme ca. 30 min später ergibt einen Blutalkoholwert von unter 0,08 o/oo.

Die Klage gegen den später ergangenen Kostenbescheid hat in erster Instanz Erfolg. Der VGH hat die Klage abgewiesen:

Rechtsgrundlage sei § 8 II 1 BWPolG. Danach sind die in den §§ 6 und 7 PolG bezeichneten Personen (Handlungsstörer/Zustandsstörer) zum Ersatz derjenigen Kosten verpflichtet, welche der Polizei durch die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme nach § 8 I 1 PolG entstanden sind („Die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme durch die Polizei ist nur zulässig, wenn der polizeiliche Zweck durch Maßnahmen gegen die in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann“).

Weil sofort gehandelt hätte werden müssen, sei am frühen Sonntagmorgen der Polizeivollzug zuständig gewesen, nicht die an sich zuständige Ortspolizeibehörde.

Der für ein unmittelbares Ausführen erforderliche fiktive Grundverwaltungsakt wäre rechtmäßig gewesen. Eine Maßnahme nach der polizeilichen Generalklausel wäre erforderlich gewesen. Das auf der Fahrbahne stehende Fahrzeug habe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt.

Der Kläger habe als Störer nicht zur Verfügung gestanden (der VGH geht von Zustandsstörereigenschaft nach § 7 BWPolG als Halter und sieht gleichzeitig den K als Fahrer für einen etwaigen Verhaltensstörer nach § 6 I BWPolG, die speziellere (Handlungs-)Verantwortlichkeit als Halter bleibt unerwähnt), weil er aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht zumindest eine Ordnungswidrigkeit begangen haben würde, wäre er weitergefahren (wird unter sehr ausführlicher Beweiswürdigung dargestellt).

Ermessensfehlerfrei habe die Polizei das Auto nicht selbst weggefahren, sondern ein Unternehmen beauftragt. Die entsprechende interne Anweisung sei sachgerecht, die Mehrkosten adäquat.

Entgegen dem Wortlaut („Entstehen [….] Kosten, so sind […]) habe die Behörde Ermessen, ob sie einen Störer zum Kostenersatz heranziehe. Regelmäßig sei zwar ein Störer heranzuziehen, in Ausnahmefällen wie bei einem Anscheinsstörer –wie hier- oder bei Gefahrenverdacht gelte jedoch anderes, wenn sich ex post die fehlende Gefahr bzw. die fehlende Verantwortlichkeit für die Verdachtsmomente herausstellen (Für Fälle, in denen die Gefahr durch/mit ein Auto verursacht wird, widerspricht dies m. E. der vorherrschenden Auffassung, die den Kfz-Halter immer für verantwortlich hält, solange er die Verfügungsgewalt nicht verloren hat; auch ansonsten ist eine Anscheinsgefahr eine echte Gefahr, auch soweit es um den Bezug zum Störer geht).

Der VGH geht von intendiertem Ermessen aus, so dass fehlende Ausführungen der Behörde unschädlich seien. Ausführlich wird dargelegt, weshalb sich der Kläger die Annahme seiner Fahruntüchtigkeit habe zurechnen lassen müssen, so dass kein Ausnahmefall vorliege.

Als „Kosten“ im Sinne des § 8 II 1 BWPolG habe die Behörde nicht nur die eigentlichen Unkosten (Rechnung des Abschleppunternehmens über 140 €), sondern auch eine Gebühr für die polizeiliche Tätigkeit vor Ort und eine für den Kostenbescheid selbst festsetzen dürfen „in Anlehnung an § 31 I BWVwVG“ („Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben.“). M. E. ist für eine rechtmäßige Gebührenfestsetzung eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung notwendig, weil Kosten nur tatsächlich entstandene sein können. Eine solche enthält aber § 4 II BWLGebG i. V. m der Gebührenverordnung Innenministerium und deren Anlage. Letztere wird vom VGH für die Überprüfung der Gebührenansätze auch herangezogen.

OVG Berlin-Brandenburg B. v. 07.02.2022 -OVG 1 S 131/21- NVwZ-RR 2022, 348

VG Berlin B. v. 17.09.2021 -1 L 277/21-

Konkurrentenstreit um eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung zum Betreiben eines Wochenmarktes.

Ein Sachverhalt, der sich schon ohne Umarbeitung fast wie ein Klausuraufgabentext liest.

Die Beigeladene veranstaltet seit knapp 20 Jahren einen Wochenmarkt auf dem Helene-Weigel-Platz in Berlin-Marzahn. Das zuständige Bezirksamt hat ihr mit Bescheid vom 30. April 2021 die für weitere Betreiben des Wochenmarktes ab dem 1. Juni 2021 erforderliche straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung nach §§ 46 II 1, 29 II StVO i. V. m. § 13 BerlStrG erteilt und mit weiterem Bescheid von diesem Tag den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Diese Antragstellerin beantragt beim VG unter anderem, 1. die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen den Ablehnungsbescheid und gegen die der Beigeladenen erteilte Ausnahme wiederherzustellen und 2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Hauptsachenentscheidung, längstens bis zum 31. Mai 2022, eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung für die Veranstaltung eines Wochenmarktes auf dem Helene-Weigel-Platz zu erteilen.

Das VG hat die aufschiebende Wirkung d. W. hinsichtlich der erteilten Genehmigung wiederhergestellt und den Antragsgegner im Wege der e. A. verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer bis zum 31. Mai 2022 befristeten straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung für die Veranstaltung eines Wochenmarktes (…) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Schulbuchmäßig hat es den § 80 V-VwGO-Antrag auf W. der a. W. des Widerspruches gegen den Ablehnungsbescheid zurückgewiesen, weil es sich nicht um eine Anfechtungssituation handele. Begehrt werde die Verpflichtung, die zulässig als Eilantrag nach § 123 VwGO verfolgt werde. Zulässig sei der §§ 80a III 2, 80 V VwGO-Antrag, soweit es die Anfechtung der der Beigeladenen erteilten Genehmigung betreffe. Die A sei antragsbefugt. Es geben einen Bewerbungsverfahrensanspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl (Art. 3 I, 20 III GG), weil hier die Auswahl eines privaten Marktveranstalters hoheitlich geprägt sei, weil der Marktveranstalter auch kommunale Interessen wahrnehme.

Der Bewerbungsverfahrensanspruch sei verletzt, weil das Verfahren und die Auswahlkriterien unklar seien (wird ausgeführt; die A hat wohl Fragen im auszufüllenden Fragebogen falsch verstanden). Rechtswidrig habe das Bezirksamt auch auf die Erfahrungen vor Ort abgestellt, obgleich im Straßenrecht das Kriterium „bekannt und bewährt“ anders als im Gewerberecht nicht berücksichtigt werden dürfe. Angesprochen hat das Gericht ferner u. a. die Fragen, ob es sein dürfe, dass die Beigeladene auf dem Markt einen eigenen Stand betreibe, das Verhältnis zur gewerberechtlichen Genehmigung, die die A hier fiktiv erhalten hat, §§ 6a II, 69 GewO). Der gewerberechtlichen Marktfestsetzung komme keine Konzentrationswirkung zu. Das VG hat sich ferner ohne nähere Ausführungen der im Vordringen befindlichen –m. E. richtigen- Auffassung angeschlossen, dass im Eilverfahren ein (vorläufiger) Neubescheidungsanspruch bestehen kann, wenn eine Genehmigung denkbar erscheint. Die Beschwerde der A., dass eine Genehmigung selbst hätte erteilt werden müssen, hat das OVG zurückgewiesen.

VG Frankfurt, B. v. 21.01.2022 – 5 L 148/22.F

§ 80 V-VwGO-Antrag, Versammlungsrecht:

Antragsteller wendet sich gegen einen am selben Tag ergangenen und für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der zuständigen Versammlungsbehörde (Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt/Main), mit welchem für eine ca. 10 Tage vorher für den 21.01. angemeldete Versammlung (Eine Abseilaktion über Autobahn mit dem Motto: „Spruchbänder an Autobahnbrücken sind kein Verbrechen – Autobahnen schon! Klimaschutz und Verkehrswende statt Strafverfahren gegen Aktivistis!“) u. a. die Auflagen erteilt werden, welche zum einen die Versammlung nur auf die betreffende Brücke über die BAB 648 in Frankfurt/Main räumlich und zeitlich auf die Zeit 21.01. 14.00 Uhr bis 15.00 Uhr beschränkt und zum anderen es untersagt, das Geländer der Brücke zu Übersteigen, zu überklettern oder sich am Brückengeländer abzuseilen. Das Kooperationsgespräch hatte am 19.01. stattgefunden. Der Antragsteller rügt mit seiner „Klage“ diese Auflagen und bemängelt, dass der Bescheid erst am Vortag am Nachmittag ergangen sei. Gleichzeitig hat er Widerspruch erhoben. Die Behörde trägt vor, dass die vom Antragsteller als Wohnort angegebene Adresse ein verlassenes Lager auf einem Feld bezeichne. Die Aktion sei zu (abstrakt) gefährlich, bei einer Sperrung der BAB 648 entstünden erhebliche Verkehrsprobleme und die (abstrakte) Gefahr von Unfällen.

Das VG hat dem Antrag überwiegend stattgegeben und die a. W. des Widerspruches mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Abseilaktion die Zeitspanne von 30 Minuten nicht überschreiten dürfe. Es hat dem Umstand, dass eine Klage erhoben wurde, nicht weiter problematisiert, sondern ohne Weiteres einen § 80 V-VwGO-Antrag angenommen. Die Anschrift des Antragstellers könne aus Zeitmangel nicht überprüft werden. Die Auflagen seien nicht nach Art. 8 GG i. V. m. § 15 VersammlG gerechtfertigt. Ebenfalls aus Zeitmangel sei davon auszugehen, dass hier –entgegen dem Behördenvorbringen- eine Sperrung der Autobahn nicht zu solchen Beeinträchtigungen führen werden, dass von einer konkreten Gefährdung von Verkehrsteilnehmer ausgegangen werden müsse, soweit sich die Abseilaktion auf angemessene 30 Minuten beschränke. Als obiter dictum führt das VG noch aus, alleine der Umstand, dass ein sofortvollziehbarer Bescheid erst mit einer Entscheidungsverzögerung ergangen ist, könne bei einer Interessenabwägung zur Stattgabe führen. Im konkreten Fall von Auflagen zu einer Versammlung habe die aus Sicht des Gerichts um jedenfalls einen Tag verzögerte Behördenentscheidung aber keine Konsequenzen im Hinblick auf Art. 19 IV GG gehabt, weil das Gericht noch rechtzeitig habe entscheiden können.

OVG Greifswald, B. v. 10.01.2022 -1 M 495/21 OVG- NJW 2022, 1635:

§ 80 V-VwGO-Antrag im Zusammenhang mit einer Verfügung, Hundegebell zu verhindern.

Die Antragstellerin A hält in einer dörflich geprägten Randlage mit großen Grundstücken drei Herdenschutzhunde, deren anhaltendes Bellen zu häufigen Beschwerden der Nachbarn führen. Der Antragsgegner -Amtsvorsteher- erlässt darauf unter Androhung der sofortigen Vollziehung die Verfügung: „Sie werden aufgefordert, nach Bekanntgabe dieser Ordnungsverfügung Ihre auf Ihrem Eigentum bzw. Besitz befindlichen Hunde auf Ihrem Grundstück (…) so zu halten, dass in den Ruhezeiten von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr des darauffolgenden Tages sowie an Sonn- und Feiertagen zwischen 13:00 Uhr und 15:00 Uhr das Hundegebell vollständig [unterbleibt] (…). In der Zeit zwischen 6:00 Uhr bis 13:00 Uhr und von 15:00 Uhr bis 22:00 Uhr sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Hundegebell auf ein Höchstmaß von täglich maximal 60 Minuten zu begrenzen. Das Höchstmaß bezieht sich nicht auf jegliches Hundegebell, sondern nur auf belästigendes, andauerndes oder häufiges Bellen.“

Der Widerspruch hiergegen wird vom Amt selbst beschieden, nicht vom Landkreis. Zusätzlich zur Klage erhebt die A den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und rügt u. a. diese Unzuständigkeit und in der Sache Unbestimmtheit der Regelung sowie zu strenge Anforderungen, in der Summe genug Stoff für eine Klausur.

Der Antrag hat nur zu einem Teil Erfolg.

Dass die falsche Widerspruchsbehörde entschieden hat (nach § 145 III Kommunalverfassung M-V ist Fachaufsichtsbehörde für die Amtsvorsteher der Ämter der Landrat als Kreisordnungsbehörde, § 3 I Nr. 2 SOG M-V; bei der ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehr handele es sich nicht um eine Selbstverwaltungsaufgabe, sondern um eine Landesaufgabe im übertragenen Wirkungskreis, § 1 IV SOG M-V), könnte im Hauptsacheklageverfahren nur zu einem Teilerfolg der isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides führen und ließe die Erfolgschancen der Klage gegen den Ausgangsbescheid selbst unberührt [Anmerkung: dies kann man auch gut anders sehen. Das OVG geht wohl von einem reinen Verfahrensfehler aus, der nur über einen (Hilfs-)Antrag nach § 79 I Nr. 2 VwGO Klagegenstand sein kann; ausgeblendet wird damit aber, dass nach § 79 I Nr. 1 VwGO der normale Klagegegenstand der Ausgangsbescheid in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Bei Ermessensverwaltungsakten –wie hier- kommt es also m. E. darauf an, ob auch die zuständige Widerspruchsbehörde im Rahmen ihrer vollen Ermessensüberprüfung zu keinem anderen Ergebnis kommen könnte, vgl. näher Kopp/Schenke, VwGO § 79 Rdnr 5.].

Das OVG hält die Verfügung hinsichtlich der Regelungen zum Lärm-Höchstmaß für bestimmt genug, da das Ziel der Vermeidung störenden Lärms klar sei.

Ermächtigungsgrundlage sei §§ 13, 16 I Nr. 2 SOG M-V) (Generalklausel) i. V. m. § 117 OWiG. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass Hundegebell insoweit nicht bis zu den Lärmgrenzwerten der TA Lärm erduldet werden müsse.

Unverhältnismäßig sei (nur), dass in den vorgegebenen Ruhezeiten jegliches Hundegebell untersagt werde. Die zusätzlich verfügte Zwangsgeldandrohung hat das OVG für rechtmäßig erachtet.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg B. v. 06.01.2022 – 5 S 19/21

§ 80 V-VwGO-Verfahren, Polizeirecht „Kampfhund-Fall“:

Antrag auf „Anordnung bzw. Feststellung“ der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen einen Bescheid vom 3.11, mit dem unter Zwangsmittelandrohung die Duldung der Sicherstellung, Unterbringung und Veräußerung der Hündin (ein American Staffordhire-Terrier) der Antragstellerin „S…“ angeordnet wird sowie den Bescheid vom 11.11., mit dem unmittelbarer Zwang festgesetzt wird. Vorangegangen waren drei Beißvorfälle und weitere Verletzungen des Leinen- und Maulkorbzwanges. Argumente der Antragstellerin: Eine Anhörung vorab sei nicht erfolgt und auch nicht nachgeholt, die Behörde stütze den Sofortvollzug auf § 30 XI HundeG Bln, wonach Anordnungen nach § 30 I bis VII und X HundeG sofort vollziehbar seien, nicht hingegen auf den hier angewendeten § 30 VIII HundeG. Der Bescheid vom 3.11. sei nicht begründet worden und in der Sache fehle eine Ermächtigungsgrundlage für eine Duldungspflicht (erlaubt werde „nur“ die Sicherstellung) und es sei offen, ob die Annahme, zuträfe, dass die Antragstellerin wiederholt und teilweise gröblich gegen Vorschriften des HundeG verstoßen habe. Auch die Festsetzung unmittelbaren Zwangs ohne vorangegangene Fristsetzung bei der Androhung als Fall von § 6 II VwVG (Sofortvollzug) ebenfalls rechtswidrig.

Antrag beim VG und die Beschwerde bleiben erfolglos: Es habe Gefahr im Verzug im Sinne des § 28 II VwVfG bestanden, auch sei ein Anhörungsmangel jedenfalls nach § 45 I Nr. 3, II VwVfG geheilt bzw. werde noch geheilt werden.

§ 30 VII 1 Nr. 2 HundeG sehe ausdrücklich eine Anordnung vor, also eine Regelung zu einer Sicherstellung bzw. über § 30 VIII HundeG, §§ 39f ASOG Verwahrung und Verwertung. Diese Normen schlössen es nicht aus, vorab eine Duldungspflicht auszusprechen. § 30 VIII HundeG sei nur eine Ergänzung des § 30 VII HundeG, nach dem sich die Ausgestaltung des Eilrechtsschutz richte. Der historische Gesetzgeber habe auch nur die Anordnung der Tötung (§ 30 IX HundeG) vom Sofortvollzug ausnehmen wollen.

Im Rahmen der summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin bei der Haltung der S wiederholt und teilweise gröblich gegen die Vorschriften des HundeG verstoßen habe. Als milderes Mittel sei nicht das bloße Untersagen der Haltung eines Hundes im Einzelfall in Betracht gekommen, weil der Antragstellerin generell die Eignung für das Halten und Führen eines gefährlichen Hundes fehle.

Eine Fristsetzung nach § 13 I 2 VwVG bei der Androhung sei zuletzt auch im Falle des § 6 I VwVG (gestrecktes Vollstreckungsverfahren) bei der Anordnung einer Duldung nicht erforderlich, weil einer Duldungspflicht in der Regel sofort nachgekommen werden könne.

Neue Rechtsprechung 2021, 2. Halbjahr:

OVG Magdeburg, B. v. 21.12.2021 -3 M 177/21- KommJur 2021, 478

Polizeirecht: Zustandsverantwortlichkeit des Waldbesitzers für Maßnahmen zur Beseitigung von Gespinstnestern in von Eichenprozessionsspinnern befallenen Wäldern (vgl. § 8 I 1 SachsAnhSOG: „Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten“). Die Gesundheitsgefahren gehen nach der RS nicht nur von den herrenlosen Raupen aus, weil deren Hinterlassenschaften an den Bäumen und am Boden hafteten. Der Beschluss beschäftigt sich auch mit der bejahten Bestimmtheit der Verfügung und mit der Verhältnismäßigkeit, die letztlich bejaht wurde, weil hinter der Antragstellerin das Land steht, in dessen Eigentum der betreffende Wald steht.

OVG Lüneburg, B. v. 17.12.2021 -1 LA 91/20 –

VG Osnabrück, U. v. 28.05. 2020 -2 A 84/18-

Der Kläger ersteigert 2017 ein in unmittelbarer Nähe einer Schleuse ein1948/49 errichtetes Doppelhaus, welches mit dem Hinweis „Nutzungseinschränkung nach BauGB (vermutlich nicht zu Wohnzwecken)“ angeboten worden war. Das Haus wurde nach der Errichtung zunächst bis längstens 1988 von der Bundesrepublik als Dienstwohnung für Schleusenwärter genutzt.

Er plant, das Doppelhaus zu allgemeinen Wohnzwecken zu nutzen.

Nach Anhörung forderte ihn aber der Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2017 zum Abbruch und zur ordnungsgemäßen Beseitigung des ehemaligen Schleusenwärterhauses und der Nebengebäude bis zum 25. Februar 2018 bzw. bis zwei Monate nach Unanfechtbarkeit des Bescheids auf. Mit weiterem Bescheid vom 21. November 2017 werden zudem die sofortige Einstellung von Umbau- und Nutzungsänderungsarbeiten angeordnet. Widersprüche und Klagen hiergegen bleiben erfolglos.

Die Anlage sei formell und materiell baurechtswidrig:

Der Nachweis, dass es eine Baugenehmigung für die Nutzung des Doppelhauses zu allgemeinen Wohnzwecken gibt, sei dem Kläger nicht gelungen, auch nicht als Anscheinsbeweis aus den Umständen, die nur darauf hindeuteten, dass das Doppelhaus als Unterkunft für die Wärter der Schleuse genehmigt und errichtet worden sei (hier gälte es im Klausurfall, den Sachverhalt auszuwerten). Ein allgemeines Wohnen sei auch nicht von der Variationsbreite einer seinerzeit erteilten Genehmigung gedeckt. Das OVG führt dann ausführlich aus, dass auch nach dem zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden Baurecht, § 3 Bauregelungsverordnung (BauRegVO) der Außenbereich grundsätzlich von Bebauung freizuhalten gewesen sei, weshalb in der Regel nur solche Anlagen genehmigungsfähig gewesen sei, die wegen ihrer Zweckbestimmung an den Außenbereich gebunden seien.

Eine allgemeine Wohnnutzung sei auch materiell illegal. Als sonstiges Vorhaben

i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB widerspreche es den Darstellungen des Flächennutzungsplans und lasse die Entstehung bzw. Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten.

Dem Kläger helfe auch nicht der Privilegierungstatbestand des § 35 IV 1 Nr. 4 BauGB, denn es handele sich nicht um ein Gebäude, das das Bild der Kulturlandschaft präge (nach Auswertung diverser Unterlagen). Der Erlass der Beseitigungsverfügung sei auch ermessensfehlerfrei. Insbesondere sei keine willkürliche oder planlose Ermessensbetätigung. Die Sachverhalte anderer Fälle lägen teilweise anders, ansonsten habe sie die Behörde den vorliegenden Fall ermessensfehlerfrei als Musterprozess herausgreifen dürfen.

Anmerkung: Die Verordnung über die Regelung der Bebauung (Bauregelungsverordnung, vom 15.02.1936) galt bis zum Inkrafttreten des Vorläufergesetzes des heutigen BauGB, des Bundesbaugesetzes v. 23. 6. 1960 (BGBl. I S. 341), also bis zum 29. 6. 1961.

§ 3 Bauregelungsverordnung [Außenbereich]

(1) Für bauliche Anlagen, die außerhalb von Baugebieten oder, soweit solche nicht ausgewiesen sind, außerhalb eines im Zusammenhang gebauten Ortsteiles ausgeführt werden sollen, soll die baupolizeiliche Genehmigung versagt werden, wenn ihre Ausführung der geordneten Entwicklung des Gemeindegebietes oder einer ordnungsgemäßen Bebauung zuwiderlaufen würde.

(2) Dies gilt namentlich für bauliche Anlagen, deren Ausführung unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen und andere Verkehrseinrichtungen, Versorgungsleitungen, Entwässerungsanlagen, Schulversorgung, Polizei- und Feuerschutz oder sonstige öffentliche Aufgaben erfordern oder deren Benutzung besondere wirtschaftliche Schwierigkeiten für die Bewohner ergeben würde.

VGH München B. v. 06.12.2021 -9 ZB 18.782NVwZ-RR 2022, 209

VG Würzburg, U. v. 22.02.2018 – W 5 K 16.794

Unzulässige Baunachbarklage gegen die Gemeinde

Die Kläger (K) wenden sich als gegen ein Bauvorhaben des Beigeladenen. Ihre Klage richtet sich aber nicht gegen den Freistaat als Rechtsträger der zuständigen Baubehörde (Landratsamt), sondern gegen die Gemeinde. Es gibt keine Baugenehmigung für das Bauvorhaben des Beigeladenen, dieser hat nur eine Bauvorlage im Genehmigungsfreistellungsverfahren für die Errichtung einer Halle eingereicht. Mit Schreiben vom 4. Juli teilt die Beklagte (B) dem Beigeladenen unter Bezugnahme auf Art. 58 BayBO mit, dass für sein Bauvorhaben kein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden solle. Sie mache von ihrem Prüfungsrecht keinen Gebrauch und beantrage keine Untersagung nach § 15 I 2 BauGB. Sie übersendet das Schreiben auch an die K. Das Begleitschreiben bezeichnete es als Bescheid und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Landratsamt Würzburg teilt den K mit Schreiben vom 29.Juli mit, dass das Genehmigungsfreistellungsverfahren zurzeit aus baurechtlicher Sicht nicht ausführbar sei und somit für das Baugrundstück aktuell kein Baurecht bestehe. Am 2. August erheben die Kläger Klage und beantragen, 1.) den Bescheid der B aufzuheben und 2.) die B zu verurteilen, dem Beigeladenen die Baugenehmigung für einen Neubau einer Halle (…) zu versagen. Die Klage sei aufgrund der RMB erforderlich.

VG und VGH halten beide Klageanträge für unzulässig.

Der erste Antrag sei als Anfechtungsklage nicht statthaft, es fehle an einem Verwaltungsakt. Die Erklärung der Gemeinde nach (dem jetzigen) Art. 58 II Nr. 5 BayBO sei kein VA, sondern eine schlichte Verfahrenshandlung (Realakt). Erkläre die Gemeinde, ein Baugenehmigungsverfahren nicht zu verlangen, liege darin nur eines der Tatbestandsmerkmale für eine Genehmigungsfreistellung. Der Bauherr könne nur zu einem (noch) früheren Zeitpunkt mit seinem Bauvorhaben beginnen (vgl. Art. 58 III 5 und 5 BayBO). Es werde nichts bindend festgestellt. Aus der Bezeichnung des Schreibens als Bescheid und der Rechtsbehelfsbelehrung folge nichts Anderes. Daraus könne aus Empfängersicht allenfalls abgeleitet werden, dass der Rechtsweg eröffnet sei. Eine Anfechtung der Freistellungserklärung sei aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich, weil die K auch ohne die Möglichkeit, die Mitteilung der Gemeinde vom 4. Juli 2016 anfechten zu können, gegenüber dem Vorhaben des Beigeladenen nicht rechtlos gestellt seien. Sie könnten bei der Bauaufsichtsbehörde einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten stellen und dann später dann soweit nötig Rechtsweg beschreiten.

Eine Erklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG , die nach der Rechtsprechung des BVerwG einen Verwaltungsakt darstelle, betreffe den anders gelagerten Fall, dass die zuständige Behörde feststelle, dass die geplante Änderung einer Anlage keiner förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Auch sei diese Norm gar nicht nachbarschützend.

Eine Umdeutung in ein Verpflichtungsbegehren auf bauaufsichtliches Einschreiten scheide aus, weil ein solches gegen den Träger der Bauaufsichtsbehörde zu richten wäre.

Dem 2. Klageantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die K keine Verbesserung ihrer Rechtslage erreichen könnten. Zulässigkeit unterstellt, würde sich die Klage auch gegen den falschen Beklagten richten.

Die K müssten die Kosten voll tragen. Von § 155 Abs. 4 VwGO sei nach Ausübung gerichtlichen Ermessens kein Gebrauch zu machen, obwohl eine vorprozessual erteilte falsche Rechtsbehelfsbelehrung ein Beteiligtenverschulden im Sinne dieser Vorschrift sein könne. Die K hätten allerdings das KIageverfahren auch nach entsprechenden gerichtlichen Hinweisen fortgesetzt.

OVG Hamburg, U. v. 08.11.2021 – 2 Bf 448/18 –:

Nichtigkeitsfeststellungklage; teilweise übereinstimmende Erledigungserklärung, Eintragung einer Baulast als Verwaltungsakt; Bestimmtheitsgebot; Haupt- und Hilfsantrag. Nichtigkeitsgründe nach § 44 VwVfG.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die auf seinem Grundstück ruhenden Baulasten unwirksam sind, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, diese Baulasten zu löschen.

VG und OVG halten den Haupt- und den Hilfsantrag jeweils für zulässig, aber unbegründet: Die Eintragung einer Baulast in das Baulastenverzeichnis gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 HamBauO sei ein mitwirkungsbedürftiger (dinglicher) Verwaltungsakt, der mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 43 VwGO angegriffen werden könne. Damit sie vollstreckt werden könne, müsse eine Baulastenerklärung dem Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG genügen. Im konkreten Fall (massenweise Baulasten für PKW-Stellplätze auf einem mit einem Parkhaus bebauten Grundstück in Hamburg-Mümmelmannsberg für die umgebenden Grundstücke) hat das OVG eine mangelnde Bestimmtheit verneint. Selbst wenn Unbestimmtheit angenommen werde und deshalb eine Vollstreckbarkeit ausscheide, läge mangels schwerwiegendem Fehler keine Nichtigkeit nach § 44 II VwVfG vor.

VGH München, B. v. 28.10.2021 – 11 CS 21.2148NJW 2022, 413

VG Augsburg, B. v. 23.07.2021 – Au 7 S 21.1407

Fahrerlaubnisrecht: Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund Eignungszweifel nach einer Straftat im Straßenverkehr.

Erfolgloser § 80 V- VwGO Antrag gegen eine für sofortvollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Einziehung des Führerscheins. Vorangegangen war eine Aufforderung zur Abgabe eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit der Besonderheit, dass die Fahruntauglichkeit nicht aufgrund einer Krankheit oder Drogen fraglich war, sondern geklärt werden sollte ob der Antragsteller ungeachtet einer erheblichen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr nicht auch künftig wiederholt gegen straf- und verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Anlass war ein Strafbefehl gegen den Antragsteller wegen versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung (massives Drängeln mit Lichthupe und Hupen, bei der nachfolgenden Verkehrskontrolle dann Duzen der Polizeibeamten). Nach § 11 III 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 I und II FeV (Feststellung der Eignung) bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, angeordnet werden.

VG und VGH folgen der Rechtsprechung, wonach bei Ausbleiben des geforderten Gutachtens nach § 11 VIII 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden darf, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Sie sehen keine formellen Defizite der Aufforderung, obwohl dort von „Nötigung“ anstelle „versuchter Nötigung“ die Rede ist. Da der Schluss in § 11 VIII 1 FeV trotz der Formulierung kein Ermessen einräume, sondern den Eignungsmangel bei grundloser Verweigerung einer Begutachtung begründe, habe die Behörde auch richtig mitgeteilt, dass sie von einem Fehlen ausgehen „werde“. Die Gutachtensfrage sei richtig angesichts § 2 IV 1 StVG („Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“). Die Anlassstraftat sei gravierend. Die Behörde habe auf den Nötigungsversuch abgestellt, nicht auf die nachfolgende Beleidigung. Auch das Ermessen sei richtig ausgeübt, obwohl die Behörde nicht ausdrücklich etwas dazu ausgeführt hat, warum sie bereits nach einem Verkehrsverstoß und damit außerhalb des Punktesystems von der Ermächtigung des § 11 III 1 Nr. 5 FeV Gebrauch gemacht habe.

Das VG hat zudem zusätzlich eine Interessenabwägung unabhängig von der Inzidentüberprüfung vorgenommen und § 80 III VwGO geprüft.

VG Berlin, B. v. 21.10.2021 – VG 14 L 453/21

§ 80 V-VwGO Antrag gegen eine Untersagungsverfügung des Ordnungsamtes, Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.

Auslegung einer Bescheidformulierung als bestimmend und nicht als bloßer Rechtshinweis; Anhörungsmangel, Bestimmtheitsgebot; Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung.

Der Antragsteller stellt in einem von der Straße aus allgemein zugänglichen Windfang Warentische zur Lebensmittelumverteilung bereit. Dorthin liefert primär ein lokaler Biomarkt aussortierte Lebensmitteln an. Deren Verteilung wird über WhatsApp- und telegram-Gruppen organisiert. Auch stellen dort weitere Personen Lebensmittel unkontrolliert und zur freien Mitnahme für jedermann hin. Das Bezirksamt untersagt nach Feststellung ungekühlter, verdorbener und unsauber aufbewahrter bzw. unverpackter Lebensmittel auf den Warentischen die weitere Lebensmittelumverteilung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Weiter formuliert es, dass die Wiederaufnahme des Inverkehrbringens nach Schaffung der hygienischen Voraussetzungen und nach vorheriger Zustimmung des Ordnungsamtes erfolge. Die hygienischen Voraussetzungen würden nicht eingehalten. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag und macht geltend, er sei kein „Lebensmittelunternehmer“ im Sinne der einschlägigen EU-VO und daher für die Lebensmittelumverteilung nicht verantwortlich.

Das VG hält den Antrag für zulässig. Doppelte Rechtshängigkeit bzw. entgegenstehende Rechtskraft bestehe nicht, weil der rechtskräftige vorangegangene Beschluss den dortigen als unzulässig abgewiesen hatte.

Es handele sich jetzt um einen § 80 V- VwGO Antrag, auch soweit es dieser Wiederaufnahme-Regelung betreffe. Darin sei ein Verwaltungsakt zu sehen (Auslegung: im Tenortenorteil enthalten, Formulierung von „Maßnahmen“, Schaffung eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt, welche so die EU-VO Nr. 852/2004 nicht vorsehe).

Die Verfügung ist nach Auffassung des VG formell rechtwidrig mangels vorangegangener Anhörung. Nur ausnahmsweise erscheine es angesichts der zeitlich nahen Heilungsmöglichkeit nach § 45 I Nr. 3 VwVfG noch vertretbar, nicht alleine deshalb die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

Die Untersagungsverfügung selbst sei o. K. Ermächtigungsgrundlage sei Art. 138 I b VO (EU) 2017/625. Auch der Antragsteller als altruistische Privatperson ein Unternehmer im Sinne dieser Norm, weil er eine mit dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausübe. Er verstoße fortwährend gegen Art. 6 I und II VO (EG) 852/2004 (Registrierungspflicht). Abzustellen sei insoweit auf den Zeitpunkt bis heute, weil es sich um einen Dauerverwaltungsakt handele. Auch verstoße er gegen Art. 4 II der Verordnung (Hygienevorschriften als solche), wie im Einzelnen dargestellt wird.

Auf der Rechtsfolgenseite liege ein intendiertes Ermessen hinsichtlich des Obs einer Maßnahme (Entschließungsermessen) vor. Das gewählte Mittel eines Verbots des Inverkehrbringens von Waren sei verhältnismäßig.

Es bestehe auch ein besonderes öffentliches Vollziehungsinteresse.

Hinsichtlich der angenommenen weiteren Verfügung fehle es an hinreichender Bestimmtheit, § 37 I VwVfG. Zum einen sei unklar, ob neben den hygienischen Voraussetzungen wirklich konstitutiv eine Zustimmung des Amtes erforderlich sei solle. Aber auch der Begriff der „hygienischen Voraussetzungen“ sei nicht hinreichend bestimmt. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel nach § 39 I VwVfG vor. Es werde nicht klar, weshalb die Behörde von einem im Recht nicht vorgesehenen Zustimmungserfordernisses ausgehe. Da dies gleichzeitig einen Ermessensausfall bedeute, könne dieser Mangel auch nicht geheilt werden.

VG Berlin, B. v. 6.10.2021 – VG 11 L 291/21- ZUR 2022, 112

Erfolgreicher Antrag nach § 80 VII 2 VwGO.

Das Bezirksamt hatte mit einer „Anhörung/Anordnung gemäß § 45 Straßenverkehrs-Ordnung“ in einer Straße in Berlin Friedrichshain die Kennzeichnung einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2) an. Ferner sollte die Fußgängerzone mit „Radverkehr frei“ ausgeschildert werden. Es wurden Zeichen 283-10 und 283-20 (Absolutes Haltverbot) angeordnet und sodann aufgestellt, zusätzlich das Zeichen 250 (Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge aller Art). Die Antragsgegner –Eigentümer bzw. Anwohner eines Hauses an der Straße legten Widerspruch gegen die Sperrung für den öffentlichen Durchgangsverkehr durch Personen- und Lastkraftwagen ein, über den noch nicht entschieden ist. Das VG ordnete rechtskräftig mit Beschluss vom 28. Juni 2021 (VG 11 L 164/21) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an und verpflichtete den Antragsteller zu Entfernung der Verkehrszeichen 250, 242.1, 283.10 und 283.20, der errichteten Poller sowie der Absperrungen (bestätigt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 9. September 2021 (OVG 1 S 97/21).

Nunmehr hat das Bezirksamt –nach vorangegangener bloßer Ankündigung- die straßenrechtliche Teileinziehung aufgrund § 4 I BerlStrG des betroffenen Straßenabschnitts und deren Vollziehbarkeit verfügt und diese Allgemeinverfügung im Amtsblatt von Berlin veröffentlicht.

Nach Auffassung des VG führt diese Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 80 VII VwGO dazu, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nunmehr überwiegt. Es bestünden nunmehr keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes.

Rechtsgrundlage sei § 45 I b 1 Nr. 3, 1. Alt., 2 StVO. Hiernach treffen die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen zur Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und ordnen die Kennzeichnung von Fußgängerbereichen im Einvernehmen mit der Gemeinde an.

Die Voraussetzungen für die Kennzeichnung eines Fußgängerbereichs lägen nunmehr vor.

Das gemeindliche Einvernehmen in diesem Sinne sei entbehrlich. Die Grundsätze zu § 36 BauGB zur Identität von Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde selbst bei unterschiedlich Organen seien übertragbar. Auf die Rechtmäßigkeit der Teileinziehung komme es angesichts deren sofortiger Vollziehbarkeit nicht an. Überdies sei eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG nicht ersichtlich, das nur durch § 10 III BerlStrG (Anliegergebrauch) geschützt sei. Aus § 4 I 3 BerlStrG („Von der Möglichkeit der Teileinziehung soll insbesondere dann Gebrauch gemacht werden, wenn zur Realisierung von Maßnahmen der Verkehrslenkung und Verkehrsberuhigung bestimmte Verkehrsarten auf Dauer von dem durch die Widmung der Verkehrsfläche festgelegten verkehrsüblichen Gemeingebrauch ausgeschlossen werden sollen.“) folge kein subjektives Recht.

OVG Münster, B. v. 27.9.2021 – 2 B 1299/21-,NVwZ-RR 2022, 125:

Zwangsvollstreckung: Durchsetzung einer bauordnungsrechtlichen Verfügung; Auslegung einer Erledigungserklärung als rein prozessual:

Gegen die Antragsteller war am 31. 07.2018 eine Ordnungsverfügung ergangen, mit welcher die Nutzung einer Wohnung untersagt wurde, weil eine Baugenehmigung fehle. Gleichzeitig wurde ein Zwangsgeld angedroht. In der Sache war das Gebäude abweichend von der ursprünglichen Baugenehmigung errichtet worden. Später dann wurde auf dem Nachbargrundstück eine Abstandsflächenbaulast eingetragen und am 13.06.2019 eine Baugenehmigung mit Nebenbestimmungen erteilt. Im Klageverfahren gegen den Bescheid erklärten die Antragsteller daraufhin im August 2019 den Rechtsstreit für erledigt, die Baubehörde schloss sich dem im Oktober 2020 an. In ihrem § 80 V-VwGO-Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den nunmehr ergangenen Zwangsgeldfestsetzungsbescheid vom 18.02.2021 wenden die Antragsteller ein, die Nutzungsuntersagung hätte sich durch die Baulasteintragung und die Baugenehmigung erledigt, jedenfalls durch die übereinstimmende Erledigungserklärung. Auch hätte das Zwangsgeld nochmals angedroht werden müssen und das Zwangsgeld nicht einfach nach zweieinhalb Jahren verhängt werden dürfen. Der Antrag ist erfolglos geblieben.

Nach Auffassung des OVG war die Wohnnutzung auch nach der Baulasteintragung und der (zweiten) Baugenehmigung bereits weiterhin formell illegal, weil nach § 84 VIII NRWBauO die Aufnahme der Nutzung nicht bereits mit der Baugenehmigung erlaube, sondern erst mit der ordnungsgemäßen Fertigstellung (vgl. § 84 VIII 1 NRWBauO: „Anlagen im Sinne des Absatzes 1 dürfen erst benutzt werden, wenn sie ordnungsgemäß fertig gestellt und sicher benutzbar sind, frühestens jedoch eine Woche nach dem in der Anzeige nach Absatz 2 genannten Zeitpunkt der Fertigstellung.“). Eine der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung wiederholte dies sogar ausdrücklich. Eine weitere Nebenbestimmung mit Anforderungen an ein Treppenhaus sei zudem noch nicht erfüllt.

Der Anschluss an die klägerische Erledigungserklärung sei nach dem Erklärungsinhalt eine rein prozessuale Erklärung gewesen. Das OVG folgt der gängigen Rechtsprechung: Diese sei auch geboten gewesen, da die Behörde kein berechtigtes Interesse an der alleine noch möglichen Feststellung, dass Erledigung nicht eingetreten sei. Eine Erklärung, dass sich die Nutzungsuntersagung selbst erledigt habe, sei damit nicht verbunden gewesen.

Das Ermessen, nunmehr noch ein Zwangsgeld festzusetzen, sei rechtsfehlerfrei ausgeübt worden. Eine Verwirkung liege nicht vor: Die Verzögerung läge an wiederholten Versuchen der Antragsteller, einen formal legalen Zustand herbeizuführen. Es gebe keine Anzeichen für eine aktive Duldung der rechtswidrigen Nutzung.

VGH Kassel, B. v. 22.09.2021 -8 B 1929/21 NVwZ-RR 2022, 243

VG Wiesbaden B. v. 16.09.2021 -6 L 1174/21.WI

Sonntagsfrage auch nach Briefwahl?

Die Antragstellerin A, das Meinungsforschungsunternehmen Forsa, erstellt aufgrund von Umfragen Prognosen über das Wahlverhalten. Sobald vor einer Wahl die Möglichkeit besteht, die Stimme per Briefwahl abzugeben, fragt die A die Umfrageteilnehmer zunächst, ob und gegebenenfalls wie sie bereits per Brief gewählt haben. Wer noch nicht gewählt hat, wird anschließend nach seiner voraussichtlichen Wahlentscheidung gefragt. Mit Schreiben vom 24.8.2021 und vom 6.9.2021 bat der Antragsgegner, der Bundeswahlleiter (B) u. a. die A unter Hinweis auf § 32 II BWahlG („Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig) und die gesetzlich vorgesehene Geldbuße von bis zu 50.000 €, es zu unterlassen, vor 18 Uhr des Tages der Bundestagswahl Ergebnisse von Wählerbefragungen zu veröffentlichen, denen mit Wissen der Ast. auch Daten von Befragten zugrunde liegen, die ihre Stimme zur Bundestagswahl bereits per Briefwahl abgegeben haben. § 32 Abs. 2 BWahlG verbiete ganz allgemein die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach einer Stimmabgabe vor Ablauf der Wahlzeit. Ansonsten entstünde angesichts des hohen Briefwahlanteil schon vor dem Schluss der Wahllokale ein Bericht über die tatsächliche Stimmabgabe zur bevorstehenden Bundestagswahl.

Die A beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache (bereits erhobene Feststellungsklage) festzustellen, dass es nicht gegen § 32 II BWahlG verstoße, wenn A vor dem Wahltag der Bundestagswahl Ergebnisse von Befragungen veröffentliche, denen als aggregierter (nicht gesondert ausgewiesener) Bestandteil auch die Angaben von Briefwählern über ihre bereits getroffenen Wahlentscheidungen zugrunde lägen.

B hält den Antrag für bereits unzulässig. Denn er sei ein unabhängiges Wahlorgan und stehe außerhalb der Verwaltungsorganisation des Bundes. VwGO und VwVfG fänden keine Anwendung.

Der Antrag hat Erfolg: § 40 VwGO sei einschlägig. Eine abdrängende Sonderzuweisung gebe es nicht. Die Spezialvorschrift des § 49 BWahlG finde keine Anwendung. § 49 BWG erfordere den Streit um Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezögen. Das Schreiben des B an die A sei keine solche Maßnahme, denn es betrifft das Wahlverfahren nicht unmittelbar, sondern das Verhalten Dritter im Zusammenhang mit der Wahl. § 32 II BWahlG beziehe sich auch nicht auf das Wahlverfahren selbst.

Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 49 BWahlG, Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Rahmen der Wahl und die Wahlanfechtung in Umsetzung von Art. 41 GG einem besonderen Verfahren, spreche gegen die Anwendung im vorliegenden Fall. Auch aus § 49a BWG folge, dass bestimmte Entscheidungen des B, die die Wahl nur mittelbar betreffen, wie Bußgeldverfahren gerade wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 2 BWahlG nicht der Wahlprüfung unterlägen.

Weil der B keinen Verwaltungsakt erlassen habe, sei § 80 V VwGO nicht vorrangig.

Die Antragsbefugnis (§ 42 II VwGO analog) und ein qualifiziertes Feststellungsinteresse lägen vor: Ein nur nachträglicher Rechtsschutz sei angesichts des Bußgeldverfahrens gegeben.

Die Antragstellerin sei auch schutzwürdig. Hieran würde es fehlen, wenn sich die Antragstellerin sehenden Auges in das Risiko begeben hätte, eine Strafe für ein von ihr für rechtmäßig gehaltenes Verhalten zu erhalten, indem sie weitere Umfrageergebnisse veröffentlicht hätte.

Richtiger Antragsgegner sei der Bund (§ 78 I VwGO analog), vertreten durch den Bundeswahlleiter als besonderem Wahlorgan (

Der Antrag sei auch begründet, weil ein Anordnungsanspruch bestehe. Nach Auffassung des VGH fällt eine Briefwahl nicht unter § 32 II BWahlG, da diese nicht unter den Begriff der Stimmabgabe zu fassen sei.

OVG Münster, B. v. 09.09.2021 -15 B 1468/21NJW 2021, 3673

In zweiter Instanz erfolgloser Antrag der AfD, ihr am 11.09 von 9 bis 22 Uhr für eine Wahlkampfveranstaltung eine Stellfläche von 600 m² im Volkspark Rheinhausen, einer öffentlichen Einrichtung, in Duisburg zur Verfügung zu stellen. OVG: Der Gleichbehandlungsanspruch aus § 5 I PartG, Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG wird nicht verletzt, obwohl die SPD Rheinhausen dort seit über 40 Jahren ihr Parkfest durchführen darf. Denn es müsse zwischen Wahlkampfveranstaltungen und Volksfesten mit primär unterhaltendem Charakter unterschieden werden.

VG Freiburg, U. v. 29.07.2021 – 10 K 4722/19 MMR 2021, 1013

Erfolgreiche Feststellungklage, dass die Bildobservation einer Friday-for future Versammlung in Freiburg mit einer Drohne durch die Polizei rechtswidrig gewesen ist.

Ausführungen in der Zulässigkeit zum Bestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 I VwGO (ja: in Frage steht, ob eine Duldungspflicht besteht), zum berechtigten Feststellungsinteresse (konkrete Wiederholungsgefahr und Interesse bei tiefgreifendem erledigtem Grundrechtseingriff bejaht). In der Sache ist das Urteil nicht überraschend: Die Beobachtung ist ein Eingriff in die (innere) Versammlungsfreiheit. §§ 19a, 12a VersammlG (das mangels Landesrecht einschlägig ist) scheiden zur Rechtfertigung aus (wird ausführlich dargestellt). Anderer Ermächtigungsgrundlagen gibt es nicht. Anmerkung: Das Urteil enthält entgegen § 167 VwGO keinen Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit.

OVG Berlin-Brandenburg, B. v.16.07.2021 -OVG 1 N 32/21NVwZ-RR 2021, 1011 u. NJ 2021, 421, VG Berlin, U. v. 15.03.2021 -VG 4 K 313.19

Erfolglose Anfechtungsklage gegen den Entzug eines Standplatzes auf dem Winterfeldtplatz (=Widerruf der Zulassung). Ermächtigungsgrundlage jedenfalls § § 49 II 1 Nr. 1 VwVfG aufgrund Verstößen gegen die Teilnahmebedingungen (zu späte Verkaufsbereitschaft, Missachtung der Anweisungen des Markmeisters), die bestimmt genug seien. § 69 Abs. 2 GewO verpflichtet die Festsetzung eines Wochenmarktes den Veranstalter zur Durchführung der Veranstaltung. Diese Verpflichtung des Marktveranstalters zur Marktdurchführung berechtigt ihn seinerseits, innerhalb der festgesetzten Öffnungszeiten von den Markthändlern die Verkaufsbereitschaft zu verlangen. Die Konkretisierung dieser Pflicht gegenüber dem einzelnen Händler kann auf die generalklauselartige Formulierung in Ziffer 2.1 der Teilnahmebestimmungen gestützt werden („[Der Marktmeister] trifft die erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen für den Marktverkehr. Seine Anordnungen sind sofort zu befolgen,….“). Ermessensfehler lägen nicht vor.

VGH München, B. v. 08.07.2021 -15 CS 21.1642- NVwZ-RR 2021, 1047

VG Regensburg, B. v. 19.05.2021 -RN 6 S 20.3192-

Erfolgloser § 80 V-VwGO-Antrag gegen die Feststellung eines (weiteren) Zwangsgeld über 5.000,– € wegen der Nichtbefolgung eines bestandskräftigen Baueinstellungsbescheids. Mittlerweile gibt es auch eine Abrissverfügung, die nicht sofort vollziehbar erklärt wurde. Nach Auffassung der Gerichte hat sich die Baueinstellungsverfügung entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht nach Art. 43 II BayVwVfG auf andere Weise erledigt. Dies wäre erst nach Fertigstellung bzw. nach Beseitigung des Baues der Fall. Die Behörde hat auch noch aktuell ein Vollstreckungsinteresse, damit die spätere Vollstreckung der Abrissverfügung (auf deren Kosten der Staat möglicherweise sitzen bleiben wird) möglichst einfach bzw. kostengünstig erfolgen kann. Die Beschlüsse enthalten darüber hinaus auch Ausführungen zur Frage der Notwendigkeit einer Fristeinräumung und –inzident- zur materiellen Baurechtslage: Die ursprüngliche für die Sanierung des Wohnanwesens im Außenbereich erteilt Baugenehmigung stand unter der auflösenden Bedingung, dass sich der Bauherr an das Sanierungskonzept hält. Sie ist nach Auffassung der Baubehörde erloschen, weil dagegen verstoßen wurde. Es handele sich nicht mehr um eine (durch den einfachen Bestandsschutz der ursprünglichen Baugenehmigung gedeckte) Sanierung, sondern um einen Neubau.

OVG Münster, B. v. 02.07.2021 -15 B 1134/21

Erfolgloser § 123 VwGO- Antrag, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten es zu unterlassen, bei der für den 3. Juli 2021 von der Antragstellerin angemeldeten und (bislang) nicht verbotenen Versammlung (wohl von sog. Querdenkern) in Bochum durch Verbot oder Auflösung aus dem Grunde zu vereiteln, dass entgegen Ziffer 4 des Bescheides nicht 18 Toiletten mit Handwaschbecken, sondern lediglich vier mobile Toiletten von der Antragstellerin gestellt werden.

VG und OVG verneinen einen Anordnungsanspruch:

Ein Verbot der Versammlung bei Nichterfüllung der Auflage, 18 solcher Toiletten bereitzustellen, sei nicht zu erwarten, weil damit nicht hinreichend sicher zu rechnen sei: Ein Verbot nach § 15 Abs. 1 VersG sei (nur) eine vorbeugende Maßnahme. Nach Beginn der Versammlung handele es sich um eine Auflösung. Bis zum Beginn der Versammlung sei es voraussichtlich unklar, ob die Auflage nicht doch noch erfüllt werde. Möglicherweise reichten für die tatsächliche Teilnehmerzahl vier Toiletten aus.

Dasselbe gelte auch für die befürchtete Auflösung der Versammlung.

Die Auflage werde sich zwar voraussichtlich als rechtmäßig erweisen, hinreichend sicher eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in Form von Verstößen gegen § 3 I 2 Nr. 5 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Bochum („Jeder hat sich so zu verhalten, dass andere nicht gefährdet, geschädigt oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder gestört werden. Verboten ist insbesondere […] das Verrichten der Notdurft außerhalb der hierfür vorgesehenen Toiletteneinrichtungen […].“) zu erwarten seien, die sich als unzumutbare Beeinträchtigungen der Rechte Dritter erwiesen. Diese gelte, obwohl es bislang eine solche Auflage nicht gegeben habe und keine Versammlung aus diesem Grund verboten worden sei. Es sei auch nicht ein Sachverhalt glaubhaft gemacht, aus dem sich eine Unverhältnismäßigkeit der Auflage ergebe.

Eine Nichtbefolgung der Auflage führe zwar zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Polizeiführung währen der Versammlung vor Ort müsse aber vor einer Versammlungsauflösung nach § 15 III VersG die Verhältnismäßigkeit prüfen. Die Auflösung sei ultima ratio, zuvor müsse die Durchsetzung der Auflage anmahnt werden. Eine Ersatzvornahme sei kein milderes Mittel. Eine Versammlungsauflösung sei nämlich kein verwaltungsvollstreckungsrechtliches Zwangsmittel zur Durchsetzung der Auflage. Der Auflagenverstoß könne auch erst zu einem Zeitpunkt festgestellt werden, an dem es fernliegend erscheine, dass die Polizei noch rechtzeitig die erforderliche Zahl an Sanitäreinrichtungen beschaffen könne. Umgekehrt könne sich die Antragstellerin rechtzeitig um eine Erfüllung kümmern, so dass sich eine Auflösung der Versammlung voraussichtlich auch nicht als unverhältnismäßig erweise, wenn die Antragstellerin trotz Mahnung eine Erfüllung verweigere und ihr auch auf Anmahnung seitens der Polizei nicht nachkommt.

Neue Rechtsprechung 2021, 1. Halbjahr:

OVG Lüneburg, B. v. 19.05.2021 -1 ME 55/21- NVwZ-RR 2021, 713

§ 80 V-VwGO-Antrag gegen eine denkmalrechtliche Anordnung gegenüber dem Eigentümer einer denkmalgeschützten ehemaligen Dorfschule, u. a., unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Zwangsgeldandrohung, (a) den Pilzbefall bzw. Hausschwamm fachmännisch begutachten zu lassen, um anschließend die Beseitigung vorzunehmen, sowie (b) im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht die Straße im westlichen Bereich vor eventuell herabfallenden Dach- und Wandelementen durch einen Bauzaun zu sichern.

Der Antrag hat (insoweit, in erster Instanz hat der Antragsteller andere Anordnungen mit Erfolg angegriffen) keinen Erfolg.

Nach dem Beschluss des OVG können Anordnungen wie die zu (a) zur Feststellung des bestehenden Zustands und des Instandsetzungsbedarfs eines Denkmals sowie der erforderlichen Maßnahmen auf § 23 I („Die Denkmalschutzbehörden treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die Anordnungen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der §§ 6 bis 17, 25, 27 und 28 sicherzustellen.“) i. V. mit § 6 I 1 NdsDSchG („Kulturdenkmale sind instand zu halten, zu pflegen, vor Gefährdung zu schützen und, wenn nötig, instandzusetzen.“) gestützt werden, wenn der Behörde belastbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Schädigung eines Denkmals vorliegen und der Eigentümer nicht von sich aus die notwendigen Maßnahmen ergreift. Das OVG verneint auch einen Ermessensausfall und hält die Anordnung für verhältnismäßig.

Die Anordnung zu (b) könne zwar nicht auf §§ 23 I, 6 I 1 NdsDSchG gestützt werden, weil sich diese Erhaltungspflicht nur auf Gefahren bezöge, die dem Denkmal selbst drohten. Einschlägig für Gefahren für die Umgebung des Denkmals sei das allgemeine Bauordnungsrecht, hier konkret § 79 I („Widersprechen bauliche Anlagen, (….) dem öffentlichen Baurecht oder ist dies zu besorgen, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. Sie kann namentlich 1. die Einstellung rechtswidriger und die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen, (…).“) i. V. m. 16 II NdsBauO („Die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs darf durch bauliche Anlagen oder deren Nutzung nicht gefährdet werden.“)

Eine Umdeutung nach § 47 VwVfG sei möglich, angesichts der notwendigen Gefahrenabwehr gelte dies u. a. auch für die Ermessensausübung ungeachtet der unterschiedlichen Schutzwirkung der Normen.

Zeitlich ältere -aber noch nicht zu alte- Entscheidungen finden sich hier .

Übersicht

Willkommen auf diesen Seiten, die in erster Linie in der heißen Phase der Vorbereitung auf die ÖR-Klausuren im zweiten Staatsexamen helfen sollen. Sie enthalten Merkschemata, Checklisten und stellen klausurrelevante aktuelle Rechtsprechung dar. Den Examensklausuren liegen regelmäßig aktuelle Entscheidungen zu Grunde, die sich noch nicht in Kommentaren, Lehrbücher und Skripten wiederfinden.

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Die Klausuren im Zweiten Staatsexamen sind Praktikerprüfungen. Erlerntes spielt nur eine Rolle, soweit es für die Lösung darauf ankommt. Mit der bloßen Wissenswiedergabe können keine Punkte erzielt werden. Der Entwurf eines Urteils, Beschlusses, Bescheides oder Schriftsatzes soll vielmehr möglichst praxistauglich sein. Das Wesentliche muss fehlerfrei sein, also die Formalien und der Tenor bzw. Antrag in Ordnung. Der Lösungsentwurf sollte zudem möglichst vollständig sein und alle angeschnittenen Fragen ansprechen. Zu einer erfolgreichen Examensvorbereitung gehört deshalb, sich allgemein mit dem Klausurenschreiben allgemein zu beschäftigen. Dazu gibt es -und zur Vorbereitung speziell auf die Klausuren im Öffentlichen Recht- die Seite Allgemeines zum Klausurenschreiben.

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